Energiekosten, Personalkosten, Inflation und und und: Die Gastronomie-Branche steht vor enormen finanziellen Herausforderungen. Preisanpassungen sind unumgänglich, aber: Wie macht man sie clever? Fair? So, dass es Gäste nicht verschreckt und am Ende positive Effekte hervor bringt? Dies ist der Auftakt unserer neuen Reihe zur zeitgemäßen Preisgestaltung in der Gastronomie. Unser Autor ist der Experte Uwe Ladwig von F&B Support aus Willich: Konditor, Koch und Küchenmeister, Foodstylist, Trainer, Betriebsberater – und Zahlenjongleur.
Vor einigen Wochen bekam ich folgende Nachricht per Mail:
„Guten Tag Herr Ladwig, wie Sie gönne ich mir gerne auch mal ein Filetsteak. In Erfurt habe ich ein bevorzugtes Restaurant, das Filetsteak kostete hier im Januar 28 und aktuell 38 Euro. Berechtigte Erhöhung, wenn ich die Preisentwicklung sehe.
Jetzt ist die Differenz zu den anderen Gerichten noch größer, diese bewegen sich im Bereich von 18 bis 22 Euro. Da mache ich mir so meine Gedanken, ob die Preisgestaltung und das Angebot optimiert werden können. Wir sind immer fünf Personen und dieses Mal hat keiner ein Filetsteak gegessen.“
Was ist in diesem Betrieb schief gegangen und was ist die Ursache, dass ein Produkt, was scheinbar vorher lief und mit dem Geld verdient wurde, nun zum Schläfer wird?
Ganz einfach, Wareneinsatz x 4 und Aufschlagskalkulation wurden hier angewendet, der schlimmste Virus bei der Preisgestaltung. In diesem Fall wurde ein Gewinnerprodukt zum Schläfer mit einem hohen Deckungsbeitrag, der nun nicht mehr läuft. In Düsseldorf hat das gleiche übrigens eine bekannte Brauerei mit dem Wiener Schnitzel vom Kalb durchexerziert.
Immer noch wendet der Gastronom die Aufschlagskalkulation an und verschenkt damit jeden Tag sein hart verdientes Geld. Weil damals, unmittelbar nach dem Kriegsende, die Wareneinsätze die höchsten Kosten waren, wurden die Wareneinsatzkosten mit einem Faktor von 3 bis 4 multipliziert, um den Preis für ein Gericht zu berechnen. Das schien unkompliziert und einfach genug für Pi-mal-Daumen-Preisermittler. Selbst Steuer- und Betriebsberater waren damit zufrieden, da alles schlüssig und nachvollziehbar war. Doch ganz ehrlich, wer weiß wirklich noch, wie vor 40 Jahren der Kalkulationsfaktor 4 rechnerisch ermittelt wurde?
Diese Kalkulationsmethode funktioniert schon seit über 30 Jahren nicht mehr richtig gut. Inzwischen sind nämlich die Personalkosten davon galoppiert. Wer noch immer nach der Aufschlagskalkulation Preise berechnet, produziert zu viele Renner. „Renner“ sind Gerichte, die sehr gut laufen, die aber einen zu niedrigen Deckungsbeitrag haben. Bei vielen Gastronomen weisen 40 bis 50 Prozent der Gerichte auf einen unter dem Durchschnitt liegenden Deckungsbeitrag hin. Das heißt: Je mehr Renner anstatt Gewinner Sie verkaufen, desto weniger Deckungsbeitrag erwirtschaften Sie im Durchschnitt.
Aufschlagskalkulation ist veraltet und unwirtschaftlich
Ich will Sie dazu motivieren, mit der Aufschlagskalkulation und dem Schätzen bei Preis, Menge, Deckungsbeitrag, Einkaufspreis usw. aufzuhören, damit Sie Ihre Kalkulationsmethode jetzt umstellen und fair mehr Geld am Monatsende übrig bleibt. Sie werden dieses Geld in den nächsten Monaten brauchen.
