Eine Gastronomie zu gründen, scheint angesagter denn je zu sein. Doch damit der Traum vom eigenen Café, Bistro, der Bar oder des Restaurants kein Alptraum wird, muss das Business von der ersten Idee an auf festen Füßen stehen. Auch das mehr denn je.
Gerold Dawidowsky ist Gastronomie-Betriebswirt, arbeitete als Betriebsleiter und Geschäftsführer und ist heute Coach und Prozessberater für die Gastronomie.
Mit seinem zweiten Buch „start-up – Café, Bistro & Gastronomie“ richtet er sich an all jene, die am Anfang einer Gründung stehen oder bereits auf dem Weg dorthin sind. Ein Leitfaden mit Berechnungsgrundlagen, Checklisten, vielen Tipps und einem vom ersten (Unternehmensführung) bis zum letzten Kapitel (Weiterdenken) gut strukturierten, sukzessiven Text, der – so finde ich – einfach an alles denkt. Er liefert keine Konzeptideen und nimmt auch nicht die Entscheidung ab, ob man „es“ wirklich tun sollte. Natürlich nicht. Aber „start-up“ lässt den Leser immer wieder inne halten, rekapitulieren und dank Notizfeldern und -blättern, die auch zum Ausdruck bereitgestellt werden, das eigene Vorhaben gründlich durchdenken. Wir haben mit dem Autor über sein Buch, die Food-Gründer-Szene und einiges mehr gesprochen.
Herr Dawidowsky, Sie schreiben gleich am Anfang: „Nehmen Sie sich die Zeit, sich ausgiebig und bis ins Detail mit Ihrer Idee auseinanderzusetzen, um diese sinnvoll von allen Seiten beleuchten zu können.“ Wie wird denn eigentlich aus einem Einfall – bei vielen Gründern kommt der dadurch, dass ihnen etwas fehlt oder ihnen die Qualität nicht reicht – eine Idee? Kann man das systematisieren?
Ursachenforschung für Einfälle und Ideen betreibe ich nicht. Mein Augenmerk lege ich auf Machbarkeit und Umsetzung. Dabei spielen vordergründig die Persönlichkeit und das Herzblut der GründerInnen eine wesentliche Rolle. Menschen zu mögen, Kommunikationsfähigkeit und Belastbarkeit sind beispielsweise Eigenschaften, die sich in der Gastronomie erfolgsfördernd auswirken. Sich selbst und seine ganz persönlichen Unternehmer-Kompetenzen zu hinterfragen sollte immer der erste Schritt sein. Danach sollte die Stimmigkeit zwischen GründerIn und Gastrokonzept überprüft werden. Das hinter einem Gastro-Startup liegende System lässt sich in einfachen Worten umschreiben: Persönlichkeit vor Trendgedanke, Konzept vor Architekt, Speisen- und Getränkekarte vor Küchen- und Tresen-Planung, Kalkulation vor Preisgestaltung.
Bei der Gründung in einem bereits bestehenden und ausgestatteten Objekt sollte bereits im Vorweg das Konzept angepasst oder eine Änderung am Objekt vorgenommen werden. Hört sich einfach und logisch an – wird aber oft vernachlässigt oder der damit verbundene Aufwand und die dadurch entstehenden Kosten werden nicht ausreichend berücksichtigt. Mein Rat an alle GründerInnen ist aufgrund dessen: Eine sogenannte Reifezeit, wie bei gutem Wein, einkalkulieren und Schnellschüsse mit überhasteter Umsetzung tunlichst vermeiden. Von leichtfertigen Gründungen, nur aus der Not heraus oder nur, weil einem nichts Besseres einfällt, rate ich kategorisch ab.
Was muss ein gastronomisches Konzept heute, ungeachtet seiner inhaltlichen Ausrichtung, für den Gast leisten können?
Es muss in erster Linie Freude bereiten und einen Mehrwert durch angemessene Qualität schaffen, sei es durch freundlich sympathische Mitarbeiter oder einer Produktqualität, die ihr Geld wert ist oder aber durch Wohlfühl-Atmosphäre, die zum Wiederkommen einlädt. Am Erfolg versprechendsten ist, wenn sich alle drei aufgeführten Punkte im Konzept wiederfinden. Authentisch, ehrlich, kommunikativ sind Schlüsselwörter hierfür.
