Vom guten Essen – Anbau und Genuss in Berlin und Brandenburg: „Die Leute haben einen besonderen Sinn für das Stück Land, das sie bewirtschaften“

Gespräch mit den Buchautoren Felix Fröhlich und Lukas Freitag

von Jan-Peter Wulf

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Auf den ersten Blick sieht Vom guten Essen aus wie eines jener Coffee-Table-Bücher, die in lichtdurchfluteten Altbauwohnungen oder den Lobbys boutiquer Hotels gerne auf den Tischen liegen. Und ja, zu einem gewissen Grad will das Buch dies auch sein – visuell stark, optisch wie haptisch ansprechend, angenehm durchzublättern. Wer indes tiefer eintauchen, Kontexte und Hintergründe verstehen möchte, was Essen eigentlich gut macht, hat dazu jederzeit die Möglichkeit, denn neben ausführlichen 24 Portraits gibt es in den acht Kapiteln, in die sich das Buch gliedert, jeweils eine fachliche Einführung sowie eine abschließende Vertiefung, angereichert mit Grafiken und Schaubildern. 

Die beiden Autoren, Felix Fröhlich und Lukas Freitag, der auch die hervorragenden Fotos gemacht hat, lernten sich an der Hochschule für nachhaltige Entwicklung Eberswalde kennen. Sie haben sich im Rahmen ihrer gemeinsamen Masterarbeit mit den Strukturen von Die Gemeinschaft auseinandergesetzt und erörtert, wie man ein solches Netzwerk, das eine Brücke zwischen Berlin und Brandenburg baut, in die breite Masse bekommen, also die Verbindung zwischen den Erzeugern und den Konsumenten „mainstreamisieren“ kann.

Das vorliegende Buch ist jedoch keine Überarbeitung dieser wissenschaftlichen Arbeit, sondern Ergebnis einer noch einmal ein ganz eigenen, anderthalbjährigen Recherche mit rund 50 Gesprächen mit Erzeuger*innen wie Vertreter*innen von NGOs, von Thinktanks und aus der Wissenschaft. Felix arbeitet mittlerweile als Geschäftsführer und Gastgeber im Berliner Restaurant Remi und Lukas bei einem Reiseveranstalter, der sich auf nachhaltigen Tourismus spezialisiert hat. Wir trafen sie zum Gespräch im Innenhof eines der portraitierten Unternehmen, Endorphina Bio-Backkunst in Neukölln.

Ihr schreibt im Vorwort: „Um dem Wunsch von mehr Regionalität der Berliner:innen nachzukommen, sind die Felder Brandenburgs die zentrale Ressource.“ Die beiden Bundesländer könnten ja unterschiedlicher nicht sein. Wie steht euer Buch zwischen diesen beiden Welten? 

Lukas Freitag: Es ist vielleicht die Bestandsaufnahme einer Symbiose. Wir haben versucht, uns Wertschöpfungsketten anzugucken. Wie arbeiten die Betriebe zusammen, der bodenständige Brandenburger Typ mit der ambitionierten hippen Berliner Küche? Wir sind dabei auf Persönlichkeiten gestoßen, die ganz unterschiedlich sind – und das auch, weil sie sehr unterschiedliche Arbeitsalltage haben.

Felix Fröhlich: Wir wollten die Heterogenität darstellen. Es gibt ganz verschiedenartige Leute, die Brandenburg und Berlin vereinen wollen, auf eine nicht ideologisierende Weise. Das Buch soll eine Brücke bauen, sodass die Leute sich für das Leben draußen interessieren und nicht nur das Romantische sehen. Sondern auch, dass es extrem viel Arbeit ist.

Zum Romantischen gehört für mich auch, dass das Ökonomische oft ausgeblendet wird. Nennen wir es Ernährungsgerechtigkeit: Wie könnte sie funktionieren? Eine Wertschöpfungskette, die alle erreicht, die Produkte leistbar macht, aber auch wirtschaftlich in der Herstellung? 

Lukas: Man muss erst einmal anerkennen: Der status quo ist verzerrt. Der Preis für eine Gurke im Discount ist nicht kostendeckend, sondern durch Subventionspolitik künstlich geschaffen. Eigentlich wollten wir dazu noch ein eigenes Kapitel reinbringen (lacht),  aber wir  zeichnen es auch so im Buch nach: Es wird keine Unterscheidung getroffen, was die Folgekosten einer bestimmten Herstellungsweise sind. Ein verantwortungsvoller Umgang mit dem Boden wird nicht belohnt. Dabei ist der Preis für eine Tomate aus Wilmars Gärten eigentlich der realistischere.