Egal, ob Sie die antiquierte Aufschlagskalkulation anwenden oder Ihre Preise noch aus dem Bauch kalkulieren: Mit jedem Tag, an welchem Sie mit der Deckungsbeitragskalkulation arbeiten, werden Sie mehr Geld verdienen und einen ruhigeren Schlaf haben. Denn viele Ihrer hervorragend laufenden Gerichte, die „Renner“, tragen schlimmstenfalls zum Verlust bei. Wie bitte? Currywurst, Burger, Flammkuchen, Schweineschnitzel, Matjes im Norden und Schweinebraten in Süddeutschland: Das sind alles Renner auf den Speisekarten. Sie haben aber noch eine andere Gemeinsamkeit: Alle haben einen niedrigen Wareneinsatz und gemäß der Methode Aufschlagskalkulation erzielen sie einen niedrigen Deckungsbeitrag (Nettoumsatz abzüglich des Wareneinsatzes). Diese aufgeführten Gerichte sind allesamt „Renner“, und der Deckungsbeitrag ist zu niedrig, um alle Betriebskosten und den Gewinn ausreichend zu decken. Deshalb heißt diese Kennzahl ja auch Deckungsbeitrag. Sie wird auch Marge und vom Steuerprüfer Rohgewinn genannt.
Die Gerichte auf der anderen Seite der Preisskala, zum Beispiel das beschriebene Rinderfilet, haben einen hohen Wareneinsatz und werden durch die Aufschlagskalkulation entsprechend hochpreisig angeboten. Das Ergebnis: Kaum jemand bestellt das Gericht Rinderfilet für 38 Euro und höher. Letztendlich ist das auch eine unfaire Preispolitik gegenüber dem Kunden. Denn wer ein teures Gericht isst, sponsert letztendlich den Gast mit der günstigen Currywurst, Flammkuchen, Burger, Schnitzel, Schweinsbraten, Matjes Nordisch, Spaghetti, vegane und vegetarische Gerichte usw. – alle mit einem schwachen Deckungsbeitrag. Das funktioniert jedoch schon deshalb nicht, da nur 5 Prozent bis 10 Prozent der Hauptgerichte „Schläfer” mit einem sehr hohen Deckungsbeitrag sind. Das reicht nicht aus, um den schlechten Deckungsbeitrag von 40 bis 50 Prozent der Renner-Gerichte auszugleichen.
Deckungsbeitragskalkulation: Fast gleicher Deckungsbeitrag und gleicher Gewinn in Euro an jedem Gericht
Wie wäre es, wenn es Ihnen ganz egal sein kann, welches Gericht Ihr Gast wählt, weil Sie mit jedem Hauptgericht fast das gleiche Geld – Deckungsbeitrag – verdienen? Das schaffen Sie aber nur, wenn Sie auf die Deckungsbeitragskalkulation umstellen.
Ein typisches Beispiel ist die Preisgestaltung für die Currywurst. In allen Betrieben ein Renner. Wie hoch ist Euer Deckungsbeitrag für Currywurst, Burger oder Schnitzel? Bei der ersten Speisendiagnose bei einem Kunden vor sechs Jahren errechneten wir einen Deckungsbeitrag von 4,17 Euro für die Currywurst, die einen Verkaufsanteil von 22 Prozent hatte und das meistverkaufte Hauptgericht war – ein Renner. Ein ähnliches Beispiel kann ich Ihnen auch von einem Vier-Sterne-Hotel in Hamburg zeigen. Überall das gleiche Problem, und keiner merkt es. Das meistverkaufte Gericht muss ein Gewinner sein. Sonst habe ich eine Speisekarte erstellt, die nicht das Ziel hat, Geld zu verdienen.
Der Deckungsbeitrag bei der Currywurst ist mit 4,17 Euro niedriger als der durchschnittliche Deckungsbeitrag aller Hauptgerichte in diesem Betrieb. Dieser lag bei 5,56 Euro, wobei selbst der Durchschnittsdeckungsbeitrag viel zu niedrig ist. Die Currywurst wurde weit unter Preis und dem notwendigen Deckungsbeitrag, und – wie sich nachträglich herausstellte – weit unter dem möglichen Preis, den die Gäste bereit waren zu zahlen, verkauft. Da der Gastronom bis dato jedoch keine Speisendiagnose für die Preispolitik anwendete, konnte er nicht herausfinden, welchen Preis der Gast bereit war zu zahlen.
Deckungsbeitrags-Denken führte zu 93.000 Euro mehr Rohgewinn
In den nächsten Jahren erhöhte der eher zu vorsichtige Gastronom kontinuierlich die Preise seiner Renner, die damals 46,1 Prozent seiner Hauptgerichte ausmachten. Er wechselte endlich von Wareneinsatzdenken, Rohgewinnaufschlagssatz und Aufschlagskalkulation auf die Deckungsbeitragskalkulation und das Deckungsbeitrags-Denken. Er schaffte es, den Durchschnittsdeckungsbeitrag auf nun 7,39 Euro zu erhöhen. Durch die Verbesserung von 1,83 Euro erzielte er bei 27.842 verkauften Gerichten damit einen 50.950 Euro höheren Gesamt-Deckungsbeitrag.
