Eigentlich sollte der Terroir Talk Anfang März im Rahmen der ITB stattfinden. Doch wie nun hinreichend bekannt ist, wurde die große Tourismusmesse im Zuge der Eindämmung des Coronavirus abgesagt. Kein Grund für die kanadische Initiatorin Arlene Stein, das gleiche zu tun – und so disponierte sie kurzerhand ihre Gästeliste um.
Rebecca Mackenzie von der Culinary Tourism Alliance, Küchenchefin Jenni Lessard aus dem Wanuskewin, Küchenchef Jason Bangerter von Langdon Hall und Angelika Schwaff von BonAppetrip mussten leider absagen aufgrund von geänderter Reiseplanung oder vorsorglicher Quarantäne. So sprangen kurzerhand Holger Boeckner von The Poutine Kitchen, Sommelière Emily Harman von VinaLupa und Jens Heed, der Programmdirektor von Food Travel bei VisitSweden ein und diskutierten im BRLO BRWHOUSE mit den rund 50 Gästen.
„Wer ist schonmal in ein Land gereist, nur um ein spezielles Gericht dort zu essen?“ fragte Arlene Stein zum Einstieg ihre Gäste. „Taste Trackers“ würden diese Menschen genannt, die ihre Reise rund um Restaurantbesuche planen. Tourist*innen, die sich für Kulinarik und Wein interessieren, bleiben oft länger im Land, geben mehr Geld aus, erleben die Kultur der Region unmittelbarer und kehren oft an denselben Ort zurück, so die Initiatorin der Terroir Talks.
Als Restaurant könne man seine internationale Relevanz anhand des eigenen Angebots und dem Aufbau eines Netzwerks mit anderen Betrieben aus der Destination schärfen. Mit dazu beitragen würden auch oft die Vergabe der Michelinsterne oder die„ 50 Bests Chefs“-Liste und die dazugehörigen Weinregionen. Wie also können einzelne Gerichte und ein spezielles kulinarische Angebot Leute dazu bringen eine bestimmte Region zu besuchen?
Einen Aha-Moment hatte Holger Broeckner 2007, als er auf einer Reise in Kanada auf Poutine stieß und sich in das Gericht verliebte. Er brachte es nach Berlin und war somit der Erste in Deutschland, der es anbot. Das „casual fast food“, bestehend aus Pommes Frites, Käse und Bratensauce, hat sich inzwischen eine solide Fangemeinde aufgebaut und er arbeitet eng mit der kanadischen Botschaft in Berlin zusammen. Alleine zum „Canada Day 2019“ standen 2.500 Menschen vor seinem Poutinestand an. „Es ist fast wie eine kanadische Food Embassy in Europa zu haben.“ so Broeckner, die wiederum viele seiner Gäste motiviere, mal nach Kanada zu reisen.
„Wenn wir nur ein paar Jahre zurückblicken, dachten die meisten Leute nicht an Essen, wenn sie an Schweden dachten” schließt sich Jens Heed mit seiner Perspektive an. „Es ist ein sehr bekanntes Land, aber es war eher für seine Natur berühmt. Das möchten wir ändern.” Den meisten sind wohl Köttbullar oder Surströmming (fermentierter Hering) ein Begriff. Auch ein bekanntes Einrichtungshaus hat unsere Vorstellung von schwedischem Essen nachhaltig geprägt. Doch im Land selbst hat sich spätestens mit dem Nordic Food Manifesto die gastronomische Szene stark gewandelt.
Heed und sein Team starteten deshalb im letzten Jahr die Kampagne Edible Country, um Schweden in eine kulinarische Destination in der Wahrnehmung der Reisenden zu verwandeln. Aufbauend auf der Naturverbundenheit der Schwed*innen und der Tatsache, dass frische Pilze, Beeren und Kräuter dort in großen Mengen frei in der Umgebung verfügbar sind, stellten sie große Esstische an besonders schönen Orten in der Natur auf. Diese können online gebucht werden und die Besucher bekommen ein Rezept eines schwedischen Sternekochs an die Hand, um sich im Wald oder auf der Wiese ihr eigenes Essen zu sammeln und anschließend zuzubereiten. Ein Do-It-Yourself-Dining.
In diesem Jahr sollen noch mehr dieser Tische aufgestellt werden und es gibt die Möglichkeit, sich auch direkt einen Koch bzw. eine Köchin und einen Forager dazu zu buchen. Für Schweden hat sich diese Verbindung von Bekanntem, wie der Natur, und Neuem, wie dem Essen, absolut ausgezahlt, so das Resümee.
Die Dritte in der Runde, Emily Harman, berät überwiegend Gastronomien bei der Auswahl ihrer Weinkarte und bereist viele Weinregionen, um dortige Produzent*innen kennenzulernen. Sie nimmt auch die Teams von Restaurants mit auf ihre Reisen, um sie direkt im Anbaugebiet mit dem Wein und dem Terroir vertraut zu machen. Sie ist überzeugt davon. Jede*r, der oder die einmal gesehen hat, wo die Trauben wachsen und die Umgebung dort wahrgenommen hat, wird den Wein anschließend mit positiven Emotionen verbinden und dementsprechend auch anders dem Gast verkaufen. Gerade unbekanntere Weinregionen sind gerade erst dabei zu erkennen, wie wertvoll der Weintourismus im Allgemeinen für sie sein kann und bieten langsam mehr und mehr Geschäfte und Verkostungen an, so Harman. Kollektive Bemühungen, Kooperationen mit Restaurants und Kooperativen können hier eine große Hilfe für noch unbekannte Regionen und Weingüter sein, rät die Sommelière. Nur die Tür zur eigenen Kellerei zu öffnen, reiche nicht aus.
Der Abend endet in einer lebhaften Diskussion über das Potential von Berlin als kulinarischer Destination und Brandenburg als Produktionsstandort. Dabei hat sich die Region mit Betrieben wie z.B. dem Erdhof Seewalde oder Netzwerken wie Die Gemeinschaft in den letzten Jahren stark verändert. Welche Auswirkungen die Sternevergabe des Guide Michelin auf die Reservierungsbücher nehmen, haben einige Restaurants erst zuletzt bemerkt, deren Buchungstools kurzfristig lahmgelegt waren.
Und wie wichtig der Tourismus für die Gasträume der Hauptstadt ist, zeigt uns aktuell der Coronavirus. Abgesagte Events, stornierte Reservierungen, leere Restaurants treiben vielen Gastronom*innen gerade Sorgenfalten auf die Stirn – Ende ungewiss.
Terroir Berlin veranstaltet regelmäßig Veranstaltungen. Die nächsten sind ein Lekka Burger Pop-Up bei „Freunde von Freunden“ am 8. April und die Paneldiskussion „Seeds of Change – On the future of food and Farming”“am 20. April im Rahmen der Food Art Week.