Was die Tomate nicht günstiger macht.

Lukas: Die soziale Frage hat schon Sprengkraft. Wer geht auf der Michelberger Farm essen? Das sind in der Regel die Berliner, nicht die Brandenburger Nachbarn. Deswegen beziehen wir im Buch auch den Handel ein, Wochenmärkte oder das Landgut Pretschen, das auch den Handel beliefert.

Felix: Das Problem ist eine Politik, die keine Anreize setzt. Schulen, Kantinen, Kindergärten müsste man mehr Budget oder Subventionen geben, damit sie sich gut regional kochen können. Damit Kinder und Jugendliche, überhaupt Menschen, die sonst keinen Zugang dazu haben, sich gutes Essen leisten können. Das geht nur mit einer Heterogenität aus Betrieben, die Masse produzieren, ergänzt um solche, die kleine Sachen machen. Wir haben selbst keine perfekte Antwort darauf, wir versuchen diese Themen anzuschneiden. Denn es ist wichtig, dass man diesen Diskurs wieder anschiebt. Das „Grüne“ hatte in den letzten fünf, zehn Jahren Mode. Nun widmet man sich anderen Themen zu. Gleichzeitig ist Regionalität eine Normalität geworden. Ich habe ja eine Weile im trio gearbeitet und es war spannend, dass man es dort geschafft hat, auf undogmatische Weise ein Wirtshaus aufzubauen, mit fairem Fleisch und möglichst regionalem Einkauf zu Preisen, die sich die Leute leisten können. Ich sehe eine Aufgabe der Gastronomie darin, sich weiter zu entwickeln und eine „Regionalität 2.0“ zu schaffen.

Was ist der Unterschied zu Regionalität 1.0?

Felix: Man muss nicht mehr belehren und aufklären. Wichtig ist, den Leuten jetzt die Möglichkeit und den Zugang zu geben, eine Konsumentscheidung zu treffen, mit der sie die richtigen Leute unterstützen können, weil sie sich das leisten können.

Du bist jetzt ja genau an der Schnittstelle tätig, als Geschäftsführer im „Remi“. Wie baut man denn eine auch ökonomisch stabile, für viele Gäste begehbare Brücke zwischen den Erzeuger*innen und der Gastronomie? 

Felix: Wenn du es zugänglich gestalten willst, brauchst du ein Team, das Lust hat, sich damit zu beschäftigen. Mit Handwerker*innen, die das wirklich umsetzen können. Du musst am Ball bleiben, möglichst alles verwerten, um den Wareneinsatz gering zu halten. Nur wenn du den gut im Griff hast, kannst du gegen solche Betriebe konkurrieren, die konventionell einkaufen und arbeiten, auch weil die Personalkosten so gestiegen sind. Du brauchst eine Mischkalkulation, nur bei Wilmars Gärten oder über die Plattform 2020 einkaufen, so gerne ich es täte, das geht leider nicht. Und du brauchst viele Gäste. Ohne die funktioniert es nicht.

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Felix Fröhlich und Lukas Freitag, die Autoren von „Vom guten Essen“. Foto: Redaktion

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Fischerei Stechlinsee

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Wanderschäfer Arno Laube

Ihr habt für das Buch mit vielen Leuten gesprochen und so unterschiedlich sie ticken mögen, wir sprachen ja eben schon darüber: Gibt es einen gemeinsamen Nenner? Was wünschen die sich von uns am Ende der Nahrungskette?

Lukas: Ein roter Faden ist sicher die Wertschätzung. Die kann man durch Geld ausdrücken, aber auch durch Sichtbarkeit. Viele der Leute, die wir getroffen haben, arbeiten oft unsichtbar. Müller ist eben kein Beruf, der in der Foodbubble als sexy positioniert ist.

Es gibt ja auch kaum noch Mühlen in der Region.

Lukas: Die Zukunftsfähigkeit treibt alle um, mit denen wir gesprochen haben, weil der Nachwuchs ausbleibt oder der Acker weggepustet wird.

Es gibt eine Grafik von Quarks, die zeigt: Der Nordosten steuert auf eine permanente Dürre zu.

