#restartgastro 2021, Teil 3: Lausebengel, Berlin

von Jan-Peter Wulf
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Gut gelaunt: Tim Gräsing, Dean Sprave und Janosch Thomsen. Foto: Redaktion

Wie geht’s, lieber Lausebengel? Mit dem neuen Koch Dean Sprave will das Kreuzberger Lokal, das sich auf Bier und Berliner Küche spezialisiert hat, durchstarten. Dass er jetzt mit an Bord ist, hat was mit einem Friseurgeschäft zu tun. Wir haben uns aufklären lassen. 

Beim letzten Besuch hier in der hübschen Grimmstraße war Betreiber Janosch Thomsen ziemlich angespannt, um nicht zu sagen angepisst. Kein Wunder. Es war Mitte Oktober 2020 und es zeichnete schon ab, dass die Gastronomie wohl wieder auf Eis gelegt würde. Soeben hatte man sich erst nicht ganz günstige Raumluftreiniger mit Hepafilter zugelegt. Zwei Wochen danach musste man trotzdem schließen, wie alle Betriebe.

Jetzt ist Sommer 2021 und Janosch sieht deutlich entspannter aus. Eine neue Frisur hat er, kurz geschoren sind die Haare und blond gefärbt. Den markanten Cut hat er sich beim Friseur gegenüber, dem Kiezschnitt, zugelegt. Warum es wichtig ist, den Laden zu erwähnen: Bei einem Termin dort berichtete ihm Inhaberin Kristina Schulze, dass der Sohn eines ihrer Stammkunden Koch sei und gerade was Neues suche. Er wohne auch in der Gegend. Dieser Koch entpuppte sich als Dean Sprave, der zuvor die Küche des hippen „Crackers“ (Cookie) in Mitte geleitet hat und dort mit seinem Team für ein echt super Essen gesorgt hat. Und die beiden wurden in Kontakt gebracht.

Weil er gerne in einer kleineren Küche in seinem Kiez arbeiten, sie zu seinem „kulinarischen Wohnzimmer“ machen und weil man sich im Lausebengel auch etwas neu orientieren wollte (Kristof Mulack ist nicht mehr an Bord, kommt aber immer noch gerne als Gast vorbei), kam es, dass man einige Male um den Kanal flanierte und dann entschied: Wir passen zusammen, wir machen das zusammen. „Wir drei haben Ideen, die harmonieren“, so der gebürtige Wittener Dean Sprave und meint damit als dritten Tim Gräsing, der als Biersommelier u.a. für die Bierauswahl des Konzepts verantwortlich zeichnet.

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Stullen gibt es nicht mehr, Brot aber sehr wohl: Kanten aus handgeschöpftem Dinkelbrot aus Süddeutschland, das frisch aufgebacken und auf Selleriesalz mit Bierbutter serviert wird – als direkte kleine Sättigung, dazu regionaler Bioquark mit Leinöl.

Viele Kleinigkeiten zum Teilen stehen im Zentrum von Spraves Küche: „Ein Happen muss mit einem Biss alles transportieren, was das Gericht erzählen will“, sagt er, und das Sharing, wie es heute ja heißt, kenne er schon von zu Hause. Die Blutwurstkrokette – quasi ein „signature dish“ des „Lausebengel“, ist geblieben, hat aber ein neues Kleid bekommen: Fleisch, in Bier gekochte Zwiebeln und getrocknete Äpfel werden gemeinsam gewolft und in Filoteig gewickelt, lauwarmes Relish gibt man dazu. Als Topping: Grafschafter Goldsaft.

„Beete und Ziege“ gibt es auch als Happen, mit frischem Meerrettich und karamellisierter Wallnuss. Matjes? Jes, jes, jes: in Sherry-Essig, dazu Kapern, Spreewaldgurken und weiches Bio-Ei, Rucola drumherum. Das Erbsen-Tartar hat Sprave aus dem Crackers mitgebracht und serviert es nun in Lausebengel-Version mit Topinambur in Essigsud, Buchenpilzen, Orange. Frisch und knackig!

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Spitzkohl, Broiler und Rippchen gibt es als neue Hauptspeisen. Wir testen sie heute auch in, Probiergröße, ebenfalls klasse. Und zu jedem Gericht wird die Bar sicher eine Bierempfehlung aussprechen können, alkoholfreie Optionen inklusive. Oder die Cider-Hauskreationen.

Es schmeckt ausgezeichnet, die Gäste haben Spaß, die Abendsonne scheint, um die Ecke auf der Admiralsbrücke herrscht das pralle Leben wie vor Corona. Es fühlt sich alles echt nice an. Berlin war so furchtbar zweidimensional im Lockdown, es gab nur Länge und Breite, Straße runter oder abbiegen, aber keine Tiefe: Nirgendwo konnte man reingehen, die Orte und Räume genießen, die die Gastro-Stadt so ausmachen.

„Es war eine Zeit mit allen Höhen und Tiefen“, blickt Thomsen zurück. Man sei erst völlig am Ende gewesen, weil die Hilfen nicht kamen, stattdessen eine Stichprobenprüfung. „Wir mussten einen Mietvertrag hinschicken, dass wir ein Restaurant betreiben. Wir wussten nicht warum, hatten keinen Ansprechpartner, konnten niemanden fragen, wie lange die geht und was wir tun können.“

Die Unwissenheit sei das Schlimmste gewesen. Vier Monate zog sich das hin, ergo kein Geld, aber wie überall reichlich Forderungen. Miete, Ware, Strom und so weiter – zwischenzeitlich war der Strom auch mal ausgeknipst worden. Den Stecker zu ziehen, sei den Lausebengeln aber nie in den Sinn gekommen. Es war nämlich keine Option – dafür hat man zu viel investiert und einen langen Mietvertrag abgeschlossen. All in.

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Als dann endlich das Geld kam, ging es zum Glück zügig wieder bergauf. Mit der Überbrückungshilfe III wurden u.a. Sanitär- und Personalräume renoviert. Und jetzt sieht man, zusammen mit der neuen kulinarischen Führung, der Zukunft positiv entgegen.

Thomsen: „Wir schaffen das, selbst wenn wir noch einmal zumachen müssten.“ Hoffen wir, dass das gar nicht wird nötig sein müssen und dass auch das Veranstaltungsgeschäft, das für die Location besonders wichtig ist, wieder auf alte Höhen zurückkommt. Zum Schluss will der Gastronom noch etwas betonen: „Es waren echt schwierige Monate. Aber wir sind dankbar, dass es in Deutschland überhaupt finanzielle Hilfen für uns gibt. Die gibt es in vielen Ländern nicht.“

Alles Gute, liebe(r) Lausebengel.

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