Gestiegene Kosten für Energie, Lebensmittel und Personal, die Rückkehr zu 19% Mehrwertsteuer, krisen- und budgetbedingt zurückhaltende Gäste: Die Gourmet- und Sternegastronomie tut sich aktuell schwer damit, Kapazitäten auszulasten und Kunden zu halten, hat sie doch gleichzeitig hohe Ansprüche an Produkt und Performance zu erfüllen. Wie reagieren die Restaurants?
Das Berliner „Nobelhart und Schmutzig“ (ein Michelinstern) etwa hat kürzlich sein Menü verkleinert, auch um den Endpreis für die Gäste senken zu können, und bietet nun zwei Seatings an. Das „Pars“ in Charlottenburg setzt jetzt auf à la carte und am Wochenende auf „uncasual“ Pasta. In Hamburg eröffnete das Glorie – nicht als neues Restaurant, sondern als Casual-Alternative des Zwei-Sterne-Restaurants „100/200“, das dessen Gäste statt des Fine-Dining-Menüs wählen können. Auch die Kollegen aus den Berliner Fine-Dining-Konzepten „Irma la Douce“, „Faelt“, „Horváth“ und dem „Cordo“ reagierten – Letztere gar mit einem komplett neuen Gastrokonzept. Wir haben uns erklären lassen, wie man vonstatten ging – und was sich seitdem verändert hat, fürs Team, für die Gäste und für den Umsatz.
Mehr Zugänglichkeit: Irma la Douce
Für Jonathan Kartenberg stand schon im Sommer 2023 fest: Er muss etwas tun. Sein Restaurant „Irma la Douce“, das 2019 eröffnete und 2021 einen Michelinstern erhielt, brauchte mehr Auslastung und eine Anpassung an ein sich veränderndes Publikum – auf den Grad der Internationalität, den es zu Vor-Corona-Zeiten noch erreichte, kam es nicht wieder. Die Zeiten für die gehobene und besternte Gastronomie sind hart. „Wenn man eine Küche wie im Jahr 2022 anbieten will, dann ist das finanziell für einen frei wirtschaftenden Betrieb (heißt ohne großes Unternehmen oder Investoren dahinter, Anm. d. Red.) nicht mehr zu stemmen, weil die Gäste es einfach nicht mehr bezahlen.“
Das „Irma la Douce“ sollte daher zugänglicher werden, ohne dabei seine Qualität einzubüßen. Das aktuelle Spargelmenü schafft den Spagat: Der Spargelsalat kommt knackig mit Kiwi und Mimolettekäse daher, gefolgt von einem aromatischen Pot au feu mit gebeiztem Eigelb und klassischem Spargel-Hauptgang mit Sauce Hollandaise, dazu wahlweise Loup de mer, ausgebackenes Lammkarree oder Entrecôte. Vier Gänge für 99 Euro, und alles ist auch, wie schon immer hier, à la carte bestellbar. So ein Spargelessen wäre 2023 nicht denkbar gewesen, so Kartenberg: „Dafür hätten wir uns viel zu sehr am Stern festgehalten.“ Ein Gemüse, das gleich dreimal hintereinander auftaucht, hätte nicht in die Gourmetschiene gepasst. Dass man sich davon gelöst hat, empfinde nicht nur er, sondern auch sein Team, zu dem nun auch zwei Auszubildende gehören, als sehr befreiend.
Das Gesamt-Preisniveau konnte man leicht senken, indem teure Zwischengänge wie etwa ein Rochenflügel mit Kaviar von der Karte verschwanden und dafür günstigere Alternativen hinzu kamen. Von Küchenchef Michael Schulz übernahm Francesco Contiero aus dem Team des „Eins44“ den leitenden Posten. Ihm gelang es, den Stern des Hauses zu verteidigen. „Ich bin froh, dass der Stern geblieben ist“, so Kartenberg, „aber wäre auch bereit gewesen, ihn zu verlieren. Wir wollen für Menschen kochen, nicht für Auszeichnungen.“ Was „Irma la Douce“ im Sommer mit einem entspannten Mittelmeer-Menü unterstreichen will.
