Das Nose-to-Tail-Restaurant „Herz & Niere“ in der Kreuzberger Fichtestraße schloss Ende 2020. Für den Betreiber Michael Köhle geht es an Ort und Stelle jedoch weiter: Nach siebenwöchigem Umbau eröffnete er nun die „Tante Fichte“.
Mit neuem Look und einem neuem Küchenteam, das weniger dogmatisch, dafür Heimisches umso genussvoller auf die Teller bringen will – mit Exkursen in andere Produktwelten. Bis zum Ende des Lockdowns kann man dies in Form von Genussboxen und eingeweckten Speisen erleben. Eröffnung, wenn alle Restaurants geschlossen sind – wie geht das? Wir trafen Gastgeber und Inhaber Michael Köhle zum Gespräch.
Michael, ihr hattet ja im September bekannt gegeben, das „Herz & Niere“ zu schließen. War ein Neustart an selber Stelle, mit einem neuen Restaurant, da schon von deiner Seite geplant?
Nein. Eigentlich hatten Christoph (Hauser, sein ehemaliger Geschäftspartner) und ich entschieden: Wir verkaufen das Restaurant zum Jahresende. Ich hatte mich für verschiedene Projekte beworben, als Hotelmanager hier, als F&B Director dort, für Champagnerhäuser … und habe dann gemerkt, das ist doch nicht das Richtige für mich gerade. Zudem hat sich dann herauskristallisiert, dass wir das Restaurant nicht zu dem Wert, der hier drin steckt, verkauft bekommen. Wir haben dann schnell gemerkt: Wir müssen was machen, die Kosten laufen weiter. Christoph wollte das Restaurant nicht alleine weiterführen, darum habe ich dann die Chance beim Schopf gepackt und gesagt, wir machen es anders herum und ich führe es weiter.
Wie geht es denn hier nun weiter? Same but different? Du bist hier, ebenso Viktoria Kniely als Restaurantleiterin. Also man sieht schon bekannte Gesichter, wenn man hier als Gast reinkommt.
Und das darf auch so sein! Wir sind ja auch ein erfolgreiches Team gewesen, Viktoria war sieben Jahre unsere Restaurantleiterin. Mir war aber wichtig, dass sich das Ganze dennoch verändert und kein Abklatsch wird. Das „Herz & Niere“ waren Christoph und ich, es sollte nie ein 2.0 werden. Ich wusste immer, dass wenn ich neu aufmache, es nicht vergleichbar sein sollte, weder von der Küche her noch von der Gestaltung. Ich finde das auch wichtig: Das Alte hat sein Ende gefunden, und das ist jetzt mein neues Baby.
Wie grenzt man sich denn selbst, persönlich, von dem ab, was man ja selbst bis vor kurzem an selben Ort gemacht hat?
Wenn man zu zweit einen Betrieb führt, hat man zwar seinen eigenen Kopf, aber man geht Kompromisse ein, das ist einfach so – und wir sind zusammen immer in die gleiche Richtung gelaufen. Wir haben hier etwas Tolles geschaffen und dann entschieden, das Restaurant an einem Punkt, wo es sehr erfolgreich war, zu beenden. Das mit dem Abgrenzen ist ein Prozess. Damit muss ich mich auch erstmal zurecht finden. Es sind viele Dinge: die Tapete, die du selbst aussuchst, das Gericht, das auf die Karte kommt, das Konzept, in das du dich reindenkst. Es könnte keinen besseren Moment zum Umdenken geben als gerade jetzt.
Warum?
Zu Hause würde mir die Decke auf den Kopf fallen. Ich bin froh, jeden Tag was zu tun zu haben (lacht)! Hier sah es einen Monat lang wie auf einer Großbaustelle, insgesamt haben wir sieben Wochen umgebaut. Sonst hätten wir das durchjagen müssen, was jetzt in Ruhe passiert, der Lockdown kam uns letztlich zugute.
Der Lockdown als Chance?
