Im Portrait: Designer und Gastronom Tran Mai Huy Thong

Der Schöpfer gastronomischer Welten von Chén Chè bis Oukan Dining

von Jan-Peter Wulf
Nils Hasenau 2 - interviews-portraits, konzepte, gastronomie Im Portrait: Designer und Gastronom Tran Mai Huy Thong

Foto: Nils Hasenau

Tran Mai Huy Thong hat seit Mitte der Nullerjahre über 20 Gastronomie-Konzepte in Berlin gestaltet und ist  heute selbst Teilhaber mehrerer Objekte. Das Erfolgsrezept des gelernten Modedesigners? Tief einsteigen, von Anfang an – und den Raum vom Teller her denken.   

Wir blicken von unten in eine der kugelförmigen Leuchten über den Separeetischen im Oukan Dining hinein. In ihr befindet sich eine der stabförmigen Lampen, die im Hauptraum frei hängend zu sehen sind. Um den Stab wurde ein LED-Kranz angebracht, sodass die Kugel selbst ebenfalls leuchtet: Streu- und Punktlicht in perfekter Kombination. Die Spots bringen helles, sehr natürliches Licht auf die dunklen Tische und setzen die Teller perfekt in Szene, wie man auf vielen Instagram-Bildern sehen kann – ohne dass es dabei auch nur ein bisschen ungemütlich wirken würde.

Möglich machen es Lampen von Iguzzini. Die werden sonst vor allem in Museen und Galerien genutzt, erklärt uns Tran Mai Huy Thong. Er hat diesen einzigartigen Ort geschaffen wie so viele weitere Orte in Berlin: die Restaurants „Si An“, „Chi Sing“ und „Shibuya“ zum Beispiel, das Teehaus „Chén Chè“ und das „Đistrict Một“ gehören zu den insgesamt rund 20 Projekten, die er seit 2005 realisiert hat, ebenso das Bonvivant Cocktail Bistro. Dem vormals oft modern-minimalistischen Design asiatischer Konzepte hat er einen organischeren Gegenentwurf geliefert – mal verspielt, detailreich und ornamental wie im „Đistrict Một“, das wie ein kleiner vietnamesischer Foodmarkt eingerichtet ist, mal als meditatives Refugium wie hier im „Oukan Dining“ mit angeschlossenem Teehaus „Oukan Tea“.  

Vom Catwalk ins Restaurant 

Tran Mai Huy Thong ist kein Architekt, kein Ladenbauer – er kommt aus der Modewelt. Für große Marken wie René Lezard oder Strenesse hat er schon gearbeitet, unter anderem in der Fashionmetropole Paris. Er entwarft Kleidungsstücke, baute aber auch Bühnenbilder. Dass er Anfang/Mitte der Nullerjahre in die Gastronomie kam, war eher Zufall: Als ein Shop-in-Shop-Projekt für eine Biokosmetikfirma zu scheitern drohte, weil seine, wie er sagt, „sehr rigorose“ Chefin ihre Art-Direktoren reihenweise rauswarf und die Eröffnung des ersten Ladens nahte, übernahm er die Gestaltung des Interieurs auf Anweisung seiner Vorgesetzten hin: „Du kannst das, du machst das.“

Er machte es gut, nach Köln eröffnete man einen Shop seines Stils in Berlin – und weil der damalige Projektleiter mit Dat Vuong, dem fast schon legendären Gründer von „Mr. Vuong“ befreundet war, wurde die vietnamesische Gastro-Community der Stadt auf den kreativen jungen Mann aufmerksam. Ob er sich vorstellen könne, Restaurants zu gestalten? Huy Thong war interessiert – und sah die Herausforderung: „Ich hatte schon bei meinen Mode-Trendreisen nach New York festgestellt, dass es meist die Gastronomien waren, die die Trends setzten“, erinnert er sich.