„Wir machen immer noch einen guten Job, aber wir machen ihn anders.“
Jonathan Kartenberg
Menüpreis runter, Durchschnittsbon rauf: Faelt
In der Zeit um den Jahreswechsel, als die meisten Restaurants vor dem Hintergrund der Mehrwertsteuer-Rückkehr zu 19 Prozent nach oben anpassten (laut Dehoga-Umfrage waren es rund drei Viertel der befragten Betriebe), ging Björn Swanson in seinem „Faelt“ in die Gegenrichtung: Von 134 Euro senkte er den Menüpreis auf 99 Euro, vier Gänge gibt es sogar schon für 79. Alle Gänge sind fortan komplett vegetarisch, Fisch und Fleisch können bei verschiedenen Gängen optional dazu gebucht werden. „Wir hatten ja vorher schon meist nur einen Gang mit Fisch oder Fleisch, insofern war das kein allzu großer Schritt für uns“, erklärt der Koch und Gastronom. Jedoch einer, mit dem er die besonders stark gestiegenen Preise für tierische Produkte aus der Basiskalkulation heraus nehmen kann.
Swanson: „Wir sind ein Kiezrestaurant und haben viele lokale Gäste, die aufs Geld achten müssen.“ Anders als Tim Raue oder Marco Müller vom einzigen Berliner Drei-Sterne-Restaurant „Rutz“ profitiere man auch nicht von medialer Bekanntheit mit entsprechendem Publikum. Die angespannte wirtschaftliche Lage führte hier dazu, dass im Laufe des Vorjahres die Reservierungen zurückgingen – bei nur neun Tischen auf knapp 50 Quadratmetern wird das schnell zur Gefahr. Mit der Preissenkung hat der Reservierungsplan sich zügig erholt. Sein smarter Schritt kam auch insofern zum richtigen Zeitpunkt, als dass die Fach- und Publikumsmedien über einen Kontrapunkt zur Kostenkrise berichten konnten – was viele neue Gäste auf das „Faelt“ aufmerksam gemacht hat. Tatsächlich ist der Durchschnittsbon seit der Senkung sogar leicht gestiegen, was eigentlich paradox ist: Einmal platziert, bestellen sich rund drei Viertel seiner Gäste die Upgrades aus Fleisch, Fisch und Käse dazu. „Das ist natürlich ein positiver Nebeneffekt“, erklärt Swanson.
Das mit der Zugänglichkeit treibt er nun noch weiter voran: Bis Ende August wird das „Faelt“ ab 20:30 Uhr zur „FaeltWeinbar“ mit Weinen, Snacks und dazu à-la-carte-Speisen (vorher Menü-Seating). Und in Charlottenburg eröffnet Swanson bald sein Bistro „swan&son“.
„Wir möchten unseren vielen treuen Gästen entgegen kommen.“
Björn Swanson
Quick’n’Dirty: Horváth
Auch das Zwei-Sterne-Restaurant „Horváth“ reagierte auf die veränderten Bedingungen – mit einem im Umfang reduzierten Menü, das man seit dem vergangenen Herbst unter dem griffigen Namen „Quick’n’Dirty“ zunächst unter der Woche und jetzt auch am Wochenende anbietet. Vier Gänge gibt es inklusive Amuse Bouche, Petit Four, Sauerteigbrot und Wasser-Flatrate zum Preis von 145 Euro. Sofern Platz im Restaurant frei ist, können auch spontane Walkin-Gäste auf der Gastromeile Paul-Lincke-Ufer dieses Menü bestellen.
„Gerade unter der Woche sind mindestens sechs Gänge nicht für alle Gäste passend. Man muss dafür neben dem Geld ja auch Zeit einplanen“, erklärt Geschäftsführerin Jeannine Frank, die das Restaurant zusammen mit ihrem Mann und Küchenchef Sebastian betreibt. „Quick’n’Dirty“ soll Interessierten die Möglichkeit bieten, das „Horváth“ mit seiner „emanzipierten Gemüseküche“ niederschwellig kennen zu lernen, so Frank weiter. Unter anderem den Jüngeren, inklusive Branchennachwuchs, die ein Sternerestaurant ausprobieren wollen, ohne dafür gleich sehr viel Geld berappen zu müssen – sechs Gänge liegen derzeit bei 210 Euro, acht bei 240. Das seien auch diejenigen, die ihren Besuch mit einer Story in sozialen Medien dokumentieren, erklärt Frank – was den Betrieb in neuen Zielgruppen bekannt zu machen hilft. Ähnlich wie im „Faelt“ funktioniert auch hier das Upselling gut: Rund ein Drittel der Gäste, die „Quick’n’Dirty“ essen, so schätzt Sebastian Frank, bestellen sich noch einen weiteren Gang aus der Karte. Flexibel zu bleiben – jetzt zur EM bietet man auch einen exklusiven Lunch an – bleibe in diesem gastronomisch herausfordernden Jahr 2024 wichtig, so Jeannine Frank. Wobei es für ein Sternerestaurant wie ihres gleichzeitig enorm wichtig sei, das Konzept nicht zu verwässern – ein Balanceakt.
