Lange, viel zu lange nicht mehr in Dresden gewesen. Aber so ist das wohl, wenn man erst ein paar Jahre ins Land ziehen und dann eine Pandemie. Geschenkt. Wir sind wieder da und wollen wissen: Was geht gastronomisch in der Stadt und wie geht’s dem Gastgewerbe?
Wir sind zu Gast in einem kleinen Stadtteil, der gerade erst entsteht. Zentral gelegen und direkt an der Elbe. Ja, da ist tatsächlich noch Platz. Links neben der Augustusbrücke auf der Neustadt-Seite befindet sich die schöne Flaniermeile direkt am Wasser – im Sommer findet hier das wohl spektakulärste Outdoor-Kinoevent des Landes statt, die „Filmnächte am Elbufer“. Den Weg weiter hinab Richtung Pieschen laufen Stadtbesucher*innen wohl eher selten (sollte man aber, weil echt schön). Umso frequentierter ist der Weg von Radpendler*innen. Und genau hier entsteht derzeit die „Hafencity“.
Die Dimensionen des gleichnamigen Stadtteils flussabwärts in Hamburg hat das schmale Areal nicht, aber immerhin: Es gibt auch hier tatsächlich Hafenflair. Der idyllische „Pieschener Hafen“ mit einer Landzunge, zur welcher eine Fahrrad- und Fußgängerbrücke gebaut wurde, bildet den westlichen Abschluss des neuen Stadtteils. Hier liegen kleine Boote, Yachten, Ausflugsschiffe, das Elbufer selbst ist schön naturbelassen. Unter der Federführung des Projektentwicklers USD, kurz für „Unser Schönes Dresden“ werden hier zurzeit fast 350 Wohn- und Gewerbeeinheiten errichtet.
Die Bewohner*innen bzw. Besitzer*innen dieser im oberen Preissegment angesiedelten Immobilien haben nicht nur einen tollen Blick auf die Altstadt und die Elbwiesen. Sie finden hier auch Gastronomie vor. Saisonal geöffnete Strandbars und Cafés und als Herzstück die im Mai 2021 eröffnete Elbuferei im neuen Arcotel Hafencity Dresden, unserem Gastgeber dieser Reise – vielen Dank dafür.
Mit Marcel Kube hat man einen Küchenchef engagiert, der sich in der gehobenen Küche einen Namen gemacht hat: Das „william“ im Dresdener Schauspielhaus, das „Atelier Sanssouci“ in der „Villa Sorgenfrei“ in Radebeul sowie das über Dresden weit hinaus bekannte (ehemalige) „bean&beluga“ zählen zu den Stationen des Mittdreißigers. Ein Fünfgangmenü gibt es in der „Elbuferei“ ebenso wie wechselndes À-la-carte-Angebot (zum Beispiel roh marinierte und geflämmtes Lachsfilet mit Fenchel, Salzzitrone und Escabeche-Sud oder Crispy Chicken mit Apfel-Pfeffer-Tzatziki) und Barfood – ganz flexibel ist sie, Kubes Kulinarik.
80 Prozent Externe in der Gastronomie
Die in der Hotellerie immer wichtiger werdende Anbindung an die Bewohner*innen de Stadt durch die Gastronomie, sie gehe im schon gut auf, lässt uns General Manager Florian Stühmer wissen: Vier Fünftel der Gäst*innen im Abendgeschäft des Restaurants seien Externe, so der Hotelier, der zuvor das „Innside by Mélia“ an der Frauenkirche leitete.
Als er uns davon berichtet, nehmen wir einen Aperitif bei November-Schmuddelwetter draußen auf der Terrasse ein. Klingt ungemütlicher als es ist: Wir sitzen warm und wohlig Test für die zweite Ausgabe der Elbuferei Iglu Lounge. Nachdem man mit den drei beheizten transparenten Zelten in Igluform schon im Winter 2021/2022 viele Gäste begeistern und – trotz damals früher Corona-Sperrstunde in Sachsen – gute Umsätze mit einem elektrischen Fondue erzielen konnte, bietet man dieses Mal ein Dreigangmenü mit Tapas, wechselnden Hauptgängen und Dessert für 49 EUR plus Getränke an. 500 Reservierungen liegen schon vor bis Ende Januar, die dann ordentliche 35.000 Euro Nettoumsatz einbringen werden, prognostiziert Stühmer. Als Zusatzgeschäft wohlgemerkt.
„Ein junges Team musst du anders führen“
Kann man sich das überhaupt leisten, also personell betrachtet? Noch mehr schicken? In vielen Betrieben wird das Angebot bekanntlich gerade eher herunter gefahren. Stühmer klopft auf den Holztisch: kein Personalmangel, weil man einiges anders mache. Zum Beispiel die Benefits: „Unsere Mitarbeiter haben von Anfang an 30 Tage Urlaub (in Sachsen sind sonst 25 vorgesehen, Anm. d. Red.) und sie bekommen eine Prämie von 500 Euro, wenn sie neue Mitarbeiter werben und diese die Probezeit überstehen“, so Stühmer. Als wegen Corona die Belegschaft in Kurzarbeit war, machte er hybride Meetings z.B. rund um Weine und Cocktails, um die Motivation hoch zu halten. Teamausflüge zum Lasertag oder in andere Restaurants gehören auch dazu. Er wolle inspirieren und involvieren statt Topdown-Ansagen zu machen: „Ein junges Team wie unseres musst du anders führen“.
