In Berlin-Schöneberg hat Serhat Aktas ein kleines, feines Refugium für Weingenuss geschaffen, das sich mittlerweile (fast) zum Restaurant weiterentwickelt hat. Die Lockdowns haben den Start verzögert und abgebremst, doch der junge Gastronom hat sich nicht in die Knie zwingen lassen und startet mit seinem Team durch.
Als wir uns hier das letzte Mal trafen, war es Sommer 2020, warm und im hübschen Innenhof des „Weinlobbyist“ hatten sich viele Leute aus der Berliner Gastromedienszene eingefunden, um auf den Start des Konzepts anzustoßen. Das war ein sehr schöner Nachmittag und Abend gewesen, zumal es eine rare Veranstaltung dieser Art in dieser seltsamen Zeit war. Das ist nun 13 Monate her. Es ist wieder Sommer, zumindest kalendarisch. Es regnet erneut Bindfäden unterschiedlicher Garnstärke, etwas Herbstliches liegt in der Luft, aber wir sitzen dank großer Schirme im Trockenen und es ist gar nicht mal so kühl, denn der Innenhof ist schmal und hoch.
„Ich bin gerade dabei, mich schlau zu machen, wie ich den Innenhof wintertauglich kriege“, erklärt Serhat Aktas, Betreiber, Sommelier und Gastgeber (nominiert als Gastgeber des Jahres bei den „Berliner Meisterköchen“). Eventuell kaufe er Seitenplane für die Schirme dazu, um Zelte draus zu machen, vielleicht stelle er aber auch einen Pavillon auf. Die Gäste sitzen nämlich sehr gerne draußen hier, der Hof ist aber auch ein geradezu überraschendes Schmuckstück: Vorne die laute Kolonnenstraße, sie könnte keinen treffenderen Namen tragen, hinten kommt man sich vor wie in einem kleinen, verschlafenen Ort irgendwo kurz vor dem Mittelmeer, mit etwas Fantasie jedenfalls.
Was im länglichen Innenraum des „Weinlobbyist“ auffällt: Es gibt keine Küche. Vorne, an der Bar, werden nicht nur die Weine vorbereitet, sondern auch die Speisen. Bei der ursprünglichen Planung war das baulich exakt das, was Aktas für sein Konzept benötigte. „Die Idee am Anfang war: Wein, Wein, Wein und Leckerei“, erklärt er. „Jetzt sind wir bei Wein und Leckerei“, fügt er lachend hinzu.
Der Foodanteil ist deutlich höher als gedacht: Beim Erstellen der Jahresabrechnung für 2020 habe er festgestellt, dass er drei- bis viermal mehr Speisen verkauft hatte als ursprünglich im Businessplan „geplant“. „Das war krass, im positiven Sinne natürlich.“ Manchmal formen sich die Gäste das Konzept eben nach ihrem Gusto ein Stück mit. Und wenn sie gerne auch gut essen wollen, nicht nur einen kleinen Happen, sondern derer gerne mehr, dann kann das ja nur gut sein. Wer mehr isst, bestellt auch die zweite Flasche Wein, n’est-ce pas?
Dementsprechend stellte Aktas dann auch nicht wie zunächst geplant eine weitere Servicekraft ein, sondern machte sich auf die Suche nach einem Koch. Ganz zu Anfang hatte er sich vom Dortmunder Koch David Kikillus einige funky Dishes kreieren lassen, die man ohne dessen Präsenz (er arbeitete nie im Betrieb mit, war auch nicht so vorgesehen) gelingsicher zubereiten konnte. Doch nun sollte es schon ein Profi sein. Über einen gemeinsamen Freund lernte er Ronny Marx kennen, der in Berlin zuvor u.a. im „Café Rizz“, im „Brauhaus am Südstern“ und im „Brechts Steakhaus“ kochte (im „Brechts“ auch Chef-Pâtissier).
