Pierre Nierhaus zählt zu den profiliertesten Konzeptern und Beratern der Gastrobranche. Seine internationalen Trendtouren in die Metropolen der Welt sind heiß begehrt.
Jetzt hat er ein neues Fachbuch geschrieben: Echt freundlich – Mach dein Projekt erfolgreich heißt es. Es geht um Gastfreundschaft – branchenübergreifend – und darum, wie man (s)ein klares Projekt findet und definiert, wie man Mitstreiter*innen findet, freundlich managt, Veränderungen meistert, Verbesserungen erzielt und dabei nicht zuletzt ein gutes Leben hat, inklusive Freizeit und Raum für Familie, Freunde und Co. Denn auch als Unternehmer*in will man sein Leben nicht nur mit Arbeit verbringen, weiß er. Wir trafen Pierre Nierhaus in Frankfurt zum Gespräch.
Herr Nierhaus, was verstehen Sie unter Freundlichkeit?
In erster Linie eine positive Haltung anderen Menschen gegenüber. In der Historie war es eine Grundvoraussetzung zum Überleben, freundlich zu sein und Freundlichkeit von anderen zu erwarten, wenn man unterwegs war. Freundlichkeit und Gastgeberschaft liegen sehr eng beieinander, sind sehr tief verwurzelt in den Religionen, teilweise sind sie sogar dort festgeschrieben.
Wie erkenne ich denn, dass ich wirklich geeignet dafür bin, in diesem Sinne freundlich zu sein, gastfreundlich sogar?
Freundlich sein kann jeder, doch um Gastgeber zu sein, da müsse man bestimmtes Gen haben, sagen manche. Ich denke, da kann man aber schon ein bisschen nachtrainieren. Wichtig ist, dass man in einem gewissen Maße eine extrovertierte Person ist. Nicht immer – ich zum Beispiel habe einen sehr introvertierten Teil und verkrieche mich auch mal, auf der anderen Seite finde ich es super, wenn ich auf eine Bühne stehe und die Leute hören mir zu. In der Gastronomie allerdings ist man als Gastgeber den ganzen Tag präsent. Ohne das sein zu wollen, funktioniert es nicht. Ich bin „on stage“, ich kann mich da nicht verkrümeln und muss positiv auf Menschen zugehen wollen, mit Präsenz. Viele fangen heute so an: Ich habe ein gastronomisches Konzept, da ist die Marktlücke, ich habe BWL studiert, mein Kumpel macht das Marketing … aber das ist nur das eine eine. Es erfordert auch, dass man Spaß dran hat, Gastgeber zu sein. Darum muss man es ausprobieren: Kann man das, hält man es durch?
In Ihrem Buch geht es darum, dass man sein (Herzens-)Projekt findet. Wie tut man das?
Bevor man sich selbständig macht, sollte man sich nicht in eine Idee verrennen, sondern möglichst viel unterwegs sein. Leute fragen, die schon lange eine Gastronomie haben. Man kann auch von Scheitern was lernen … je mehr ich über die Branche weiß, desto besser. Und ich muss mich natürlich mit meinem Thema intensiv befassen. Will ich zum Beispiel Poké anbieten, sollte ich vielleicht mal nach Hawaii gereist sein – das ist auch gut für die Story – und mich mit Leuten unterhalten, die das schon erfolgreich machen: Macht es dann bei mir dauernd Klick oder bin ich auf dem Irrweg? Und bitte nicht nur mit Gleichgesinnten darüber sprechen, wie sie es finden, dem eigenen Fankreis, sondern auch mit Fremden, die im Geschäft erfolgreich sind. Mit einem Jahr Fehlinvestition sind schnell fünf Jahre des Ersparten und die persönliche Energie versenkt.
Sie sprechen da aus Erfahrung. Sie berichten im Buch offen darüber, wie sie Anfang der Nullerjahre mit 1,6 Millionen Euro Verbindlichkeiten da standen, nach dem Verkauf Ihres Unternehmens.
Ich war immer erfolgreicher Konzeptmacher und Gastronom gewesen und habe damals bewusst mein Unternehmen verkauft. Doch ich habe mich dabei über den Tisch ziehen lassen. Von Partnern, die das Unternehmen kurz danach weiter verkauft haben und im Endeffekt für alte Bürgschaften nicht aufkamen. In so einer Situation muss man einen kühlen Kopf bewahren. Und man muss sich einen Berater holen, der in solchen Themen versiert ist. Wir haben die 1,6 Millionen auf eine minimale Quote gesenkt, wir fingen dann praktisch mit einer Null wieder an. Das Ersparte war natürlich weg.
Wie bleibt man in so einer schwierigen Situation freundlich? Auch zu sich selbst?
Ich habe mich immer anständig benommen, denke ich. Ich hatte meinen Bekannten- und Freundeskreis, der für mich da war. Und ich hatte auch ein paar gute Anzüge und Schuhe, man hat es also nicht sofort gesehen (lacht) … und wenn ich mit meiner Frau essen ging, der ich dankbar bin, dass sie diese Zeit mit mir durchgestanden hat, dann sind wir eben eine günstige Pizza oder Nudeln essen gegangen. Den Dreißig-Euro-Wein haben wir uns dann aber als Luxus gegönnt (lacht). Wie es einem in guten und in schlechten Zeiten ergeht, das hilft mir auch als Coach sehr.
