Juliane Winkler: „Ich bin keine Bedienung!“

Die Restaurantleiterin des „Nobelhart und Schmutzig“ und Initiatorin von #proudtokellner im Portrait

von Jan-Peter Wulf
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Foto: Ben Fuchs

Die Restaurantleiterin des „Nobelhart & Schmutzig“ liebt ihren Beruf. Und setzt sich mit #proudtokellner dafür ein, dass er mehr Wertschätzung erhält. Wir trafen sie zum Gespräch. 

„Bedienung!“ Dieser unhöfliche Ruf nach dem Kellner, man kennt ihn aus Filmen, Sketchen, vielleicht sogar noch von eigenen Restaurantbesuchen, gehört in die Mottenkiste. Findet Juliane Winkler, Gastgeberin und Restaurantleiterin im Sternerestaurant Nobelhart & Schmutzig Berlin: „Ich bin keine Bedienung! Wir servieren den Menschen etwas zu essen, wir bringen ihnen Wein – aber wir dienen nicht. Wir sorgen für Atmosphäre. Wir sind die Menschen, die durch den Abend führen.“ Wir, das sind Restaurantleiter und -leiterinnen, Kellnerinnen und Kellner. Menschen, die einen gastronomischen Beruf ausüben, der – anders als Köche, die teils zu TV-Stars geworden sind, anders aber auch als Sommeliers – nur selten Aufmerksamkeit und Wertschätzung erhält.

Zu wenig Sichtbarkeit

Dabei ist die Tätigkeit von Juliane Winkler und vielen ihrer Kolleginnen und Kollegen eine enorm vielseitige und verantwortungsvolle. Sie reicht von der Planung und Kontrolle – Reservierung, Platzierung, Servicevorbereitung, Abrechnung etc. – bis zum Abendgeschäft, dem Dienst (aber eben nicht dem Dienen) am Gast. „Doch nur wenige Menschen haben den Blick für uns“, so Winkler. Dies wurde ihr in einem Gespräch, das sie mit ihrer Kollegin Angelina Jagsch 2021 führte, noch einmal so richtig bewusst.

Eigentlich wollten die beiden sich über die ausbleibenden Bewerbungen im Service austauschen, Jagsch arbeitete zu dieser Zeit im Berliner Fine-Dining-Restaurant „Dae Mon“. Doch schnell erkannte man: Die Herausforderung ist eine viel größere. Der Beruf des Kellners bzw. der Kellnerin erhält viel zu wenig Sichtbarkeit und Anerkennung. Viele Gäste (miss)verstehen ihn als Interimslösung oder als Nebentätigkeit. Und es fehlt an Austausch. Winkler: „Meist hat man nur ein paar Personen im persönlichen Netzwerk, selten in anderen Städten.“ Dabei seien die Fragen oder Herausforderungen doch überall ähnlich: „Was sind meine Aufgaben, wenn ich zum ersten Mal die Stelle als Restaurantleitung übernehme?“

Stolz auf den Beruf

Dies war die Geburtsstunde von #proudtokellner, der „Initiative von Kellner*innen für Kellner*innen“, die man 2022 startete und die mittlerweile ein eingetragener Verein ist – Juliane Winkler ist erste Vorsitzende, Angelina Jagsch zweite. Zu den Mitstreitenden gehören bekannte Gesichter der Berliner Gastronomie wie Viktoria Kniely (Restaurantleiterin im „Tante Fichte“), Bini Lee (Betreiberin und Gastgeberin im „Kochu Karu“) oder Matthias Brandweiner, Betreiber und Gastgeber in der „Hafenküche“.

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#proudtokellner – mehr Wertschätzung für Menschen, die im Service arbeiten: Maria Decker, Ilona Scholl, Sabine Panzer, Viktoria Kniely, Anna Götz , Angelina Jagsch, Katharina Bambach, Juliane Winkler, Sophia Fenger, Matthias Brandweiner, Andrea Grudda und viele weitere Mitstreiter*innen. Foto: pctrbrln

Ein Dutzend aktive Mitglieder hat #proudtokellner mittlerweile, auch außerhalb der Hauptstadt. Hinzu kommen zahlende Unterstützende, auch Firmenmitgliedschaften werden angeboten. Arbeitsgruppen wurden gebildet, es gibt digitale Impulsvorträge in der monatlichen „Kaffeepause“, 2023 stellte man sich und seine Profession in einer Frankfurter Berufsschule den Abschlussklassen vor und erhielt die Auszeichung „Gastronomischer Innovator“ der „Berliner Meisterköche“. Für dieses Jahr ist eine größere Imagekampagne geplant, welche u.a. mit Außenwerbung in verschiedenen Städten die Neugier auf den Beruf wecken soll.

