Viktoria Kniely, Tante Fichte Berlin: „Der Service macht die Stammgäste“

Ein Gespräch über die Kultur, die Klischees und die Kraft des Gastgeber*innen-Seins

von Jan-Peter Wulf
Viktoria Kniely Port2 pctrbrln web 1 - interviews-portraits, gastronomie Viktoria Kniely, Tante Fichte Berlin: „Der Service macht die Stammgäste“

Viktoria Kniely. Foto: pctrbrln

Viktoria Kniely ist Kellnerin. Und wie: Im „Tante Fichte Speiselokal“ in Berlin-Kreuzberg schenkt sie die perfekten Weine zu den Speisen von Küchenchef Dominik Matokanovic ein – und sorgt mit Herzlichkeit, persönlichem Service und guten Antennen dafür, wie Gäste ticken dafür, dass diese gerne wieder kommen. Zum Start eines genussvollen Abends zu Tisch in der Tante haben wir mit der gebürtigen Österreicherin gesprochen. 

Viktoria, wann hast du gemerkt, dass du eine gute Gastgeberin bist? War es bei dir, weil du aus einer Familie kommst, die ein Weingut mit Buschenschank hat, quasi programmiert? 

Ich bin mit Service groß geworden. Bei uns war es so: Man kam aus der Schule und hat seine Schulaufgaben im Gastraum gemacht (lacht). Stammgäste erzählen mir heute noch, dass ich im Maxicosi auf dem Tresen stand. Später bin ich dann mit Rollerskates durch den Raum gefahren. Für mich war es ganz normal, dass immer Gäste um mich herum waren. Beim Gläserpolieren mithelfen musste ich mit sechs, sieben Jahren. Es hat einfach dazu gehört, so wie man in einem Privathaushalt als Kind auch mal den Müll rausbringt.

Sich dann aber zu entscheiden, diesen Weg weiterzugehen, ist ja noch mal etwas anderes. Wann entstand bei dir der Gedanke: Das mache ich zu meinem Beruf?

In Österreich kann man sein Abitur mit einem Beruf kombinieren. Das ist echt gut, weil man viel praktischer lernt. In der achten Klasse stand ich dann vor der Entscheidung: Werde ich Kindergärtnerin oder gehe ich in die Gastronomie … 

… sehr ähnliche Berufe eigentlich … 

… nein, überhaupt nicht (lacht). Ich habe mich für die Gastronomie entschieden und ging auf die Hotelfachschule bei uns in der Steiermark, weil mir bewusst wurde: Ich kann in diesem Beruf viel reisen und viel von der Welt sehen, und das wollte ich unbedingt. Diese Möglichkeiten hast du selten so gut wie in der Gastronomie.

Gab es nicht den Wunsch, dass die Tochter m Familienunternehmen bleibt und es irgendwann übernimmt?

Mein zwei Jahre jüngerer Bruder hat das Weingut übernommen und leitet zusammen mit meiner Mutter den Betrieb. Natürlich merke ich schon, wenn ich daheim bin, dass man sich freuen würde, wenn ich zurück käme. Aber ich wurde nie dazu gedrängt zu bleiben. Ich bin gleich nach der Hotelfachschule in die Schweiz gegangen, dann nach Mallorca und ins Saisongeschäft in Österreich.

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Verstehen sich gut: Michael Köhle, Viktoria Kniely und Daniel Matokanovic vom Tante Fichte sind in diesem Sommer sogar zusammen in Kroatien im Urlaub gewesen. Foto: Nils Hasenau

Ich habe oft das Gefühl: Vielen Gästen ist gar nicht bewusst, dass hinter dem, was Menschen wie du beruflich machen, eine Ausbildung steht.

Ich weiß gar nicht, wie oft ich schon gefragt wurde: Was machst du eigentlich hauptberuflich? Ja, das hier! Es ist meine Leidenschaft. Es geht nicht nur darum, Teller rauszutragen, sondern auch zu wissen, welche Produkte man rausträgt und wie man mit ihnen umgeht. Und darum, ein Feingefühl für die Gäste zu haben. Jeder Tisch ist anders: Da hast du ein junges Pärchen, das vielleicht zum ersten Mal gut essen geht. Dem willst du ebenso einen schönen Abend bereiten wie dem älteren Ehepaar am Tisch daneben, das eventuell etwas Klassischeres gewohnt ist und sich auf einen lockeren, jüngeren Service erst einmal einstellen muss.

Das Bild kann man sich gut vorstellen: junges Pärchen, frisch verliebt, die beiden haben sich viel zu erzählen und wollen gar nicht groß gestört werden. Daneben das ältere Ehepaar, die beiden haben sich womöglich nicht ganz so viel zu sagen und wollen gerne unterhalten werden. Wie sind deine Antennen für solche unterschiedlichen Bedürfnisse?

Die sind, finde ich, sehr gut mittlerweile (lacht). Wenn zum Beispiel jemand reinkommt und ich merke: Ui, der weiß gar nicht so recht, wo er gelandet ist, der will einfach etwas essen und wirkt unsicher – dann ist es für mich das Schönste, solche Leute happy zu machen. Oder jemanden, der voreingenommen ist, weil er alles schon gesehen hat. Den zu catchen ist auch toll.

Wie catcht man so jemanden?

Solche Leute sind es gewohnt, immer im Mittelpunkt zu stehen. Aus meiner Sicht wäre es der falsche Weg, es nach dem Motto Gast gleich König dabei zu belassen. Auch wenn der Gast natürlich im Mittelpunkt steht. Aber man sollte sie ein bisschen fordern. Man darf auch mal einen komischen Spruch drauf haben, sodass sie merken, dass man nicht ganz auf der Nudelsuppe daher geschwommen ist (lacht).

