Der Südtiroler Koch Norbert Niederkofler hat vor rund zehn Jahren einen entscheidenden Schritt gemacht, sich von Gänsestopfleber und anderen Standards der „Sternegastronomie“ verabschiedet und kocht seitdem konsequent regional. Auch Zitrusfrüchte und Olivenöl flogen aus der Küche. „Cook the mountain“ heißt seitdem das kulinarische Prinzip seines Restaurants „St. Hubertus“ im Hotel „Rosa Alpina“ in St. Kassian.
Infolge der Umstellung verlor das Restaurant nicht etwa seine Sterne, sondern bekam 2017 schließlich gar einen dritten dazu. Quod erat demonstrandum: Um an der Weltspitze mitzukochen, muss man nicht die ganze Welt auf die Teller bringen – es geht auch mit einem regionalen, biologischen und nachhaltigen Ansatz. Wir trafen Norbert Niederkofler auf der „Chef-Sache“ in Düsseldorf.
Herr Niederkofler, 2010 haben Sie Ihre Gastronomie, damals schon mit zwei Sternen dekoriert, komplett auf Nachhaltigkeit und Regionalität umgestellt.
Wir haben damit sogar schon ab 2008 angefangen. Es hat aber einfach eine ganze Zeit gedauert, bis wir die Produkte alle umgestellt hatten.
Wie kam es dazu eigentlich?
Ich habe mich hingesetzt und mir gesagt: Was muss ich jetzt tun, damit ich den dritten Stern kriege?
Man könnte als Laie ja denken: Für einen dritten Stern muss man noch exklusiver, noch exotischer werden.
Wissen Sie: Ich war müde und es leid, immer nur das zu kochen, was alle Restaurants auf der Welt kochen. Es gibt immer das Gleiche. Einmal links rum, einmal rechts rum, aber am Ende: immer das Gleiche. Mir wurde klar: Wir müssen etwas tun, damit wir komplett anders sind, und außerdem habe ich die Notwendigkeit erkannt, andere Wege zu gehen. Der ultimative Kick war die Geburt meines ersten Sohnes 2010. Die hat mir bewusst gemacht, dass wir der nächsten Generation etwas da lassen müssen. Wir haben mit unserem Beruf eine große Verantwortung – den Produzenten und der Natur gegenüber. Kollegen und Journalisten haben mir davon abgeraten. Aber es musste für mich einen Schritt weiter gehen, sonst wäre mir langweilig geworden.
Wie definieren Sie Nachhaltigkeit?
Nachhaltigkeit ist momentan ein Werbeslogan, für uns ist sie viel komplexer. Es geht um vernünftigen Umgang mit der Natur, mit den Produkten, mit den Mitarbeitern und sich selbst. Zeige ich Respekt den Bauern gegenüber, gegenüber den Tieren? Wenn ich Tiere schon schlachte, dann zeige ich meinen Respekt auch darin, alle Teile zu verwenden und nicht nur die besten rauszuschneiden und die anderen lasse ich links liegen.
Vor Kurzem sagte ein deutscher Kollege von Ihnen, zwei Sterne, in einem Interview: Wenn die angelieferten Tauben zu klein sind, dann schickt er sie zurück.
Das täten wir sicher nicht. Wenn sie klein sind, sind sie halt klein. Solange die Qualität vorhanden ist, ist mir das wurscht. Wir kochen auch nicht mehr im Sous-Vide-Verfahren, sondern machen alles auf dem Ofen im Grill. Da muss man sowieso immer die Finger drauf haben. Die Produkte verändern sich schon mit der Jahreszeit und mit ihnen die Garmethoden. Du kannst nicht bestimmen, was für Produkte du bekommst, welche Größen und Konsistenzen. Ich kann einfach nicht zu meinem Bauern sagen: Die Tomaten nehme ich nur in einer bestimmten Größe, sonst nicht. Wenn eine Tomate so ist und die andere so, dann müssen wir sie so verwenden.
Ein Kriterium bei Michelin ist ja die Beständigkeit in der Küchenleistung …
… ja, aber um was geht es? Ums Aussehen oder den Geschmack? Für mich geht es um den Geschmack. Aussehen ist relativ, mir ist es wurscht, ob die Tomate auf der linken Seite mehr gelb ist als auf der rechten. Und so gehen wir auch mit den Produkten um: Wir verarbeiten alles. Wenn ich jetzt wieder anfange, Sachen wegzuwerfen, dann brauche ich über Nachhaltigkeit nicht mehr nachdenken.
Sie haben vorhin auf der Bühne bei der Lavazza Masterclass ein Risotto aus Gerste mit Chicorée-Kaffee als Topping serviert.
Der Chicorée-Kaffee war früher ein Ersatz, eine Arme-Leute-Kaffee, wenn man so will. Er ist ein gutes Beispiel für unser regionales Denken: Mit solchen Dingen kommt man viel mehr in die lokale Kultur hinein. Wir reden mittlerweile viel mehr über Kultur als über Küche: Die Sachen waren alle schon da, wir erfinden im Prinzip gar nichts neu. Doch wir lassen wieder aufleben, was man früher gemacht hat, mit modernem Wissen und anderen Anwendungsmöglichkeiten. Zum Beispiel auch bei unseren Sojasauen – die machen wir mit alten Produkten wie Berglinsen. Und das macht die Arbeit so interessant.
Wie viele Lieferanten haben Sie aktuell?
Ungefähr 40 bis 50.
Wie managen Sie so viele?
Telefonieren, hingehen, reden, sie herkommen lassen, probieren … es ist viel mehr Arbeit, viel mehr Aufwand! Wir haben keine Zwischenhändler. Ich will und muss mit den Bauern reden – sie müssen mich verstehen und ich muss sie verstehen, sonst geht das nicht. Und ich kann nicht zum Hörer greifen: Hallo, ich brauche zehn Kilo Steinbutt in einer bestimmten Größe. Der Fischer geht fischen, er bringt mir Forellen, die eine so, die andere so.
Und wenn er keine Forellen bringt?
Dann kochen wir etwas anderes. Die ersten Jahre waren extrem schwierig. Jetzt haben wir gewisse Erfahrungswerte. Beim Gemüse haben wir auf ganz Südtirol Backups verteilt, weil wenn heuer im Bruneck Hagel ist, dann habe ich auf einmal gar nichts mehr. Wir haben immer zwei, drei Ausweichmöglichkeiten.
Woher beziehen Sie Ihre Ware?
Aus ganz Südtirol und Bergamo.
Wie können andere Köche nachhaltiger arbeiten?
Du selbst musst überzeugt davon sein. Sonst rennst du einem Trend hinterher. Wir können das nur machen, weil wir davon total überzeugt sind. Und meine Aufgabe ist es, mit meinem Team die Gäste happy zu machen – die bezahlen uns. Wir sind sprichwörtlich hinter dem Berg, an keiner Hauptstraße gelegen, und sperren unser Restaurant trotzdem mit einer Warteliste auf und mit einer Warteliste zu. Das muss ja an irgendetwas liegen.
Vielen Dank, Herr Niederkofler.
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