Hotel statt Uni

Ein Impuls der Eltern sorgte dafür, dass Juliane Winkler diesen Berufsweg einschlug: Sie waren in ihrer sächsischen Lokalzeitung auf eine Stellenanzeige in Berlin gestoßen. Das „Maritim proArte“ in der Friedrichstraße suchte – wir befinden uns im Herbst des Jahres 2008 – noch Auszubildende. Zu dem Zeitpunkt jobbte Juliane, die in Karl-Marx-Stadt (heute Chemnitz) geboren wurde und im kleinen Nachbarort Waldenburg aufwuchs, gerade in Köln. Das Studium zum Grundschullehramt in Freiburg hatte sie soeben an den Nagel gehängt, in der Domstadt jobbte sie in Kneipen und Restaurants.

Das Berliner Hotel machte es Juliane möglich, die Ausbildung zur Restaurantfachfrau verspätet zum 1. November anzutreten. Von ihrer ersten Chefin im „Atelier“, dem damaligen Gourmetrestaurant des Hauses, Frau Jäger, lernte sie unter anderem, „bestimmt, aber nicht bestimmend“ zu sein. „Sie hat mir als junge Frau geholfen, Selbstbewusstsein aufzubauen. Das brauchst du, wenn ein Dutzend Anzugträger da beim Geschäftsessen sitzt!”

Heute, wo sie selbst ein Serviceteam leitet, ist es ihr daher wichtig, die Mitarbeitenden zu befähigen, die Zügel in der Hand zu behalten und sich von Gästen nicht verunsichern zu lassen. Beispiel Kaffee. Als kürzlich eine neue Mitarbeiterin im Service anfing, schlüpfte Juliane in die Rolle eines imaginären Gasts, der sonst „ja nur Kaffee aus der Kapsel“ trinkt und sich über den Aufwand lustig macht, der man hier um das Heißgetränk veranstaltet. Das könnte zu Unsicherheit führen, so Winkler. Dagegen helfe Präsenz: An den Tisch gehen. Dem Gast den Kaffee ankündigen. Etwas zu diesem zu erzählen haben. Oder dem Gast eine sinnvolle Frage stellen.

Sechzehn-Stunden-Schichten

Nach der Ausbildung ging Juliane Winkler 2011 ins ehemalige „Ramada“ am Alexanderplatz und stieg zum Demi Chef de Rang auf. Ein gutes Jahr später wechselte sie ins Sternerestaurant „Vau“ zu Kolja Kleeberg. Großer Gastro-Name, bretthartes Business. Teildienste ab zehn Uhr vormittags bis zwei Uhr früh am nächsten Tag waren Usus, nicht selten fiel sogar die Pause trotz aller rechtlichen Ansprüche flach, wenn Mittagsgäste Sitzfleisch hatten, Wein nach- und nachbestellten und blieben, bis bereits wieder der Abend vorbereitet werden musste.

New Work

Wie hingegen neues Arbeiten in der Gastronomie aussehen kann, lotet man im „Nobelhart & Schmutzig“ aus. Das Restaurant positioniert sich nach außen immer wieder aufmerksamkeitsstark – „brutal lokal“, politisch, gegen die intransparente Vergabe des „grünen“ Michelinsterns, zuletzt mit einer Video-Dokumentation über den Fleischlieferanten Erdhof, die ungeschönte Bilder vom Schweineschlachten auf die Straße wirft. Aber auch nach innen: Trinkgeld wird gleichmäßig (anteilig nach Arbeitsstundenzahl) verteilt. Die Position des Spülers wurde abgeschafft, das Küchenteam übernimmt diesen Posten rotierend.