Während des stimmungsvollen, aromatisch facettenreichen Menüs im Restaurant trinken wir Wein. Unter anderem vom Weingut Wolkenberg. Nicht in Sachsen: Es liegt auf einem ehemaligen Braunkohleabbau in Brandenburg – 2020 haben wir das spektakuläre Gelände besucht. Zum anderen Weine von Klaus Zimmerling. Sein Weingut hat er seit 1992 auf den schönen Hügeln in Dresden-Pillnitz, am Königlichen Pillnitzer Weinberg mit seiner markanten „Rysselkuppe“, einer exponierten, sonnenverwöhnten Lage.
Dort sind wir früher an diesem Tag zu Gast. Trotz nur viereinhalb Hektaren Gesamtfläche des seit 2020 biozertizierten Weinguts gedeiht hier enorme Sortenvielfalt: Riesling, Rotriesling, Kerner, Spätburgunder, Sauvignon Blanc, Traminer, Gewürztraminer, Goldmuskateller … Zimmerlings Weine gelten als hochqualitativ – und als hochpreisig. Die Flaschen zieren Bilder der Skulpturen, die seine Frau Malgorzata Chodakowska geschaffen hat. Im Original können die Gäste sie im oberen Geschoss der Vinothek des Weinguts sowie im Garten und Weinberg betrachten. Bei den Wasserfontänen, die zum Teil aus den Skulpturen selbst strömen, fühlt man sich ein wenig, als wandle man durch Kenneth Angers Avantgardefilm „Eaux d’Artifice“.
80 Prozent Direktkunden
Weil Wasserfontänen heute vor allem direkt aus dem Himmel strömen, muss man ein wenig Fantasie aufbringen, wie es bei gutem Wetter ist: Dann nämlich gehen viele Besucher*innen mit Wein und Picknick aus den Körbchen, die hier angeboten werden, in den Berg. Und bei nicht so gutem Wetter machen sie es sich wie wir im schmucken Kaminraum gemütlich. Zimmerling zieht – 80 Prozent seiner Weine verkauft er, mit bestmöglicher Marge, direkt vor Ort und per Webshop. Vor Corona war der Anteil, den er in die Gastronomie verkaufte, größer gewesen, doch auch er musste sein Geschäft anders ausrichten, als der Kanal gehobene Restauration pandemiebedingt ausfiel bzw. kleiner wurde, so Klaus Zimmerling. Nun, in der „Elbuferei“ gibt es seine edlen Tropfen ebenso wie in der Weinzentrale.
Die ist nach sechseinhalb Bestehensjahren schon fast ein Klassiker in Dresden: Unelitär nannte Betreiber Jens Pietzonka sein Konzept beim Gespräch, das wir 2017 mit ihm führten. Und wie ist es ihm in den vergangenen Jahren ergangen? Gut, sagt er. Nicht nur, weil sein Weinbistro und seine Person diverse Titel und Auszeichnungen einfahren konnten – die Homepage quillt fast über davon –, sondern auch, weil man in der Coronazeit große Solidarität der Gäste erfahren habe. Im Lockdown fuhr Pietzonka mit seinem „Couchwein-Transporter“, einem roten Fiat, durch die Stadt und brachte Wein herbei – der wurde bei ihm gekauft, „obwohl alle die Keller mehr oder weniger voll hatten“. Zu gestreamten Tastings setzten sich die virtuellen Gäste aufs heimische Sofa oder auf den Balkon und schlürften ganz reell die bei ihm gekauften Weine, ähnlich erfolgreich wie der Lingener Gastro-Kollege Markus Quadt mit seinen digitalen Biertastings.
Die „Weinzentrale“ auf Expansionskurs
Jetzt, wo man wieder feiern darf, richtet Pietzonka wieder viermal im Jahr seine „Tanzzentrale“ aus, bei der 500 Gäste in einer Eventlocation Wein trinken und zu Housebeats schwofen. Im Sommer hat er mit der „Elbzentrale“ auch einen Aussschank am Wasser. „Gästetechnisch sind wir zurzeit echt happy“, so Pietzonka. Dass sich die Vorauszahlungen für die Energiekosten verdoppelt haben und man natürlich nicht sicher sein kann, dass die zurzeit gute Nachfrage anhält, hält ihn nicht von Expansionsplänen ab: Seinem neuen Küchenchef Sebastian Roisch – die beiden kennen sich aus der „Villa Merton“ in Frankfurt – will er es nicht auf Dauer zumuten, in der Miniküche der „Weinzentrale“ stehen zu müssen, aus der er uns an diesem Abend z.B. Eismeer-Forelle mit wildem Brokkoli und Sellerieschaum oder Bratenbrot von der Rinderbacke mit Kohl und Senfgurke zu den ausgewählten Weinen serviert. Gemeinsam ist man auf der intensiven Suche nach einer Fläche in der Stadt, um das Fine-Dining-Vorhaben in die Tat umsetzen zu können.
Zwischendurch schauen wir uns noch einige bereits eröffnete Neuzugänge der Stadt an: das wunderschöne Restaurant Anna im Schloss, das kleine Café Cello in der Neustadt mit ausgezeichnetem Espresso sowie das schon etwas länger bestehende, kunterbunt-sympathische Kok – ein niederländisches Konzept und Mitglied bei unseren Freunden von Greentable. Zudem aßen wir ein leckeres Stück der hiesigen Variante des Käsekuchens ohne Boden, der Eierschecke, im urigen Dresdener Kaffeestübchen, das man beim Besuch auf jeden Fall einplanen und genießen sollte.
Wir verlassen Dresden mit einem guten Eindruck: Die Zeiten mögen herausfordernd sein, aber hier tut sich was. Wir lassen bis zum nächsten Besuch bestimmt nicht wieder viel Wasser die Elbe hinablaufen.