Dafür braucht man Fingerspitzengefühl, aber auch Know-how. Wird dieses in der Ausbildung hinreichend vermittelt?

Ich kenne mich mit dem deutschen Ausbildungssystem nicht so gut aus, muss ich dazu sagen. In Österreich kommt es sehr drauf an, wo du lernst und von wem du es vermittelt bekommst. Auf der Hotelfachschule hatte ich tolle Lehrer und viel Praxis. Ich habe eigentlich jedes Wochenende bei einem Catering-Unternehmen gearbeitet oder in den Sommerferien Betrieben. Kollegen haben mir aber berichtet, dass die Lehre in der Berufsschule veraltet und nicht mehr zeitgemäß ist.

Das hört man hier auch oft. Warum ist das so? Überall treffe ich in den Betrieben, ob Küche, Bar oder Service, schließlich auf super erfahrene und kompetente Leute wie dich. Da könnte Wissen transferiert werden. Ihr seid da.

Wir sind da. Das Problem ist, dass oft noch eine Generation lehrt, die es früher, wir reden von vor 25, 30 Jahren, anders gelernt und gemacht hat. In den letzten 10, 15 Jahren hat sich in der Branche sehr viel getan. Eine Kollegin war neulich auf einer Schulmesse: Der Stand der IHK war wohl super veraltet, altes Infomaterial, es wurden nichtssagende Häppchen an die Schüler ausgegeben. Daneben haben sich Firmen mit Computerspielen präsentiert. Wie soll man junge Menschen so dazu bringen, unseren Beruf zu erlernen?

Ich war vor ein paar Jahren auch auf so einer Ausbildungsmesse. Da wurde den jungen Leuten bei einer Bühnenshow von Vertretern des Gastgewerbes gesagt: Viel Geld verdient ihr bei uns nicht, aber ihr kriegt viel Trinkgeld.

Trinkgeld zu bekommen ist überhaupt kein Argument! Das haben wir in der Coronazeit gesehen: Da gab es nämlich keins. Und wenn die Löhne niedrig sind, ist das Kurzarbeitergeld oder das Arbeitslosengeld oder am Ende auch die Rente nicht so hoch.

Du bist – zusammen mit deinem Chef Michael Köhle – Teil der Initiative #proudtokellner, die sich für mehr Wertschätzung des Serviceberufs engagiert. Ihr seid Topleute aus Topbetrieben. Ich weiß, ihr seid noch dabei, euch selbst zu finden …

… wir haben heute endlich unseren Verein gegründet!

Glückwunsch! Was braucht ihr, damit ihr eure Anliegen gut vertreten könnt?

Wir brauchen starke Stimmen, um mehr Leute erreichen. Gerade läuft in Coburg eine Ausstellung mit unseren Fotos. Demnächst kommt die Ausstellung in die Markthalle Neun“ und soll es weiter gehen. Wir wollen das Ganze größer machen. Wir haben jetzt auch schon einige Mitglieder in Hamburg, Köln, Düsseldorf … und wir brauchen auch ein bisschen Geld, um lauter zu werden. Damit man uns hört und sieht, wie kreativ es ist, was wir in unserem Beruf machen.

Eben fiel das Stichwort Corona. Hat sich in Sachen Service aus deiner Sicht seitdem etwas verändert?

Ich finde, dass vor allem kurz nach den Lockdowns, auch weil wir sehr sensibel auf die Gäste eingegangen sind, viel Wertschätzung da war. Die Leute waren froh, dass sie ins Restaurant gehen konnten. Sie haben es genossen, bedient zu werden. Mittlerweile ist diese Wertschätzung wieder etwas zurückgetreten. Sie ist seit Corona insgesamt ein bisschen gestiegen, aber nicht mehr ganz so groß wie direkt nach den Lockdowns.

Service scheint wieder etwas mehr Selbstverständlichkeit zu haben, die Betonung liegt auf scheint. Denn die Situation ist ja fragil. Die Kosten steigen, die Menschen müssen sparen. Wie schafft man vor diesem Hintergrund, durch Servicequalität, einen noch stärkeren „reason why“ für den Restaurantbesuch?

Die gute Küche (und die ist im Tante Fichte sehr gut, unbedingte Anm. d. Red.) erreicht und gewinnt die Gäste. Ob sie wiederkommen, das liegt in hohem Maße an uns: Der Service macht die Stammgäste. Gerade jetzt. Wenn ich mir den Besuch eines guten Restaurants vielleicht nur einmal im Monat gönnen kann, weil ich mein Geld zusammen halten muss, dann entscheide ich mich zwischen zwei Restaurants, die beide gutes Essen anbieten, für das, in dem ich mich wohler fühle.

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Aus dem „Herz & Niere“, das Michael Köhle in derselben Location mit einem Partner betrieb, ist 2021 „Tante Fichte“ geworden. Foto: Nils Hasenau

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Fine Dining, entspannt und mit kroatischen Einflüssen – die Küche von Tante Fichte ist großartig. Foto: Nils Hasenau

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Foto: pctrbrln

Was wünschst du dir für deinen Berufsstand?

Mehr Anerkennung. Und manchmal mehr Selbstbewusstsein der Kollegen. Dass sie hinter dem Kellnern stehen. Muss man es immer Restaurant Manager, stellvertretender Sowieso, Head of Blabla nennen? Wir kellnern – mit Freude, und bereiten Gästen einen schönen Abend. Darauf dürfen wir stolz sein.

Vielen Dank, liebe Viktoria.

 

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