Als Mitinitiatoren von Die Gemeinschaft e.V. setzt man sich für eine bessere, verantwortungsvolle Esskultur und eine Verbindung zwischen Erzeugern, Genusshandwerkern und der Gastronomie ein. Seit 2022 gibt es eine Vier-Tage-Woche und im „Code of Conduct“, den das „Nobelhart & Schmutzig“ im Frühling 2023 veröffentlichte, ist zu lesen: „Wir arbeiten kontinuierlich daran, einen sicheren, diskriminierungsfreien und wertschätzenden Raum für alle Mitarbeitenden zu schaffen – und die Gastronomie vor allem auch zugänglicher und attraktiver für Menschen zu machen, die nicht dem „Normalbild“ des weißen, cis-männlichen Kochs entsprechen.“

„Die perfekte Chance“

Bevor Juliane Winkler Anfang 2018 Teil des Teams wurde, war sie vier Jahre stellvertretende Restaurantleitung im Ex-„Reinstoff“ von Daniel Achilles. Dort lernte sie auch ihren Partner und baldigen Ehemann Pascal Kunert kennen, der dort als Sommelier tätig war. Drumherum gab es zwei Intermezzi im Ex-„Hartmanns“ sowie im „Mine Wine“. Schon zuvor als Gästin im „Nobelhart & Schmutzig“ war und auf der anderen Seite des langen, u-förmigen Tresens saß, war ihr aufgefallen, wie durchdacht und zweckmäßig das Setup ist, mit cleveren Details wie Einlassungen in den Arbeitsflächen, gefüllt mit Eis für Schampus und Co., statt dass die herkömmlichen Bowls auf dem Tresen Platz rauben. „Bei der Probearbeit war ich unfassbar aufgeregt, es war für mich die perfekte Chance.“ Als der Betreiber Billy Wagner sie danach anrief, um ihr zuzusagen, stand sie gerade mit dem Auto an der Ampel und begann spontan wild zu hupen. „Der Fahrer nebenan hat rüber geschaut: Was ist denn mit der los?“, erinnert sie sich lachend.

Die feinen Unterschiede

Es ist beeindruckend, mit wie viel Leidenschaft und Freude Juliane Winkler über ihr Tun spricht. Sie liebe es zu kommunizieren, zu planen, wo sie die – auch vielen internationalen – Gäste platziert, damit diese mit ihren Nebengästen am Tresen auf Wunsch leicht ins Gespräch kommen. Ebenso Eventabläufe festzulegen, neue Designs für Karte und Co. zu selektieren und das Gästeerlebnis mit kleinen Details zu verbessern. Dank Zahnstochern, die im Sanitärbereich stehen, abgeguckt aus einem Kopenhagener Restaurant, muss niemand mehr im Gastraum pulen. Schals werden stets um den Bügel gewickelt, nicht in die Jacke gestopft. Rechnungen reicht man – japanischer Stil – mit beiden Händen.

Kleine, feine Unterschiede in den Standards. „Ich mag Routinen. Sie geben mir eine Grundlage. Und dann kommt der Gast und bringt alles durcheinander“, sagt Juliane lachend. „Aber wenn du eine gute Routine hast, gehst du umso besser damit um.“

Individuelle Modelle

Was muss sich ihrer Meinung nach ändern, damit wieder mehr Menschen Lust haben, auch ihren Weg zu gehen? Welche Tipps hat sie für Arbeitgeber? „Findet individuelle Lösungen und geht auf die Bedürfnisse eurer Mitarbeitenden und der Bewerber ein“, rät sie. Wer Kinder habe, benötige ein anderes Arbeitsmodell als jemand wie sie, die gerne ein freies Wochenende mit ihrem Partner genießt, der mittlerweile nicht mehr in der Gastronomie tätig ist. „Auch die Arbeitnehmer müssen lernen, nicht immer auf die anderen zu schauen“, findet sie. Sie rät zu einer individuellen Aushandlung, wie man es für das Gehalt kennt – nur eben für Arbeitszeiten und -bedingungen.

Mehr über #proudtokellner hier. Dieser Text erschien zuerst in fizzz 4/2024.

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