Auf seiner neuen Karte stehen nun Flammkuchen verschiedener Art sowie „glokale“ Tapas: zwei Wochen gepökelter Salt-Beef-Burger (mit selbstgebackenem Bun) mit Dijon-Mayo, Gurkenrelish und Essigschalotten zum Beispiel. Oder ein „Austrian-Sushi“ mit Lachs, Kren, Gurke und Bio-Sojasoße von Brenner Hans Reisetbauer und Koch Roland Trettl. Oder ein Kammmuschel-Carpaccio mit Ayran, Gurke und Miso aus dem Schwarzwald, ferner Jahrgangssardinen mit hausgemachtem Sauerteigbrot und Butter. Immer zum Wein passende Käse- und Schinkenplatten gibt es auch. Aber wie gesagt: Es gibt keine Küche und hinter dem Tresen wenig Platz für die Zubereitung, doch das scheint dem Team gar nichts auszumachen. Es gibt schon einen Ofen, allerdings steht der im Obergeschoss des Hauses (wo der „Weinlobbyist“ einen Tasting- und Eventraum hat, der hoffentlich bald in Dienst treten kann).
So wird das Setup auf absehbare Zeit auch bleiben, denn natürlich muss das junge Gastro-Unternehmen genau auf die Zahlen schauen. Dem „Weinlobbyist“ gehe es ganz gut, so Aktas, aber der Start war hart: Übernahme der Fläche (Ex-„Hofkäffchen“) zum 1. Februar 2020, geplante Öffnung im Frühling. Stattdessen Corona, Lockdown, zusätzlich Stress mit den Behörden. „Meine Steuernummer habe ich Anfang Februar beantragt und Ende Mai bekommen“, erklärt Aktas. Er eröffnete Ende Juni soft, im Juli offiziell. Ein guter Sommer kam und dann im November die erneute Schließung.
Würde der gelernte Restaurantfachmann und Sommelier, der zuvor u.a. im „Grace“ (Hotel Zoo Berlin), im „Savu“ und im „Theodor Tucher“ arbeitete, sich noch mal selbständig machen? Er zögert kurz. „Nein.“ Nein? „Nicht zu diesem Zeitpunkt. Wenn ich gewusst hätte, was da kommt …“ Er sieht sich um und sagt: „Ich liebe die Location. Aber ohne Investoren, mit privat Erspartem und Darlehen … du willst dich selbständig machen, unterschreibst den Vertrag, zehn Tage später gibt es die ersten Fälle. Dann der Lockdown. Du bist an den Vertrag gebunden, acht Jahre. Das ist schon ein Schock. Du hast schon angefangen, Geld auszugeben, dann kommt sowas. Dann darfst du aufmachen. Dann musst du wieder zumachen und sitzt da. Sieben Monate. Natürlich denkst du darüber nach: Ist Aufgeben besser? Oder durchziehen? Was wird mich das kosten? Wie viel Geld bekomme ich überhaupt vom Staat?“
Nur dass wir den jungen Gastro-Gründer nicht falsch verstehen oder darstellen: Schließen ist jetzt überhaupt keine Option mehr. Aktas und sein Team sind im „Weinlobbyist“ mit Herz und Leidenschaft am Werke, und der Ort hat sich bereits ein schönes Stammpublikum aufgebaut. Doch anderthalb Jahre unter Corona-Bedingungen, das ist, trotz Hilfen, eine wirtschaftliche Delle, die erst einmal ausgebeult werden will.
Aktas: „Es geht natürlich vielen anderen Betrieben so wie uns, das ist mir klar. Aber trotzdem muss ich natürlich zuerst an meinen eigenen denken.“ Das ist auch klar. Wir drücken die Daumen, dass sich die Lobbyarbeit für guten Wein und gutes Essen auszahlt und wir noch viele Male in den schönen Hof zurückkehren werden. Das Team tut, das sieht, schmeckt und merkt man, jedenfalls alles, um sich und uns eine gute Perspektive zu schaffen.