„Um auch in diesen Zeiten mit ausdrucksstarken Menüs zu begeistern, sind zugängliche Angebote unabdingbar.“
Jeannine Frank
Seafood-Bar statt Sternerestaurant: Wasser
„Ich hatte keine Lust auf Halbgares“, erklärt uns Yannic Stockhausen – und meint damit, am Konzept des „Cordo“ herum- bzw. herunterzuschrauben. Deswegen entschieden der Küchenchef und Geschäftsführer Christof Ellinghaus im vergangenen Jahr: Das Restaurant schließt, doch die Gastronomie geht weiter – mit einem komplett neuen Thema, nämlich Seafood. Wo sich früher die Kaffeemaschine des Gourmetrestaurants befand, steht nun ein Tresen, an welchem Fisch und Meeresfrüchte frisch vor den Augen der Gäste zubereitet werden. Auf der Karte des „Wasser“, so heißt die Location jetzt, steht z.B. Austern-Rindfleisch-Tartar mit Pilzen,
Jakobsmuschel mit Jalapeño, Blaue Garnelen mit Mandeln oder rote mit mit XO-Sauce,
Tintenfisch-Tacos oder Muscheln mit steirischem Wurstsalat. Seine besten Gerichte seien schon vorher immer die mit Fisch gewesen, so Stockhausen: „Da liegt meine Stärke und meine Leidenschaft.“ Auf Reisen nach Norditalien und Kopenhagen ließ er sich inspirieren und setzte dann mit seinem Team – es ist praktisch dasselbe geblieben – die Idee für die Seafood-Bar in die Tat um. Hat sich die Arbeit vereinfacht? In der Küche nicht wirklich: „Wenn Mitte der Woche der ganze Fisch bei uns ankommt, ist schon eine Menge zu tun, das ist eine andere Nummer als früher“, erklärt der Küchenchef. „Aber der Druck, den wir vorher hatten, ist weg.“
Im Service schon: Viele der Handgriffe, die im Laufe eines Fine-Dining-Abends zu erledigen sind, fallen in einem entspannten Bistro-Bar-Konzept eben weg. Den Michelin-Stern, den das 2018 eröffnete „Cord“ schon 2020 erhielt, habe er selbst abgeschraubt, berichtet er uns – der erlosch mit der Schließung. Für ihn ist dieses Thema vorerst erledigt: „Das Portemonnaie für Fine Dining ist in Berlin heute nicht mehr da.“
Pro Gast habe sich der Umsatz grob halbiert, auf nun zwischen 100 und 150 Euro. Dafür erreicht das „Wasser“ neue Kundschaft und wurde zu Beginn regelrecht überrannt. „Die Gäste waren geflasht. Die haben Bock drauf“, so Stockhausen. Mit einem Grill und einer Cocktailbar auf der Terrasse im Innenhof läutet man jetzt die Outdoorsaison ein. So wild wie in „Cordobar“-Zeiten, der legendären Weinbar, die hier vor dem „Cordo“ war, soll es aber nicht mehr werden. Stockhausen: „Um 23 Uhr ist Schluss.“
„Es gibt einfach zu viele Adressen für zu wenig Gäste, die das noch bezahlen können. Da muss man sich anpassen.“
Yannic Stockhausen
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+++ Vor wenigen Tagen gab das Wasser bekannt, das Restaurant Ende Juli zu schließen. +++
Dieser Beitrag erschien zuerst in fizzz 6/2024.