Schade, dass dieser Gastronom ca. 20 Jahre mit der Umstellung seiner Denkweise gewartet hat. Nur durch die Veränderung seiner Denkweise und der Kalkulationsmethode bei Speisen, Getränken, Veranstaltungen, All-Inclusive-Feiern, Weihnachten und Silvester konnte der Gastronom bereits nach dem ersten Jahr des Spurwechsels etwa 93.000 Euro mehr Rohgewinn (das ist das andere Wort für Deckungsbeitrag) laut BWA Auswertung erzielen.
Deckungsbeitragskalkulation hilft bei Betriebsprüfungen
Das Kuriose an dieser Geschichte ist: Wenn der Betrieb nicht eine Steuerprüfung bekommen hätte, würde er immer noch keine Rezepturen und Kalkulationen haben (wie ca. wie 80 Prozent der Gastronomen) und „Wareneinsatz mal 4“ aus dem Bauch rechnen oder „retrograd“, wie er seine Kalkulationsmethode nannte. Nur wegen der Steuerprüfung und weil er in diesem Zusammenhang seine niedrigeren Rohgewinnaufschlagsätze dem Finanzamt nachweisen wollte, hat er sich mit dem Thema auseinandergesetzt und die in die Jahre gekommene Kalkulationsmethode geändert. Die Betriebsprüfung war zum damaligen Zeitpunkt für ihn einerseits eine Krise und andererseits gleichzeitig das Beste, was ihm passieren konnte. Auch jetzt werden sich ganz viele Gastronomen mit diesem Thema beschäftigen müssen, weil sie sich in der Ex-Post-Corona-Krise und in den Folgen des Ukrainekriegs befinden.
Krisen als Chance für die perfekte Preiskalkulation nutzen
Leider scheinen die Menschen immer nur in einer Krise etwas zu ändern. Auch hier passt wahrscheinlich die Formel von Vilfredo Pareto, nämlich das sogenannte 20-80-Prinzip. Wahrscheinlich werden wieder nur 20 Prozent der Betroffenen (wie nach den Krisen 2001 und 2008/2009) etwas unternehmen. Das sind dann die Gastronomen, die Gastronomie als Unternehmer betreiben. Ein Hoch auf die Krisen, dann bewegt sich endlich etwas. Die Aufschlagskalkulation ist seit 30 Jahren ein schleichender Virus, der sich auf das Ergebnis von 80 Prozent der gastronomischen Betriebe negativ ausgewirkt hat.
Fazit
Hören Sie endlich mit der antiquierten Preisgestaltung und den „Pi mal Daumen“-BWL-Methoden auf. Steigen Sie um auf die Deckungsbeitragskalkulation, mit der u.a. nicht nur die beiden Aldi-Brüder nachweislich sehr viel Geld verdient haben. Wenden Sie im Jahr 2022 zeitgemäße BWL-Methoden an und vergessen Sie manches (nicht alles), was Sie in Ihrer Berufsausbildung, beim Meisterlehrgang oder BWL-Studium in zahlreichen IHKs, Berufsschulen und Hotelfachschulen gelernt haben. Nur weil es im 30 Jahre alten Lehrplan steht, bedeutet es nicht gleichzeitig, dass es auch (noch) richtig ist. Vieles im Lehrplan darf schon lange nicht mehr in der Praxis angewendet werden und bei der Modernisierung des Lehrplans 2022 wurde das Thema Kalkulation nicht angefasst.
Im nächsten Beitrag steigen wir noch tiefer in das Thema Deckungsbeitragskalkulation ein.
Uwe Ladwig ist Fachbuchautor, Dozent, Trainer und Inhaber von F & B Support in Willich. Er trainiert und unterstützt Gastronomen bei betriebswirtschaftlichen Herausforderungen wie, Kalkulation von Speisen, Getränke und Veranstaltungen, Preisgestaltung, Speisendiagnose – Menu Engineering, Speisekartengestaltung, Erfolgskennzahlensysteme, Budgetierung, Mitarbeitereinsatzplanung mit Umsatzprognose und Kennzahlen u.v.m. Er bietet zahlreiche Onlinekurse und Komplett-Kalkulationspakete für den Einsatz in der Gastronomie an. Ebenso einen Gratis Gastro-Workshop für „Die perfekte Preisgestaltung für die Gastronomie“ für die praktische Umsetzung im Betrieb.