Dass etwas nicht stimmt, habe ich lange selbst nicht bemerkt. Über 15 Jahre habe ich gekellnert und hatte immer Spaß an dem Job. Ich habe mir so mein Studium und auch eine Zeit lang meinen Lebensunterhalt finanziert, denn ich konnte mir einfach nicht vorstellen, in einem Geschäft rumzustehen oder in einem Büro rumzusitzen.
In den 15 Jahren bin ich nur einmal von einem Gast massiv begrapscht worden. Es war ein Promi bei einem Event, der mir, als ich die Hände über dem Kopf mit einem Tablett voll mit Biergläsern balanciert habe, mit beiden Händen unter die Bluse gefasst und an meine Brüste gegriffen hat. Dass ich ihm vor Schreck das Tablett auf den Kopf habe fallen lassen, hat mich wenig gestört. Ihn sehr … und meinen Chef noch mehr.
Ansonsten bin ich gut durchgekommen. Was nicht selbstverständlich ist. Dass etwas überhaupt nicht stimmt, ist mir erst Jahre später klar geworden, als ich selbst reifer, erwachsener und mutiger geworden bin. Ich arbeitete da schon länger als Beraterin und begleitete ein Projekt in Frankfurt, das eine gastronomische und servicetechnische Neuausrichtung suchte. Das Team der Kunden bestand aus vier Männern. Wir waren drei. Ich die einzige Frau. Wie so oft. Nichts Neues.
Bei der Diskussion, wie man eine zeitgemäße Erlebniswelt erschafft, fiel immer wieder ein Satz: „Wir brauchen smarte Typen und scharfe Hasen!“ Die Rollenverteilung und der Anspruch waren damit geklärt.
Das ging mir total auf die Nerven, gesagt habe ich nichts. Es war eh nicht einfach, bei so viel selbstbewusstem Testosteron gehört zu werden. Da wollte ich mich nicht auch noch mit einer Diskussion über „die Rolle der Frauen“ unbeliebt machen. Das ist jetzt zehn Jahre her und ich bin froh, dass ich mir in meiner Rolle mittlerweile sicherer bin und ein Standing habe, mit dem ich jederzeit den Mund auf machen kann, wenn ich merke, da läuft etwas verkehrt. Das geht, aber auch weil sich der Zeitgeist verändert hat und die Diskussionen, was die Rolle der Frauen im Beruf betrifft, auch vor der Gastronomie nicht Halt macht.
Es gab und gibt ungeschriebene Gesetze und Muster die jahrelang einfach hingenommen wurden. Kellnerinnen haben normativ attraktiv zu sein. Je attraktiver, um so besser das Revier, in dem man eingesetzt wird. Was massive Auswirkungen auf das Trinkgeld hat. Also passt du dich an. Die Schönen kamen nach vorne – die anderen zum Abarbeiten nach hinten. Ganz simpel. Die Kleidung bitte sexy, aber nicht zu sexy. Sonst ist man schnell mal selbst schuld, wenn der Gast die Grenzen nicht kennt. Styling aufwändig – aber bitte nicht eitel rüberkommen. Das ich von 15 Jahren zehn Jahre in High Heels gekellnert habe, hat in den 80er/90ern keiner in Frage gestellt. Die „tollen“ Mädchen konnten das.
Es gibt heute noch Arbeitgeber*innen (ja, auch Frauen), die dich auffordern einen „Trinkgeld-Ausschnitt“ zu tragen, wenn du mit dem Stundenlohn unzufrieden bist. Selbst schuld, wenn der Umsatz nicht stimmt und du einfach nicht den richtigen Einsatz zeigst!
Dass man im Abendservice jederzeit Lust haben soll, sich selbst von der größten Pfeife anbaggern zu lassen, scheint eins dieser ungeschriebenen Gesetze zu sein. Ansonsten ist man schnell „zickig“. Zickig scheint überhaupt das Lieblings-Etikett zu sein, das Frauen gerne bekommen, sobald sie nicht mitspielen. Zickig im Umgang mit Gästen, zickig im Umgang mit Kolleg*innen. Wenn du als Aushilfe immer die Freitag-Samstag-Abendschicht hast und mal sagst, dass du nicht kannst (na ja, vielleicht hat man halt mal an einem Freitag oder Samstag Abend was vor), bist du sofort kompliziert und man kann sich nicht auf dich verlassen. Ich erwähne es extra, da bei den männlichen Kollegen gerne Nachsicht geübt wird. Männer haben, nach meiner Erfahrung, an einem Freitag bzw. Samstag wohl wichtige Dinge vor. Frauen sind kompliziert und anstrengend – zickig halt.
Das mit der Karriere in der Gastronomie ist eh nicht so einfach. Für Frauen noch schwieriger.
Davon abgesehen, dass Führungspositionen einfach besetzt sind und man oft Jahre warten muss, bis man „an die Reihe kommt“, ist es immer noch ein unausgesprochenes „Problem“, dass Frauen Kinder bekommen können. Also hast du es als Frau zwischen 25 und 40 eh nicht leicht.
Ein Thema, das vielen andere Branchen auch kennen. In einer Branche, in der es aber kaum Führungspositionen gibt, macht es für die intelligente, wissensdurstige junge Frau aber auch keinen Sinn, zu verharren. Also orientiert sie sich nach der Ausbildung schnell um. Falls sie den Beruf überhaupt noch lernt. Jeder, absolut jede*r rät einem jungen Menschen ab, eine Ausbildung in der Gastronomie zu machen. Nur Gastronomen schwärmen von diesem Beruf.