Wie arbeitet man idealerweise mit Ihrem Buch? Da es viele Berechnungsformeln enthält, stellt sich mir die Frage: Wie kann ich es als Gründer, wenn ich noch am Anfang stehe und keine oder nur wenige BWAs habe, zum Abgleich nutzen?
Zunächst einmal soll mein neues Buch Gründer dazu anregen, sich im Vorhinein ausgiebig und gründlich mit sich und den bei einer Gründung anstehenden Aufgaben zu beschäftigen. Eine dieser Aufgaben ist es, eine überschlägige Ertrags- und Gewinnvorschau zu erstellen. Dazu bedarf es Zahlen, die vom Gründer ermittelt werden müssen, um daraus den erforderlichen Zielumsatz zu berechnen. Die im Buch enthaltenen Berechnungsformeln zeigen auch notwendige Kalkulationsgrundlagen zur Preisermittlung auf.
Um als Gründer nicht nur konzeptionell, sondern auch betriebswirtschaftlich eine klare Linie zu fahren, bedarf es eigener Berechnungen. Eine BWA eines Vorpächters beispielsweise, sofern man diese überhaupt zu Gesicht bekommt, kann schließlich nur einen Einblick in Vergangenes geben. Dies kann zwar hilfreich sein, um ein besseres Gefühl zur Wirtschaftlichkeit und der mit dem Objekt verbundenen Kostenstruktur zu bekommen, doch können die daraus gewonnenen Erkenntnisse nicht in die eigene Wirtschaftlichkeitsrechnung übernommen werden. Da muss man schon selber rechnen. Um einen größtmöglichen Nutzen aus meinem Buch zu ziehen, ist es am praktikabelsten, jedes Kapitel einzeln zu lesen, auszuarbeiten und abzuschließen, bevor es im nächsten Schritt an das nächste Kapitel geht.
Ich finde es interessant, dass Sie den Begriff „Existenzgründung“ ablehnen. Ich benutze ihn auf meinem Blog mehrfach, ohne seine Sinnigkeit je hinterfragt zu haben – man existiert ja schon, wie Sie völlig richtig konstatieren. Ist das vielleicht typisch deutsch, in eine Gründung gleich seine gesamte Existenz „hineinzulegen“? Scheitern hat ja immer noch was fast Sündhaftes hierzulande.
Das haben Sie schön erkannt. Genau darum geht es mir dabei. Ich kann die Last und Schwere des Begriffes „Existenzgründung“ nicht leiden. Es hört sich für mich an wie: Wenn ich das verbocke, geht die Welt unter und meine Existenzberechtigung erlischt, ich bin danach eine gescheiterte Existenz und es gibt nur diese eine Chance. Als liege meine Existenz nur in meinem geplanten Unternehmen begründet! Deshalb bevorzuge ich eine Unternehmensgründung mit positiv behafteten Begriffen wie zum Beispiel „Start-Up“ oder „Entrepreneurship“ zu belegen.
Wir haben vor rund sieben Jahren anlässlich Ihres Businessplan-Buchs ja schon einmal miteinander gesprochen. Hat sich in der Anfertigung eines Businessplans seitdem etwas verändert?
Der inhaltliche Aufbau ist geblieben. Geändert hat sich die Präsentationsweise: Da geht der Trend hin zu kurzen knappen und stichwortartigen Texten im Powerpoint-Stil. Diese werden dann digital und im PDF-Format versendet und mündlich bei der Präsentation erläutert. Das spart nicht nur Papier und unsere Ressourcen, sondern auch viel Ausformulierungszeit, die für Wichtigeres genutzt werden kann. Ansonsten hat sich zumindest im Hinblick auf Banken nicht viel geändert. Gastronomie wird nach wie vor als „High Risk Business“ eingestuft.
Dafür hat Crowdfunding als Finanzierungsmöglichkeit an Attraktivität gewonnen. Doch auch da geht es ohne ein plausibles und in sich schlüssiges Konzept nicht. Erwähnenswert und nicht zu unterschätzen sind die mit einer erfolgreichen Crowdfunding-Kampagne verbundenen Kosten, beispielsweise für einen professionell erstellten Präsentations-Trailer. Die Wertschätzung des Foodbusiness hat sich hingegen, durch viele innovative und sich auf bestimmte Themen konzentrierte Konzepte, deutlich verbessert. Die Qualität der angebotenen Produkte ist hierbei ausschlaggebend.
