„Keine Sieben-Tage-Woche mehr“ – Das St. Mauli in Berlin-Friedrichshain schließt

von Jan-Peter Wulf
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Ziehen einstimmig den Stecker: Vincent Probst, Silke und Nico Bulla vom „St. Mauli Maultaschen“ in Berlin-Friedrichshain. 

Nach knapp vier Jahren gehen am 20. Dezember im „St. Mauli“ in Berlin-Friedrichshain die Lichter aus. Und das trotz eines regelmäßig vollen Ladens. Warum endet die Maultaschen-Mission? Darüber haben wir uns mit den Betreibern Nico Bulla und Vincent Probst unterhalten.

Nico, Vincent: Müsst oder wollt ihr schließen?

Vincent: Wir wollen. Ich stelle mir für mein Leben mehr vor, als immer nur ein WG-Zimmer zu bewohnen. Das Geld reicht gerade so, dass man so ein Zimmer bezahlen kann, seinen Handyvertrag … viel mehr nicht. Ich wohne jetzt seit vier Jahren hier, ich habe quasi nichts erlebt. Ich war auf vielleicht einem Konzert, seit ich hier bin. Mit Freunden abends mal essen gehen – geht nicht, weil du zu der Zeit immer arbeitest.

Nico: Es war der Plan, das hier nicht zehn Jahre zu machen, sondern dass man irgendwann Leute anstellt und nicht jeden Tag selbst drin stehen muss. Das geht vielleicht mit einem Burgerladen, aber nicht mit handgemachten Maultaschen, wie wir feststellen mussten.

Warum nicht?

Nico: Wir wollten Qualität an den Start bringen, und das gleichzeitig zu einem guten Preis. Die Hauptidee war: Maultaschen, von Hand gemacht. Meine Mutter (Silke Bulla ist ebenfalls Betreiberin und vor allem für die Produktion zuständig, Anm. d. Red.) hat nachgerechnet: Sie hat bis heute hier über 100.000 Maultaschen gemacht. Wenn man diese Arbeit abgibt, das muss man auch bezahlen können, das rechnete sich alles nicht.

Vincent: Der Laden müsste größer und das Produkt nicht so aufwändig sein. In anderen Küchen müssen die Leute vielleicht zwei Stunden vorher da sein. Bei uns sind es für zwei Tage neun Stunden Vorarbeit. Quasi ein ganzer Arbeitstag, nur damit man das Produkt anbieten kann. Würde das wegfallen, wäre das eine Riesenlast weniger. Wir haben auch geguckt, kann man das maschinell herstellen? Aber das wäre eine Investition von 240.000 Euro gewesen für das, was wir brauchen.

Nico: Es gibt auch Geräte für 17.000 Euro, aber dann sähen die Maultaschen nicht so aus, wie wir sie gerne hätten. Und auf Masse machen wollen wir auch nicht.

Vincent: Wir hatten auch die Idee, jemanden vormittags als Untermieter reinzuholen. Ein Herr sagte zu, er wollte Kitas bekochen. Und sofort stand das Gesundheitsamt vor der Tür – Catering für Kitas ist fürs Gesundheitsamt noch mal eine Extranummer. Die haben uns gesagt: Wenn ihr das wirklich machen wollt, dann müsst ihr jeden Tag eine Grundreinigung durch eine zertifizierte Firma durchführen lassen. Mussten wir dann sofort wieder abblasen.

Wann habt ihr entschieden, den Stecker zu ziehen?

Vincent: Vor anderthalb Jahren. Da war der kritische Punkt erreicht, der Laden jeden Abend voll, wir stehen zwölf, vierzehn Stunden am Tag drin, es bleibt trotzdem nichts hängen. Nebenbei haben wir noch Lieferservice angeboten, wir mussten teils Leute wegschicken … es kann nicht sein, dass ein Restaurant läuft, alle zufrieden sind und es doch nicht ausreicht, dass man ordentlich davon leben kann.

Habt ihr eure Preise zwischendurch erhöht?

Nico: Zwei Mal. Am Anfang lagen die drei Maultaschen bei sechs, sieben Euro. Jetzt sind wir bei elf, zwölf.

Vincent: Aber es ist immer noch nicht das, was man eigentlich braucht. Doch egal, wie gut die Qualität des Produkts Maultasche ist: Für einen Teller kann man nicht 20 Euro verlangen. Das würde ich auch nicht zahlen.

Was ist mit Upselling, anderen Produkten?

Vincent: Wir haben andere Getränke hergeholt, Säfte reingenommen, einen Maultaschen-Salat angeboten … nur man kommt dann an den Punkt, dass, wenn man mehr anbietet, auch mehr verderben kann. Wir konnten ja gar nicht mehr verkaufen oder es schneller loskriegen, der Laden war ja schon voll. Deswegen machte das keinen Sinn.

Nico: Und unser Konzept sollte nie zu fancy, sondern wie eine Wirtschaft sein, bodenständig. Friedrichshain ist ja relativ günstig, da muss man sich anpassen. Andere Leute, die hier wohnen, haben uns beim Start gesagt: Ihr könnt nicht hier mehr als X verlangen – und so sind wir dann auch gestartet. Blauäugig.