Nein, der ist an sich keine Chance. Wir haben ihn nur so gut wie möglich für uns nutzen können. Wir haben viel Zeit, uns zu finden. Wir können Gerichte in Ruhe ausprobieren, Tische noch mal anders stellen – die Frage ist nur, welchen bösen Finger hast du im Hintergrund? Es macht einen schon nervös, wenn es keine Perspektive gibt. Ich wüsste lieber, in drei Wochen geht es los und ich kann die ersten sechs Wochen durchreservieren. Selbst das ist zurzeit nicht möglich. Und als Gast wird man sich nach dem Lockdown, vermute ich, erstmal darauf besinnen, seine Lieblingsrestaurants abzuklappern. Ob eine Neueröffnung genau zu dem Zeitpunkt dann das Richtige ist? Kann ich noch nicht abschätzen. Wie es sich entwickeln wird, wissen wir ja alle noch nicht. Doch ich glaube: Die Leute werden Bock darauf haben, essen zu gehen.
Ihr seid in einer ähnlichen Situation wie die ebenfalls neuen Berliner Restaurants „Brickz“, „DECOrestaurant“ und „12seasons“, und da gibt es ja noch mehr, die unter diesen besonderen Umständen eröffnen. Erst einmal nur außer Haus freilich. Wie erlebst du diese beispiellose Situation?
Ich wurde schon auch gefragt: Bist du eigentlich verrückt? Und die Frage habe ich mir auch oft selbst gestellt. Ich weiß aber, was ich kann und was ich nicht kann, wie man ein Restaurant erfolgreich macht. Ich bin in der Selbständigkeit groß geworden, meine Eltern haben ein Hotel am Bodensee. Für uns Kids war immer selbstverständlich: Draußen ist der Gästebereich, da sagt man den Leuten guten Abend. Ich weiß, was es bedeutet, an der Spüle zu stehen und für seine neue Jeans zu arbeiten.
Momentan ist es natürlich eine beschissene Situation, weil wir keine Perspektive haben. Aber ich liebe die Gastronomie. Ich glaube an die Gastronomie und an das, was wir machen. Und ich glaube auch an Berlin als Stadt, die so viele spannende Konzepte hat, die woanders nicht überleben könnten.
Wofür steht Tante Fichte?
Es gibt nicht mehr den dogmatischen Aufhänger wie zuvor, sondern es ist etwas behutsamer. Wir fokussieren uns auf den Geschmack. Eine Region, die Saison – das ist für uns Grundvoraussetzung. Wir arbeiten ganz automatisch damit. Und wir sind mittlerweile aber auch so sicher in dem, was wir tun, dass wir auch frei sind, mal einen Ausreißer machen: Dann gibt es eben die Fischsuppe mit Pulpo und Kabeljau drin, weil sie einfach geil schmeckt …
… kann ich bestätigen …
… und nächste Woche machen wir sie dann vielleicht mit Zander und Karpfen, weil wir was Tolles angeboten bekommen. Was wir nicht machen würden: Rind aus dem Fränkischen nach Berlin karren. Hier gibt es tolle Züchter.
Wer ist Tante Fichte?
Essen und Trinken hat viel mit Familie zu tun. Jeder hat doch diese Lieblingstante, wo er gerne zum Essen hinging. Die dich beim Rauchen erwischt hat, aber es der Mama nicht erzählt (lacht). Diesen persönlichen Charme, den wir auch mit unserem kleinen Team ausstrahlen, wollten wir unterstreichen. Es ist gemütlich, es soll Spaß machen, da kamen wir schnell auf den Namen „Tante Fichte“.
Wollt ihr das Außer-Haus-Geschäft nach dem Restart weiterführen?
Ja. Wir werden nach dem Lockdown im Restaurant nur ein Menü mit sieben, acht Gängen anbieten, das man auch auf fünf runter brechen kann. Da kommt man zu zweit auf 200, 300 Euro am Abend. Traditionelle Gerichte im Glas sind wie ein verlängerter Arm. Damit holen wir den Kiez ab bzw. werden das weitermachen, solange die Leute Lust drauf haben. Zurzeit haben wir 18 Gerichte, es werden eher vier, fünf sein, wenn wir wieder aufmachen können.
Was denkst du: Wie wird Service nach dem Lockdown aussehen?
Noch feinfühliger als ohnehin schon. Du musst genau auf die Reaktionen der Leute achten, das haben wir nach dem ersten Lockdown sehr gemerkt. Weicht der Gast dir zurück? Schenkst du ihm Wasser ein, macht er es lieber selbst? Du musst noch mehr auf die Signale achten. Dass wir alle individuelle Hygienekonzepte haben, das ist eh klar. Doch vor allem wird es noch persönlicher.
Vielen Dank und alles Gute euch, Michael.
Mehr Infos: Tante Fichte Berlin