Ein Satz aus dem Buch lautet: Haltung einstellen, Fähigkeiten trainieren.
Ja, ich höre oft: Den kann ich nicht einstellen, der kann ja nichts. Aber wir konnten alle irgendwann mal nichts! Ich muss die Chance nutzen, jemanden zu fördern. Ich kann doch jemandem ein Stück von meinem Wissen abgeben. Wir haben jetzt viele Leute unterschiedlicher Nationalität im Land … und wir hatten vor 15 Jahren eine Phase, wo viele Mitarbeiter aus Sri Lanka und Pakistan zu uns kamen. Klar, die Spülküche geht immer, einer erklärt’s. Aber kurz drauf sagten die Engagierten: Kann ich nicht noch was anderes machen? Irgendwann standen sie in der Gemüseküche, dann am Grill, die Sprachkenntnisse wurden immer besser. Wir haben uns dann mit der IHK in Verbindung gesetzt: Dieser Mensch arbeitet seit sieben Jahren bei uns, kann der eine Ausbildung zu Ende bringen? Und siehe da: Das geht! Mit fünf Berufsjahren kann man nämlich plus Theorieprüfung einen Ausbildungsabschluss machen. Ich kann aus vielem etwas machen. Wichtig ist, dass jemand eine positive Haltung hat. Die muss ich einstellen.
Wie erkennt man die? Die steht ja nicht auf der Stirn geschrieben.
Jeder hat da so seine Tricks. Bei Sticks’n’Sushi, deren Mitarbeiter immer so fröhlich sind …
… kann ich bestätigen, allein wie man begrüßt wird …
… hat mir mal jemand von einer Einstellungsaufgabe berichtet: die Familie zu Hause malen. Aus Strichmännchen, ganz einfach. Lachen die Leute auf dem Bild? Wenn nicht, kann man die Person auch nicht einstellen. Es ist generell so: Wenn man in einem positiven, interaktiven, vielleicht ein bisschen extrovertierten Umfeld aufwächst, mit Freundlichkeit und Liebe, ist man für diese Branche wunderbar geeignet. Und man kann Gastgeberschaft auch fördern. Ich habe Manuals geschrieben, damit auch Berufsfremde sich eingewöhnen können: Wenn jemand reinkommt, begrüße ihn, wie du ihn zu Hause begrüßt. Verabschiede ihn auch so. Bietest du ihm etwas an, dann das Beste, was du ihm anbieten kannst. Im Buch habe ich diesen Vergleich auf einer Seite gezogen.
Agilität wird ja gerade viel diskutiert in der Arbeitswelt, auch in Ihrem Buch sprechen Sie darüber. Dabei kommt der Begriff ja vor allem im IT-Bereich zum Tragen: Wir haben ein Ziel, zum Beispiel eine App entwickeln – wie wir dort hin kommen, gestalten wir flexibel, wir arbeiten „auf Sicht“.
Wir sind in dieser Branche viel agiler als andere! Wir kennen es, in sehr flexiblen Teams zu arbeiten, verschieden Schichten und Zeiten. Das erfordert andere – agile – Methoden, allein wenn ich mit meinem Team etwas besprechen will. Wir sind immer schon gewohnt, bestimmte, auch kuriose und ganz unterschiedliche Mitarbeiter zu haben. Total extrovertierte, super fröhliche, ein schwules Pärchen dazwischen, besonders elegante Leute … und es ist so bunt gemischt und für uns schon immer normal gewesen – das zieht in anderen Branchen ja gerade erst ein. Dahin gehend sind wir schon sehr weit.
Und was die Projekte und Prozesse angeht?
Wenn ich bestimmte Arbeiten am Konzept zu erledigen habe, muss ich Hand in Hand mit Kollegen arbeiten und kann mir dafür Techniken aus andern Branchen holen. Zum Beispiel als agiles Team: der eine macht home office, der nächste sitzt im Büro, man nutzt Tools wie zum Beispiel Meistertask, um auf einer Plattform zu arbeiten. Für kreative Teams ist das sehr geeignet, da ich ja nicht alle zur gleichen Zeit am gleichen Ort habe – und das ist ja sehr branchentypisch. Natürlich muss ich ein gewisses Regelwerk einhalten. Wir haben schon eine Präsenzdienstleistung, wie ein Krankenhaus – sonst ist zu gewissen Zeiten keiner im Restaurant.
Junge Mitarbeitende: Wie können sich Gastro-Unternehmen mehr an den Bedürfnissen der Generation Z orientieren?
Es muss vor allem fair zugehen. Initiativen wie FairJobs – erklären – zeigen meiner Meinung nach gut, wie es geht. Zugleich vermisse ich eine gewisse Flexibilität, weil sie gesetzlich eingeschränkt wird. Wenn ich rechtzeitig vorher ankündige, da ist eine Hochzeit, die geht 13, 14 Stunden, dafür machst du dann einen anderen Tag frei mach morgen dann mal frei – das kann ich auch einer Generation Z klar machen. Aber wir haben da eine Gesetzgebung, die mich teilweise erschreckt.
Vielen Dank, Herr Nierhaus.
Mehr Infos:
www.nierhaus.com
Hörtipp: Pierre Nierhaus spricht im Blog der Fachmesse „Ambiente“ über das Thema Design- und Konzepttrends in der Gastronomie.