Als Frau macht es von außen betrachtet noch weniger Sinn. Dass diese Branche unglaublich viel Spaß macht und es sehr viele Gründe gibt, sich dieser Branche, gerade als Frau zu verschreiben, verstehen nur Menschen, die schon „drin“ sind oder deren Familie mit der Branche verbunden ist. Den anderen muss man es aufwändig erklären.
Frauen, und gerade junge Frauen, lernen seit einigen Jahren, dass sie alles können und alles dürfen. Dass es egal ist, wie sie aussehen und dass sich ihr Wert nicht nach Äußerlichkeiten richtet. Body-positivity-Bewegungen und ein ausgeglichenes Bildungssystem schaffen viel Raum für Selbstbewusstsein und Selbstverständnis. Und dennoch ist noch viel Luft nach oben bei diesen Themen.
Wir brauchen deshalb in der Gastronomie Arbeitsplätze, in denen sich Frauen gesehen und geschätzt fühlen.
Viele meiner Erfahrungen liegen Jahre zurück und aus der Arbeit mit meinen Kunden weiß ich, dass sich sehr viel getan hat. Die Allermeisten tolerieren es nicht mehr, wenn Kolleginnen und Angestellte begrapscht oder blöde angemacht werden. Für andere gehört es immer noch dazu – also Augen auf bei der Berufswahl!
Ich habe für meinen Beitrag eine Kollegin gefragt, welche Erfahrungen sie gemacht hat. Hier ist ihr Erfahrungsbericht:
Bewerbung für die Position als Restaurant-Manager*in in einem Berliner Sternerestaurant, 2019
Auf meine Bewerbung kam eine prompte Antwort mit der Einladung zu einem ersten Kennenlernen. Das Gespräch verlief sehr positiv, der eine von beiden Geschäftsführern, die selbst auch in der Küche bzw. Service tätig sind, hat dieses geführt. Seine Fragen klopften alle professionellen Erfahrungen und Kenntnisse ab, wo die einjährige Lücke in meinem Lebenslauf der Geburt meines Sohnes zuzuschreiben war. Verblieben waren wir damit, dass wir uns im nächsten Schritt im Arbeitsumfeld, beim Probearbeiten kennenlernen.
Am nächsten Vormittag bekam ich einen Anruf vom zweiten Geschäftsführer, dieser wurde mit der Frage eingeleitet: „Ich habe gehört, du hast ein Kind. Wie soll das denn funktionieren, wenn du bei uns vier Tage am Abend arbeitest?“ Das restliche Gespräch verlief über Vorurteile, wie das moderne Leben mit Kind so aussehen solle und meinen Rechtfertigungen, wie es vielleicht doch vereinbar sei, mit dem Job, den ich so liebe. Nach drei Tagen Probearbeiten, beide waren mit meiner Arbeit, nach eigener Aussage, sehr zufrieden waren, haben sie sich für einen männlichen Mitstreiter entschieden. Mit der Begründung, dass ich Ihnen die zeitliche Flexibilität nicht bieten könne.
Nur drei Monate später, erwartete mich dann eine E-Mail mit der Frage, ob ich noch Interesse hätte. Leider nein. Mittlerweile leite ich zwei Restaurants und lebe noch immer ein glückliches Familienleben. Es geht also doch.
Warum wird die Branche für Frauen immer unattraktiver? Neben dem Offensichtlichen (Lohn/Arbeitszeiten/wenig Aufstiegschancen) und dem eh schon geringen Stellenwert der „Kellnerin“ oder der Servicekraft in der Gesellschaft, gibt es einfach viele die sagen, dass sie sich das nicht mehr antun. Weil sie auf viele Dinge einfach keine Lust mehr haben, die jahrelang hingenommen und kaum hinterfragt wurden.
(Toxische) Gastro-Männlichkeit im TV und auf dem Cover
Hinzu kommt, dass der Umgangston, glaubt man den Medien, mehr als rau ist in der Gastronomie. Zelebriert wird eine von Testosteron aufgeladenen Atmosphäre, und jede*r, der sich Kochshows im Fernsehen ansieht, erlebt eine Sprache, die von einem „sich gegenseitig fertig machen und erniedrigen“ geprägt ist, dass man sich ernsthaft fragt: Wie möchte überhaupt jemand bei diesen Menschen arbeiten? Hinzu kommen die muskelbepackten, bis zu den Ohren tätowierten, brüllenden Gesichter auf Cover in Magazinen.
Dies wird in der breiten Öffentlichkeit mit dem Thema „Gastronomie“ in Verbindung gebracht. Dass man in so einem Umfeld mehr als harte Bandagen brauche, wird einem permanent suggeriert. Und dass man da als Frau schnell abwinkt, ist doch nicht verwunderlich! Dieses Bild entspricht gar nicht mal der Realität, doch wenn man es in den Medien feiert, prägt es die Wahrnehmung.
Unsere Branche ist seit Jahren gebeutelt und Corona hat es noch mal schwerer gemacht, smarte, junge, gebildete Menschen für dieses Berufsfeld zu begeistern. Wir sollten also die Chance nutzen und überlegen, welche Themen hausgemacht sind und wie man sie vermeiden kann. Dazu gehört es, Frauen ernst zu nehmen und Kritik anzuhören, ihnen Aufmerksamkeit zu schenken, Veränderungen anzustoßen und nach außen zu tragen. Damit sich die Wahrnehmung verändert. Und die Realität.
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