Raus aus dem Dauerregen, rein in den schön leuchtenden, von Pflanzen durchrankten Glaskasten mitten im Neuköllner Schillerkiez: Wir sind zu Gast im 2021 eröffneten Terz direkt neben der Genezarethkirche auf dem zentralen Platz des angesagten Quartiers.
Das „Terz“ betreiben Jeremias Stüer und Daniel Kalthoff, ebenso wie das 21gramm, einen guten halben Kilometer entfernt, das sich in einer ehemaligen Friedhofskapelle befindet (schaut euch mal die Location an, wirklich ebenfalls beeindruckend).
Haben sich die beiden auf „kirchennahe“ Gastrokonzepte spezialisiert? Nein, kann man das nicht sagen – ihr Fokus seien vielmehr grundsätzlich besondere Orte. „ Wir würden nie eine Erdgeschossfläche in einem Mehrfamilienhaus entwickeln. Wir gehen da so ran: Geiler Raum, da kann man gestalterisch rangehen“, erklärt Stüer. Beide kommen auch gar nicht aus der Gastronomie, sondern aus dem Eventbereich. Die Fläche hier haben sie vom Vormieter übernommen, der sein 2017 eröffnetes Selig.Berlin abgeben wollte. Eigentlich war eine Übernahme des an und für sich gut laufenden Konzepts angedacht gewesen, doch aus nur kleinen Anpassungsideen wurde dann ein kompletter Neustart – einer mit pandemiebedingten Verzögerungen. Im Oktober 2020 übernahm man den Mietvertrag, im November ging es bekanntlich in den Lockdown. „Was erstmal kein Problem war, wir wollten ja eh umbauen“, so Stüer.
Nur war nicht abzusehen, dass die Zwangspause in der Gastronomie ein halbes Jahr andauern würde: „Max (Hühnergarth, Küchenchef, Anm. d. Red.) hatten wir für den ersten Februar angeworben, am ersten März standen wir hier mit dem kompletten sechsköpfigen Team und waren voll im Lockdown.“ Eher gezwungenermaßen, weil so gar nicht in die Pläne bzw. ins Konzept passend, habe man dann mit To-go-Geschäft im April begonnen, im Mai mit Außengastronomie. „Wir waren völlig konzeptfrei unterwegs“, erklärt Stüer und meint damit: Man lief, auch das dürften viele Kolleg*innen kennen, dem Ansturm einfach nur hinterher, es blieb kaum Zeit, die Prozesse glattzuziehen.
Jetzt aber: Die anfängliche Idee, vor allem gehobenes Frühstücks- und Tagesgeschäft zu machen, wurde noch einmal verändert. Man stellte schnell fest, dass Kreativkopf und -koch Max (der u.a. im „Facil“ und im „Barra“ tätig war, bevor er sich selbständig machte und sich viel mit Fermentation und Brotbacken beschäftigen begann) damit unterfordert war. „Und wir hatten dann alle richtig Lust auf eine gute Abendkarte“, erklärt Stüer.
Jetzt gibt es daher beides: ein ordentliches, frisches Frühstück mit Stullen, Egg Benedict und Co. sowie wechselnde Lunchkarte bzw. Wochenend-Brunch – und ein Dinner-Konzept, bei dem sich die Küche austobt: Blutwurst-Praline. Frittierter Blumenkohl mit Sauce Rouille, quasi vegetarische Chicken Wings (mega!). Kimchi und Aal, zugedeckt von cremiger Hollandaise. Im Hauptgang ein geräucherter Spitzkohl – prominent platziert wie ein Stück Fleisch und mindestens so gut.
Chefkoch Max Hühnergarth kennen gelernt haben die Gastronomen übrigens im Rahmen der Initiative Kochen für Helden. Als Logistik- und Eventprofis waren sie nämlich maßgeblich für die Koordination in Berlin zuständig (bzw. vor allem Jeremias, Daniel kümmerte sich derweil darum, das „21 gramm“ und sein Team durch den ersten Lockdown zu navigieren).
Max Strohe vom „tulus lotrek“, der zusammen mit seiner Partnerin Ilona Scholl „Kochen für Helden“ startete (mehr dazu hier), kennt Stüer wiederum schon aus Bonner Zeiten. Nahezu zeitgleich kam man nach Berlin, wohnte eine Weile sogar in der selben WG. Als die Graswurzel-Bewegung Fahrt aufnahm, brachte Stüer seine Expertise ein: Lieferanten und Partner koordinieren, Event-Connections anzapfen (so bekam man u.a. einen Lieferwagen gestellt) und Geld durch Sponsoring einsammeln – u.a. die Gasag und die Rabo Bank unterstützten die Aktion, neben vielen anderen.
Schnell nämlich wurde für die Helden nicht nur das verkocht, was der Lebensmittel-Großhandel nicht mehr los wurde. Stüer: „Essen kaufen war tatsächlich schnell ein Ding, weil wir bald fast nur noch tonnenweise schnell Verderbliches wie Joghurt und Sahne bekommen haben. Allein daraus kannst du keine Gerichte kochen.“
Die teilnehmenden Betriebe trugen in ein Spreadsheet ein, wie viele Essen sie pro Monat gekocht haben (was teilweise weit in die Tausende ging), die eingegangenen Spendengelder wurden monatlich anteilig ausgeschüttet – ausschließlich für die Kosten. Das Bundesverdienstkreuz, das Scholl und Strohe für „Kochen für Helden“ erhielten – im Geiste gehört es allen, die sich im ganzen Land daran beteiligt haben, finden (nicht nur) wir.
Ihre Leidenschaft für Events leben Stüer und Kalthoff – die mittlerweile 60 Mitarbeiter*innen beschäftigen – ab sofort in einer besonders besonderen Location aus, einem Wahrzeichen West-Berlins: dem legendären „Turmrestaurant Steglitz“, besser bekannt als Bierpinsel. In dem markanten brutalistischen Bau, dessen Architektur von einer Erdgeschossfläche in einem Wohnhaus maximal weit entfernt ist, veranstalten sie ab sofort – temporär für 18 Monate – Kunst- und Kulturevents mit Barbetrieb.