Sie selbst sind als Gastro-Gründer – man kann es im Buch nachlesen – auf die Nase gefallen. Woran sind Sie gescheitert? Und was würden Sie heute anders machen?
Gescheitert bin ich an Leichtfertigkeit und schlechter Planung. Hinzu kam eine eingegangene Partnerschaft, die nur aus mündlichen Absprachen bestand und vertraglich nicht ausreichend abgesichert war. Unstimmigkeiten waren somit vorprogrammiert. Es musste damals schnell gehen, der Verpächter wollte sein Objekt nahtlos weiter verpachten. Mein Konzept bestand damals nur aus Speisen- und Getränkekarte und milchmädchenhaften Berechnungen. Den Rest hatte ich mir im Kopf schön ausgemalt. Aus heutiger Sicht eine verantwortungslose Herangehensweise. Aus Fehlern lernt man – und so existiere ich auch heute noch und habe viel dazu gelernt. Empfehlen kann ich daher jedem Gründer nur, sich mit einem bereits bis ins Detail ausgearbeiteten Konzept auf Objektsuche zu begeben. So lässt sich viel besser erkennen, ob Zielumsatz und Kostenstruktur übereinstimmen.
Die Gastro-Gründerwelt begleiten Sie schon eine lange Zeit und Sie beraten junge Unternehmen der Branche auf ihrem Weg. Sehen Sie eine Veränderung im „Mindset“ oder im Rüstzeug, das die neuen Gründer heute mitbringen?
Größtenteils, ja. Die Bereitschaft, sich ausgiebig zu informieren und sich auf Gründungsberatungskurse, Workshops und Startup-Events einzulassen, ist gewachsen. So sind beispielsweise die vom Leaders Club, dem Food Entrepreneurs Club oder auch die vom Dehoga angebotenen Informationsmöglichkeiten gefragter denn je. Außerdem stelle ich fest, dass die Nachfrage nach Expertenrat, um sein Konzept von außen und von unabhängiger Stelle überprüfen zu lassen, gestiegen ist.
Sie leben in Lüneburg, einer Stadt mit knapp 75.000 Einwohnern und fast 10.000 Studierenden. Einer Unistadt, könnte man sagen. Wie sieht die Gastronomie dort im Jahr 2017 aus und was unterscheidet neue Konzepte, die an den Start gehen, von früheren, bestehenden wie nicht mehr bestehenden?
Es freut mich sehr, dass Sie auf meine Wahlheimat zu sprechen kommen. Die Lüneburger Gastroszene ist im Umbruch, hier passiert derzeit so einiges. Viele Schließungen, aber auch viel Neues ist im Vormarsch. Krisenstimmung hier und Euphorie dort. Steuerhinterziehungen und Konzepte mit qualitativ mäßigem Angebot und langweiligem Allerlei ohne Pepp haben die sonst sehr belebte Gastroszene hier ins Wanken und Verruf gebracht. So schließen allein auf der bisher belebtesten Gastromeile innerhalb weniger Monate mehrere Lokale in bester Lage. Zeit für Veränderung! Chancen für Betreiber mit frischen und zeitgemäßen Konzepten, die Gastronomie nicht nur als Einnahmequelle und Zahlenwerk ansehen. Für Gastronomen, die lieben was sie tun, die sich über aktuelle Trends informieren und mit Persönlichkeit zur Herzenssache machen.
Dass bei Konzepten mit solchem Hintergrund auch wirtschaftlicher Erfolg einkehrt, zeigen beispielsweise das „Röhms Deli“, „Bell&Beans“ und „Annas Café“. Alle drei geben frischen und regionalen Produkten gegenüber dem sonst vielerorts angebotenen Convenience-Allerlei. Als Gast geht man hier glücklich rein und kommt noch glücklicher wieder raus. So muss Gastronomie, so macht das Freude! Die hier ansässige Kneipenkultur jedoch ist, den sozialen Netzwerken und dem veränderten Ausgehverhalten geschuldet, rückläufig.
Vielen Dank, Herr Dawidowsky.
„start-up“ hat 144 Seiten, kostet 32 Euro und ist im Matthaes Verlag erschienen. Leseprobe hier.