Köche sind „Rockstars“ und zum Teil zu TV-Größen geworden. Und Kellner*innen? Das Bild des Tellertaxis muss unbedingt in die Garage. Die Kreativität, den Anspruch und damit auch die Attraktivität dieses Berufs will die neue Graswurzel-Initiative #proudtokellner in den Vordergrund stellen.
Die Zoomleitung steht, einmal von Berlin nach Berlin und einmal nach Brandenburg. Wir sprechen heute mit Juliane Winkler, Restaurantleiterin im Nobelhart & Schmutzig, und mit Maria Decker, Gastgeberin und Projektmanagerin im Gut Boltenhof in Fürstenberg/Havel. Wir könnten heute über regional-saisonale Küche sprechen, über Nachhaltigkeit – Themen, die in beiden Betrieben ganz oben auf der Agenda stehen. Aber wir sprechen heute über Service. Wobei: So, wie die beiden Service(kultur) verstehen, ist sie durchaus nachhaltig, ein Teil der sozialen Nachhaltigkeit. Juliane Winkler und Maria Decker gehören zu den Initiator*innen von #proudtokellner – einer Graswurzel-Initiative von Menschen, die im Service tätig sind, für Menschen, die im Service tätig sind oder es noch werden wollen.
Nicht-nur-nebenbei-Beruf
Und genau da liegt ja der Hase im Pfeffer: Der Status quo ist das Gegenteil von nachhaltig, es wächst kaum noch etwas nach. Arbeiten und Karriere machen in der Gastronomie? Nicht erst seit, aber umso mehr seit Corona immer weniger attraktiv. Ganz besonders im Service.
„Unsere Motivation ist, jungen Leuten zu zeigen, dass es ein toller Nicht-nur-nebenbei-Beruf ist, sondern dass es okay ist, dahinter zu stehen. Wir wollen zeigen, dass es viel mehr ist, ein Berufsfeld“, erklärt uns Maria. Initiativen, die das Image der Branche aufpolieren wollen, gibt es ja so einige. Die aktuelle Kampagne Seite wechseln des Dehoga Hamburg ist, so gut sie auch gemeint sein mag, geradezu desperat: Als sei es damit getan, die Tresenseite zu tauschen. Die Lösung liegt wohl eher darin, dass es nicht so einfach (und nebenbei) ist, sondern dass es für mehr Wertschätzung, von der so oft zu hören ist, eben auch mehr Wert braucht: mehr Substanz, mehr Perspektive, Professionalisierung – ein Berufsbild.
„Die hatten keine Ahnung, wie australische Gastronomie funktioniert“
Maria hat ihren Beruf in Australien gelernt und anschließend internationales Management in Deutschland studiert. Was ihr dabei widerfahr, zeigt, woran es hapert. Denn so systematisiert und modularisiert die Ausbildung zum Waiter in Down Under, so wenig anschlussfähig erwies sie sich hier: Sechs Jahre Berufserfahrung im Service – u.a. als Restaurantleitung – konnte sie sich nicht für Pflichtpraktika im Studium anrechnen lassen. „Das sei nicht professionell genug, wurde mir gesagt. Und das wurde an der Branche (also der Gastronomie, Anm. d. Red.) ausgemacht. Dabei hatten die keine Ahnung, wie die australische Gastronomie funktioniert.“
Juliane kam 2008 nach Berlin. Sie hat Restaurantfachfrau gelernt und leitet seit vier Jahren den Service des von Billy Wagner betriebenen Restaurants (ein Stern), das mit seinem „brutal lokal“-Konzept überregional bekannt ist. Und dennoch, immer wieder fragen sie Leute auch heute noch: Was machst du danach? Studierst du? „Wenn man sagt, man arbeitet in einem Restaurant, dann erntet man, jetzt mehr denn je, einen wahnsinnig mitleidigen Blick. Wie verdienst du mit diesem Beruf überhaupt Geld?“
Was zur Folge hat, dass die Bewerbungen bei ihr ausbleiben. In der Küche von Michael Schäfer wollen viele mitarbeiten. „Da bekommen wir viele Anfragen, selbst wenn die Positionen gar nicht ausgeschrieben sind“, berichtet Juliane. Im Service hingegen sei es „sehr schwierig“. Ähnlich sieht es auf „Gut Boltenhof“ aus: „In der Küche haben wir, weil wir eine eigene Landwirtschaft haben, kein Problem. Die Köche können sich hier rundum ausleben“, so Maria. „Service auf dem Land ist hingegen fast hoffnungslos. Dass sich jemand direkt bewirbt – unrealistisch. Wir werben auf allen Plattformen, es meldet sich niemand. Im Sommer haben wir Schüleraushilfen, die meisten kommen wegen der Tiere. Die holen wir quasi durch die Hintertür hinein.“ Vom Stallausmisten in den Service.
Wie kommen wir an Serviceleute ran?
Ende 2021 sei ihre alte Kollegin Angelina Jagsch (Restaurantleiterin im „Dae Mon“, Berlin) auf sie zugekommen, berichtet Juliane: Wie kommen wir an Serviceleute ran, anders, besser? So entstand die Idee, etwas zu starten. Man ging die Kontakte durch, vernetzte „Herzblut-Kellner*innen“ miteinander, mittlerweile sind es über 50 Leute in der Gruppe, innerhalb und außerhalb von Berlin, die nun den schönen Namen #proudtokellner trägt.
In regelmäßigen Meetings hat man sich nun gefunden und bereits einige Aufgaben definiert, Themen erarbeitet. Zum Beispiel will man über Social-Media-Kanäle zeigen, wie der Service-Alltag aussieht, um das Interesse zu wecken. Die Gesichter und die (Service-)Geschichten dahinter vorstellen. „Zeigen, dass wir das nicht nebenbei machen, sondern wir uns mit Hingabe und Verantwortung unseren Gästen widmen und dass noch viel mehr dahinter steckt“, so Maria. Aber auch an die Ausbildung kritisch rangehen: „Die ist in der Gastronomie nicht mehr zeitgemäß, die passt überhaupt nicht mehr zu dem, was in unserem Arbeitsalltag zu leisten ist“, erklärt Juliane.
Praktika vermitteln
Ganz konkret besteht zum Beispiel die Idee, Praktikumsplätze in den Betrieben anzubieten – auch fürs Schulpraktikum. Juliane: „Dafür muss man offen für sein. Klar ist das schwierig mit den Arbeitszeiten, doch wenn du den jungen Menschen die Chance verwehrst, reinzuschnuppern, nur weil sie um acht oder neun Uhr abends nach Hause müssen, kannst du auch keinen Nachwuchs generieren.“ Im vergangenen Jahr habe man sich bei den Eltern einer Schulpraktikantin die Erlaubnis eingeholt, dass sie am letzten Tag bis 22 Uhr bleiben durfte. „Damit sie sehen konnte, was im Service bei uns passiert“.
Im Moment frage der Gast das Servicepersonal – wenn es ihn durch Kompetenz „überrascht“ – eher noch: „Du bist viel schlauer als ich dachte, du könntest doch was ganz anderes machen“, so Maria. „Wo wir hinwollen ist dass, er sagt: Du machst hier genau das Richtige. Das finde ich gut, mach das weiter.“
Mehr Infos zur Initiative gibt es bald auf einer eigenen Webseite. Insta gibt’s schon.