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Ein begehbares Märchen: Hoa Rong. Foto: Nils Hasenau

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Foto: Nils Hasenau

Zugleich sei er, als er nach Berlin zog, in den Clubs und Bars oft als vermeintlicher Zigarettenverkäufer angesprochen worden – das Klischee schlechthin. Gründe genug für ihn, um „die Menschen mit einer Kultur aus Essen und Architektur zu begeistern.“ Was ihm bis heute immer wieder aufs Neue gelingt.

Am Anfang steht das Essen

Wie gestaltet jemand Räume, der aus der Mode kommt? Überraschende Antwort: „Am Anfang steht für mich immer das Essen“, erklärt Huy Thong. Er bitte seine Kunden zunächst, ihnen etwas vorzukochen. „Viele machen nur das, was sie kennen – und ich bringe dann meine Trendrecherche ein: Könnt ihr euch vorstellen, mehr in diese oder jene Richtung zu gehen?“ So entstehen peu à peu neue Gerichte, jedoch immer auf die Fähigkeiten und Leidenschaften der Personen abgestimmt.

Er nennt das Beispiel des „Aiko“: Das Betreiberpaar hat chinesische Wurzeln, doch der für die Küche zuständige Ehemann kochte privat viel lieber japanisch – und nach gemeinsamen kulinarischen Reisen nach Düsseldorf und New York stand fest: Das Konzept wird japanisch.

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Das „Bonvivant Cocktail Bistro“. Fotos: Redaktion

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Für das „Chén Chè“ wiederum, ein Teehaus in der Rosenthaler Straße, im Hinterhof versteckt wie das „Oukan Dining“, reiste Huy Thong nach Taiwan, wohin kriegs- und besatzungsbedingt viele historische vietnamesische Dokumente verbracht worden waren. In den Bibliotheken stieß er auf eine alte Geschichte, derzufolge einem Herrscher einst eine Blüte in seinen Reistee fiel und er sah, wie sie die Flüssigkeit färbte. So soll der Blütentee entstanden sein – und so wurde dieser zur Kernkompetenz des Konzepts.

3D-Vorstellung durch Drapieren

Stehen die Gerichte stehen und ist die persönliche Geschichte niedergeschrieben, werden die Teller ausgewählt. Welche Farben? Welches Material? Handgefertigt aus Vietnam? Es wird bestellt, getestet und ausgewählt. „Dann kommt der Raum, und erst ganz zum Schluss die Musik“, sagt Huy Thong lachend. Seine Interieurgestaltung fußt auf Collagen. Die anzufertigen hat er im Modedesign-Studium in Bielefeld und London anzufertigen gelernt: „Meine Dozentin untersagte uns, Entwürfe zu zeichnen.“

Also begann er Moodboards zu bauen oder Puppen mit Stoffstücken zu drapieren: „Es hat mir sehr geholfen, eine dreidimensionale Vorstellung zu entwickeln.“ Renderings, mit denen man heute virtuell durch zukünftige Räume laufen kann, gab es damals noch nicht. Dieser handwerklich-analoge Ansatz befähige ihn, Schwachstellen in den noch gar nicht existierenden Räumen zu antizipieren: Sind sie zu „laut“? „Dann kann man mit Feng Shui gegenwirken“.

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Blick ins „Oukan“. Foto: Redaktion

Neues Projekt 51 - interviews-portraits, konzepte, gastronomie Im Portrait: Designer und Gastronom Tran Mai Huy ThongDer Riesen-Bonsai im „Oukan Dining“ ist ein Paradebeispiel – er strahlt so viel Respekt, so viel Anmut aus, dass man gar nicht auf die Idee käme, quer durch den Saal zu krakeelen. Sind Stellen zu ruhig? „Dann kann man farblich unterstützen“, sagt der Experte. Erst wenn seine Kunden sich in den präsentierten Farbpaletten, Moodboards oder Oberflächenhaptiken wiederfinden, wird der Raum digital visualisiert. Dem Designer steht ein mittlerweile fünfköpfiges Team zur Seite, sein Büro firmiert unter dem Namen „Nakuo“. Eine Webseite sucht man derzeit aber noch vergebens. Mundpropaganda genügt für die Auftragsbücher ganz offensichtlich.