Lukas: Deswegen haben wir auch Betriebe wie Gut&Bösel oder Wilmars Gärten mit drin, die Agroforst betreiben und sich ein paar Tausend Pappeln auf den Acker stellen. Darüber haben sich die konventionellen Landwirte schlapp gelacht. Es ist aber eine Investition in die Landwirtschaft für die folgenden Generationen.

Felix: Oder das Landgut Pretschen, das Humusaufbau durch Untersaaten betreibt. Die sagen uns: Wir ernten mehr als unser Nachbar. Es gibt viele Konzepte. Wir hatten schon das Gefühl: Die Leute, mit denen wir gesprochen haben, haben einen besonderen Sinn für das Stück Land, das sie bewirtschaften.

Das trifft in eurem Buch ganz besonders, finde ich, auf den Moorhof zu. Mit einer umgebauten Skipistenraupe durch das renaturierte Niedermoor zu fahren, um es zu bewirtschaften, unter anderem wird die „Ernte“ aus der Paludikultur für CO2-neutrales Bauen genutzt, das ist Avantgarde.

Felix: Oder Bernd Schock, der sich als Öko-Systemdienstleister versteht (und mit Hodlwood Wald, Wiesen und Boden-Biotope u.a. für Unternehmen pflanzt, pflegt und schützt, Anm. d. Red.). Die Fragestellung ist: Wie können wir gesellschaftlich in Wert setzen, dass jemand Böden wieder aufwertet?

Ja, wie denn?

Lukas: Die Subventionen, größter Haushaltsposten der EU, von dem Deutschland massiv profitiert, müssen wir anders verteilen. Weg vom reinen Flächenschlüssel. Einbeziehen, wie die das Land behandelt wird, das gefördert wird. Das haben wir auch von fast jedem Gesprächspartner gehört.

Felix: Weg von der Fläche, hin zu Öko-Systemdienstleistungen. Aber machen wir uns nichts vor, die Leute, die das Geld haben, Lobbyisten nach Brüssel zu schicken, sind nicht eine Johanna Häger oder ein Florian Profitlich (Permakultur-Hof Stein-Häger bzw. Gutshof Kraatz, Anm. d. Red.). 

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The Gentle Temper Vom guten Essen Buch 03 1 - interviews-portraits, medien-tools, gastronomie, food-nomyblog Vom guten Essen – Anbau und Genuss in Berlin und Brandenburg: „Die Leute haben einen besonderen Sinn für das Stück Land, das sie bewirtschaften“Sprechen wir zum Schluss über Schönes. Ihr habt anderthalb Jahre recherchiert und Betriebe besucht. An welche schönen Erlebnisse erinnert ihr euch?

Lukas: Ich erinnere mich gut daran, wie ich mit meinem klapprigen Polo bei Wilmars Gärten ankam und Maria Gimenez mit dem Rad angeradelt kam, einen Sohn auf dem Gepäckträger und etwas verspätet, weil sie mit ihren Kindern noch ein Huhn beerdigen musste. Im Laufe des Tages zu erfahren, was sie ihren Kindern mitgibt, diese Verbundenheit zur Natur, der Rhythmus, der dort herrscht … eine sehr schöne Begegnung.

Felix: Richtig schön fand ich das Feedback der Brandenburger, als sie das Buch in der Hand gehalten haben. Die waren so happy darüber, sich auf so eine Art und Weise portraitiert zu sehen, es hat viele mit Stolz erfüllt. Das ist die schönste Wertschätzung.

Habt ihr Pläne, das Projekt weiterzuführen?

Lukas: Es gab Anfragen von mehreren Betrieben aus anderen Teilen Deutschlands gab: So was könnten wir auch für unsere Region gebrauchen. Ob wir daraus eine Deutschlandreihe machen wollen, weiß ich nicht (lacht). Aber es ist erstmal schön zu hören. Wir überlegen, Bewegtbild ins Spiel zu bringen. Aber es ist noch nichts entschieden.

Felix: Mein Traum wäre eine Dokureihe. Die könnte man sicher gut daraus machen.

Pitcht es doch mal beim RBB. 

Felix: Liegt schon bei denen.

Die Daumen sind gedrückt. Vielen Dank für das Gespräch, Felix und Lukas.

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Vom guten Essen –  Anbau und Genuss in Berlin und Brandenburg ist erschienen bei The Gentle Temper, hat 328 Seiten und kostet 35 Euro.

 

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