„Zukunftsküche“-Autor Balázs Tarsoly: „Man kann Gäste nachhaltig glücklich machen“

von Jan-Peter Wulf
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Autor Balázs Tarsoly. Foto: Redaktion

Mit seinem neuen Buch „Zukunftsküche“ präsentiert Balázs Tarsoly – Autor, Speaker und Inhaber von „Branding Cuisine“, einer Agentur für nachhaltige Kommunikation– einen theoretisch fundierten und zugleich praktisch ausgerichteten Leitfaden, mit dem sich Gastronomien nachhaltig ausrichten können. 

Es werden dabei große Themen wie Klimaschutz, Ethik, Gesundheit oder eben Nachhaltigkeit behandelt – aber nicht nur aus Vogelperspektive, sondern immer auch handfest und von vielen Gesprächen mit Praktiker*innen und Expert*innen aus der Gastronomie unterfüttert, sodass sich Leser*innen aus der Gastronomie, an den Themen entlang, zu einer nachhaltigen Ausrichtung – oder deren Weiterentwicklung – gelangen können. Zumal es im zweiten Teil von Zukunftsküche Vorlagen für Workshops, Fragen und Checklisten gibt: Zur Konzept-Analyse, zur Speisekartengestaltung, zur Kommunikation sowie zur Transformation hin zu einem nachhaltigen Betrieb.

Jan-Peter Wulf traf den Autoren zum Gespräch.  

Balázs, warum hast du dieses Buch geschrieben?

Balázs Tarsoly: Weil ich finde, dass die Gastronomie zwar einen großen nachhaltigen Impact hat, aber noch viel zu wenig macht, obwohl sie es eigentlich könnte. Aus meinem ersten Buch (LINK, Anm.) habe ich gelernt: Reine Information führt nicht zu einer Verhaltensänderung. Bewusstsein entsteht auf dem Weg zur Veränderung. Es muss gar nicht sein, dass du von Anfang an rundum von Nachhaltigkeit überzeugt bist, sondern wichtig ist, dass du erst einmal einfach losläufst. Wenn du die ersten Schritte tust, macht das etwas mit dir. Du wirst dann die Person, die Nachhaltigkeit macht.

Aber was bewegt mich, wenn nicht die Überzeugung, dass ich überhaupt erstmal loslaufe? 

Am Ende entscheiden Menschen mit ihrem Portemonnaie und der Geschmack muss super sein. Gerade in der Gastronomie! Wenn die Geschmacksqualität praktisch identisch ist oder besser, und das alternative pflanzliche Produkt entweder gleich teuer ist oder günstiger, dann verändert sich etwas.

Am Anfang des Buches schreibst du: Dieser Punkt, sowohl auf geschmacklicher als auch auf preislicher Ebene rückt immer näher.

Schauen wir uns pflanzliche Produkte an: 2022 waren sie im Schnitt rund 50% teurer. 2023 nur noch etwa 25%, und Ende 2024 war es nur noch 15%. Sprich: Wir erleben eine rasante Angleichung des Preises. Durch Skaleneffekte wird die Produktion günstiger, der Preis sinkt, und es greifen immer mehr Konsumenten auf die alternativen Produkte zu.

Aktuell höre ich oft aus der Branche: Nachhaltigkeit? Das können wir uns gar nicht leisten, weil alles immer teurer geworden ist.

Bald wird es nicht mehr das Argument sein. In zwei, drei, spätestens vier Jahren haben wir Preisparität und in vielen Bereichen Geschmacksqualität. Zum Beispiel bei Fleisch. Bei Käse oder Fisch haben wir meiner Meinung nach noch etwas zu tun. Die Entwicklung ist aber klar. Es wird eine rasante Veränderung passieren ab dem Moment, an dem die Produkte gleich gut und teuer bzw. besser und günstiger sind. Und wenn dann noch alle klimatischen, gesundheitlichen und ethischen Argumente für das neue Produkt sprechen, dann kannst du zwar immer noch sagen: Tradition ist mir wichtiger, aber dann musst du für diese Tradition zahlen. Und das werden immer weniger Menschen sein.

Eine größtenteils auf tierischen Produkten fußende Ernährungsweise ist ja gar nicht so traditionell. Im 19. Jahrhundert aß man hierzulande viel mehr Hülsenfrüchte, die jetzt ja wieder hip werden.

Nikolai Wojtko, mit dem ich für das Buch gesprochen habe, sagt es auch: Die deutsche Küche ist gar nicht so fleischlastig wie man denkt. 

Viel Fleisch war damals einfach für viele nicht bezahlbar, und um Leistbarkeit oder Erschwinglichkeit geht es ja auch heute wieder. Überall suchen Gastronomien nach Lösungen, damit ihre Gäste sich die Speisen bzw. den Besuch weiterhin leisten können. Können günstigere pflanzliche Speisen hier nicht punkten? Sehe ich eher selten.

Es wird nicht auf die Gemüsetradition zurückgegriffen. Der Schritt dahin wäre ein kleiner.

Du sagst auch, dass Konzepte, die sich der „Zukunftsküche“ öffnen, es leichter haben, Personal zu finden.

Für vegane Konzepte ist es schon wegen ihres klaren ethischen Standpunkts besonders leicht. Bei Kaspar Schmauser stehen die Bewerbenden Schlange, bei Swing Kitchen auch. Es ist aber nicht nur vegan: Ein Kaspar Schmauser zum Beispiel kombiniert es mit Top-Arbeitsbedingungen und einem wertschätzenden Umgang, aber auch mit viel Digitalisierung, sodass die jungen Mitarbeitenden sich wohl fühlen. Das Verständnis von Respekt des Ahead Hotels bezieht sich auf alles: Zutaten, Materialien, Mitarbeitende, Gäste.

Was hat das „ganz normale“ Restaurant von der Zukunftsküche?

Ich glaube sehr viel. Ich will helfen, dass Betriebe keine Angst mehr davor haben, Gäste zu verlieren, wenn sie sich verändern. Beispiel MoschMosch: Die haben alle Saucen „heimlich“ veganisiert, auch die Fischsaucen. