Noch immer wird in vielen Gastronomie-Betrieben der Faktor X, also die klassische Aufschlagskalkulation angewendet. Uwe Ladwig aus Willich, gelernter Konditor, Koch und Küchenmeister, heute als mit seinem Unternehmen F&B Support als Berater tätig, hält das für einen Fehler bzw. für einen Virus. Sein Impfstoff nennt sich Deckungsbeitragskalkulation. Warum sie so wirksam ist, erklärt er uns im Interview.
Herr Ladwig, wie viele Unternehmen in der Gastronomie wenden Ihrer Beobachtung nach eigentlich die Deckungsbeitrags-Kalkulation schon an?
Wir haben dazu Umfragen gemacht. Was dabei heraus kam, können Sie hier sehen:
Wenn Sie mich fragen: Das ist der größte Virus seit mindestens 20 Jahren. Oder anders gesagt: Können wir wirklich zwei Viren gleichzeitig bekämpfen? Wer seine Kalkulationsmethode verändert, erzielt eine höhere Wertschöpfung gleich einen höheren Deckungsbeitrag.
Warum ist denn der Wareneinsatz als Kalkulationsgrundlage aus Ihrer Sicht nicht mehr zeitgemäß?
Weil die Personalkosten in den letzten 30 Jahren deutlich gestiegen sind. Sie stellen die größte Kostenart in der Gastronomie dar. Produkte mit niedrigem Wareneinsatz, multipliziert mit drei, dreieinhalb oder vier, werden am Ende trotzdem einen niedrigen Verkaufspreis erzielen. Die Marge solcher Produkte reicht bei klassischer Kalkulation oft nicht aus, um z.B. die Personalkosten zu decken – und gleichzeitig sind diese Produkte in vielen Betrieben aber die am meisten verkauften, die so genannten Renner. Die meisten Gäste, ca. 40 bis 45 %, essen nämlich die günstigeren Gerichte – die Renner.
Es kommt aber noch etwas dazu: Die Aufschlagsmethode ist auch unfair. Hat ein Produkt zwei Euro Wareneinsatz, komme ich selbst bei Faktor vier mit Mehrwertsteuer bei unter zehn Euro raus. Hat es aber zehn Euro Wareneinsatz, dann wird es überdimensional teuer für den Gast. Es ist den meisten Gästen zu teuer und wird dann zum Schläfer-Produkt.
Wegen des Hebeleffekts.
Richtig. Jede Methode der Kalkulation, die mit einem Faktor oder Prozent arbeitet, ist betriebswirtschaftlicher Mist. Jedes Gericht sollte einen bestimmten absoluten Gewinn erzielen, keinen prozentualen. Am besten ist es, wenn jedes Hauptgericht den gleichen Deckungsbeitrag und den gleichen Gewinn in Euro hat. Das sehen dann auch die Gäste: Der hat faire Preise.
Viele Betriebe achten ja beim Einkauf auch auf faire Einkaufspreise, zum Beispiel weil sie direkt mit einem nachhaltigen Erzeugerbetrieb kooperieren, dessen Ware natürlich teurer ist als herkömmliche. Was bedeutet das im Sinne der Deckungsbeitrags-Kalkulation?
Natürlich ist es auch hier fairer: Der Wareneinsatz steigt, aber weil ich nicht einfach Faktor X draufschlage, wird es am Ende nicht überproportional teurer. Und ich kann solche Produkte besser verkaufen. Wir stellen übrigens gerade in einem Betrieb, den wir begleiten, auf Bio um und das genau anhand dieser Methode.
Es gibt ja auch die so genannten Snob-Produkte. Also die berühmte besonders teure Flasche Wein oder Schampus, die ein Fine-Dining-Restaurant aus Prestigegründen einfach haben muss. Und wenn sie mal verkauft wird, macht sie enormen Gewinn.
Gastronomie ist und bleibt auch Psychologie. Man braucht – oder manche Betriebe brauchen – auch solche teuren Produkte auf der Karte, das ist richtig. Schon allein deswegen, damit sich Gäste für das zweitteuerste entscheiden.
Sie haben bereits die Renner erwähnt. Das sind Ihrem Buch zufolge Produkte, die sich gut verkaufen, aber einen zu niedrigen Deckungsbeitrag erwirtschaften, anders als die Gewinner, die sich gut verkaufen und gute Deckungsbeiträge erzielen. Ich fand hierbei interessant, dass „das Produkt ist der Renner“ ja eigentlich immer als etwas Positives verstanden wird, beziehungsweise missverstanden.
Stimmt. Man kennt ja auch den Begriff der Renner-und-Penner-Analyse. Die ist aber eindimensional. Wir brauchen immer eine zweidimensionale Analyse. Nur zweidimensionale Analysen oder Kennzahlen sind aussagefähig.
Also nicht nur Verkaufsmenge …
… sondern auch: Was erwirtschaften die Produkte an Deckungsbeitrag, also Umsatz netto mit Wareneinsatz? Erst wenn ich in Renner (niedriger Deckungsbeitrag, hoher Verkauf), Gewinner (hoher Deckungsbeitrag, hoher Verkauf), Schläfer (hoher Deckungsbeitrag, zu wenig Verkauf) und Verlierer (zu niedriger Deckungsbeitrag, zu wenig Verkauf) unterteilen kann, wird es aussagekräftig.
Basis für eine Kalkulation und ein Denken anhand von Deckungsbeiträgen ist die Speisendiagnose. Dafür müssen, das beschreiben Sie ja auch im Buch, Rezepturen genau bemessen und berechnet werden. Das ist schon eine Menge Arbeit.
Ich muss es aber nicht gleich für alle meine Positionen machen. Hier gilt, wie fast immer in der Wirtschaft, das Pareto-Prinzip.
Die 80-zu-20-Regel.
Die ist das A und O! 80 Prozent meines Umsatzes mache ich mit 20 Prozent meiner Speisen. Also fange ich am besten mit meinen Hauptgerichten und A – Getränken an, die sich am meisten verkaufen. Getränke zu kalkulieren ist schnell gemacht und auch bei den Speisen dauert das nicht lange. Auch hier gilt das Pareto-Prinzip: 20 Prozent meiner Zutaten erzeugen 80 Prozent des Wareneinsatzes. Glauben Sie mir: Speisendiagnose ist eine Gelddruckmaschine.
Warum?
Weil ich pro Produkt Renner mehr Deckungsbeitrag erziele und auch insgesamt. Ich finde mit der Diagnose ja heraus: Was liebt mein Kunde? Welche Produkte laufen gut, aber haben zu wenig Marge? Und wo ist der Kunde bereit, mehr Geld auszugeben?
Ein wichtiges Element der Deckungsbeitrags-Kalkulation ist, sämtliche andere Kosten außerhalb des Wareneinsatzes einzuberechnen und nicht per Aufschlag irgendwie abzudecken. Aber woher weiß ich denn, wie hoch diese Kosten sind und vor allem: Wie rechne ich sie rein?
Dafür habe ich meine BWA. Es geht ja um die Gemeinkosten, und das sind die Gesamtkosten minus Wareneinsatz. Ich erkläre es im Buch: Haben wir zum Beispiel 1.659.000 Euro Gesamtkosten und 384.000 Euro Gesamtwareneinsatz, ziehen wir den Wareneinsatz von den Gesamtkosten ab. So erhalten wir den notwendigen Gesamtdeckungsbeitrag, der zu erwirtschaften ist, also 1.275.000 Euro Gemein- oder Fixkosten. Dieser Deckungsbeitrag ist von Küche und Service zu erwirtschaften. Ist der Umsatzanteil der Küche 65 Prozent, muss ich entsprechend 65 Prozent der Kosten mit den Speisen decken, das wären dann 828.750 Euro.
Jetzt ist es noch notwendig herauszufinden, wie hoch der Anteil der Hauptgerichte an den gesamten verkauften Gerichten ist. Wenn also die Hauptgerichte 75 Prozent des Gesamtumsatzes ausmachen, muss ich auch drei Viertel des notwendigen Deckungsbeitrages mit den Hauptgerichten erwirtschaften: 828.750 Euro x 0,75 = 621.562,50 Euro.
Und wie hoch der Umsatzanteil der Hauptgerichte ist, sagt mir das Kassensystem?
Wenn es gut strukturiert ist, ja. Sagen wir der Einfachheit halber: Ich habe 62.156 Hauptgerichte verkauft. Dann liegt notwendige Deckungsbeitrag pro Hauptgericht bei 10 Euro.
Und der Gewinn?
Dazu benötigen wir an erster Stelle den gewünschten Gewinn, legen wir ihn mal auf 200.000 Euro fest. Der Umsatzanteil der Küche beträgt 65 Prozent, also muss ich entsprechend 65 Prozent des Gewinns mit den Speisen erwirtschaften, das wären 130.000 Euro notwendiger Gewinn mit der Küche. Und wenn die Hauptgerichte wie oben 75 Prozent des Gesamtumsatzes ausmachen, muss ich auch 75 Prozent des notwendigen Gewinns mit den Hauptgerichten erwirtschaften: 130.000 Euro x 0,75 = 97.500 Euro.
Nun teile ich noch den notwendigen Gewinn durch die verkauften Hauptgerichte: 97.500:62.156 – und wir erhalten den notwendigen Gewinn pro Hauptgericht: 1,57 Euro. Aufgerundet 1,60 Euro.
Können mir das Kassensystem oder sagen wir digitale Kalkulations-Tools für die Gastronomie allgemein die komplette Deckungsbeitragskalkulation abnehmen?
Nein, mir ist kein System bekannt, das diese Aufgabe übernehmen kann. Denn eine Speisendiagnose – und die ist meine Basis – nimmt mir keine solche Software ab. Es gibt schon Systeme, die mir gute Zahlen ausgeben, aber ohne eine eigene Berechnung mit Excel wird es aktuell und auch in Zukunft wohl nicht funktionieren. Darüber muss man sich im Klaren sein: Ohne Excel – oder in anderes entsprechendes Programm wie Spreadsheets, oder Numbers – keine Analyse, keine Kalkulation, keine bessere Wertschöpfung. Das Rechnen ist leider nicht genug in der Ausbildung verankert. Was die Betriebe richtig Geld kostet.
Sie bieten ja zahlreiche Webinare und Onlinevideos an. Und sogar Excel-Dateien mit Formeln, die man dann „nur“ noch ausfüllen muss.
Ja, die mit Excel-Grundkenntnis leicht zu bedienen sind. Die sollte man sich zuvor aneignen. YouTube ist voller guter Lernvideos, die einem Excel erklären. Damit schafft man sich in wenigen Stunden die Grundlage.
Vielen Dank, Herr Ladwig.
Uwe Ladwig bietet auch einen Gratis Gastro-Workshop für „Die perfekte Preisgestaltung für die Gastronomie“ für die praktische Umsetzung im Betrieb an.