Teilhaber statt Dienstleister

Mit dem „Ryong“ (zwei Outlets in Mitte und Prenzlauer Berg), dem „Con Tho“ in Kreuzberg, dem „Oukan“ mitsamt Teehaus und dem neuesten Projekt, dem „Hoa Rong“ an der S-Bahn-Station Friedrichstraße (s. FIZZZ 9/2022), ist Tran Mai Huy Thong mittlerweile an einer Handvoll Gastronomien selbst beteiligt. Auch in die Rolle des Gastronomen sei er mehr oder minder reingerutscht. Weil er eben nicht nur Raumgestalter ist, sondern stets von Beginn an so tief in der Konzeptentwicklung mit drinsteckt.

„Mir ist wichtig, dass das Konzept zu jeder Jahreszeit funktioniert. Und dass die Betreiber spätestens im zweiten Jahr schwarze Zahlen schreiben und ihr Geld zurück bekommen“, erklärt er. Wenn er in einem Projekt kein wirtschaftliches Potential sieht, sagt er nicht nur seine Tätigkeit dafür ab, sondern rät auch offen dazu, ganz davon abzusehen. So manches – eventuell erfolglos gewordene – Gastronomieprojekt wurde aus diesen Gründen nie realisiert: „Aber es sind heute meine besten Kunden, mit denen ich viele andere Sachen umgesetzt habe, weil wir uns vertrauen.“

Sicherheit sei für viele seiner Kunden ein wichtiger Aspekt, und so war es fast zwangsläufig, dass er immer häufiger gefragt wurde, ob er Mitinhaber werden und sich längerfristig in Projekten engagieren wolle, also auch nach dem Opening. In einigen Fällen werde er dieses für eine bestimmte Zeit tun, erklärt Tran Mai Huy Thong. So etwa im „Hoa Rong“, das im Frühsommer startete und dem er noch einige Zeit beratend zur Seite stehen will. 

Frühe Neigungen für Kulinarik und Gestaltung 

Im „Oukan Dining“ hingegen wolle er auf Dauer bleiben, erklärt er uns: Es ist von allen Projekten sein bislang wohl persönlichstes. Mit dem Küchenteam um Martin Müller arbeitet er eng zusammen und stellt unter anderem die Kontakte zu den asiatischen Klöstern her, deren vegane Speisen man hier zelebriert und neu interpretiert.

Dieses besondere Foodkonzept wiederum hat direkt mit Huy Thongs Kindheit in Vietnam zu tun: Damals besuchten er und sein Bruder buddhistische Klosterschulen, auch die Eltern waren als Mönch und Nonne in Klöstern tätig. Die Mutter kochte ausschließlich pflanzenbasiert und den kleinen Novizen interessierten vor allem zwei Dinge – das Mitarbeiten in der Klosterküche und das schmuckvolle Herrichten der Altäre.

Kurz: Seine Neigungen für Kulinarik und Gestaltung waren schon früh ausgeprägt. Als die Familie 1979, da war Tran Mai Huy Thong gerade mal acht Jahre alt, als Bootsflüchtlinge ins winzige ostwestfälische Bega kamen, begann ein neues Kapitel seiner Lebensgeschichte. Die Geschichte seiner vietnamesischen Kindheit indes, man kann sie, hier im wundervollen „Oukan Dining“, ein ganzes Stück weit nachempfinden.

Dieser Beitrag erschien zuerst in fizzz 11/2022. Ein weiteres Portrait über den Gastronomen und Designer hat Stefanie Hofeditz für Esspress geschrieben.

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