Wärt ihr noch mal ganz am Anfang, was würdet ihr heute anders machen?

Vincent: Man muss richtig kalkulieren von Anfang an, man darf sich die Sachen von vorne herein nicht schönreden. Man muss wissen, was man haben muss, damit man davon leben kann.

Nico: Wir waren erst bei einem Steuerbüro, weil wir uns nicht auskannten, was man alles tun muss. Das hat uns ordentlich die Kohle rausgezogen …

Vincent: … die haben praktisch nur unsere Einnahmen-Ausgaben-Rechnung gemacht, eine Umsatzsteuer-Voranmeldung kann eigentlich man auch selbst machen, das wussten wir am Anfang halt nicht.

Nico: Mein Tipp für Gründer: Eine kleine Schulung machen und sich dann selbst drum kümmern. Wir machen das mittlerweile mit einem Online-Buchungssystem selber, da spart man im Monat bestimmt 150 Euro. Und man hat einen besseren Überblick über seinen Laden und die Zahlen, als wenn man alles abgibt.

Vincent: Wir hatten zudem aber auch permanent Rückschläge. Der Kombidämpfer ging kaputt, Küchenutensilien, der Boiler, dann wird die Miete teurer – alles wird mehr und man kann nicht mehr erwirtschaften, also geht es noch weiter nach unten.

Nico: Und wenn die Gäste im Sommer draußen etwas länger sitzen, dann hat man spießige Nachbarn, die versuchen, sie mit Blumengießen zu vergraulen …

Vincent: … das Wasser ist ab 22:10 Uhr runter gekommen, wenn es mal etwas lauter war. Man macht sich nur noch kaputt dafür, es am Laufen zu halten. Die Augenringe werden immer größer …

Nico: … man schaut sich beim Altern zu.

Ihr seid froh, dass es bald vorbei ist?

Nico: Ja, schon (lacht).

Wie lief die Nachfolgersuche ab?

Nico: Wir haben uns dafür ein Jahr als Zeitraum gegeben, zu billig wollten wir den Laden nicht abgeben.

Vincent: Wir wollten das zurück, was wir reingesteckt haben. Wir haben uns auch umgeguckt: Was kostet bei anderen Läden der Abschlag? Es kommt sehr auf den Standort an. Da gibt es kleines Cafés, zum Teil sogar ohne Inneneinrichtung, die verkaufen sich für zum Beispiel 80.000 Euro, weil an dem Ort so viel Umsatz gemacht wird, dass man das verlangen kann.

Nico: Hier leider nicht (beide lachen).

Vincent: Wir haben es für knapp unter dem verkauft, was wir in den vier Jahren an Material reingesteckt haben.

Was kommt hier nach dem St. Mauli rein?

Nico: Original thailändische Küche.

Vincent: Und bis auf die Bilder bleibt alles drin: Regale, Lampen, Tische.

Wie viele Gastronomen haben sich beworben?

Vincent: So richtig nur zwei, weil vorher schon viele abgesprungen sind.

Nico: Sieben haben es sich angeschaut, zwei waren bei der Hausverwaltung.

Das Abmelden, ist das so kompliziert wie das Anmelden?

Nico: Nein, das Anmelden ist schon komplizierter. Wenn man sein Gewerbe abgemeldet hat – haben wir gestern gemacht, das geht in Berlin online –, hat man oft Sonderkündigungsrechte. Die Abmeldebestätigung hängst du an und kannst dann eigentlich alles – Telefon, Strom, Gas – kurzfristig kündigen.

Was sagen eure Stammgäste?

Vincent: Die sind alle traurig und rennen uns jetzt noch mal die Bude ein: Reservierung um 19 Uhr, für 20 Personen. Oha (lacht).

Was macht ihr, wenn es vorbei ist?

Nico: Es gibt noch eine kleine private Silvester-Abschlussparty. Und im Februar fahren wir nach Thailand. Urlaub machen, vielleicht auch ein bisschen auflegen, und dann wollen wir ein Album produzieren (die beiden machen nämlich als Eins Tiefer auch elektronische Musik). Und ich will eine Sounddesign-Ausbildung beginnen.

Vincent: Ich möchte in meinen alten kaufmännischen Beruf zurück. Nicht in Vollzeit, vielleicht 60 Prozent. Und nie wieder Sieben-Tage-Woche.

Nico: Freundschaften pflegen, sich Zeit für sich selbst nehmen …

Vincent: … Sport machen.

Nico: Meine Mutter macht nebenher eine Ayurveda-Ausbildung. Sie will zurück ins Allgäu und vielleicht in einem Hotel damit arbeiten. Vielleicht machen wir irgendwann mal einen Club auf. Was Kleines, ein Dancefloor, ne gute Anlage …

Vincent: … aber erstmal gibt’s keinen Laden (lacht). 

Alles Gute euch und vielen Dank für das Gespräch!


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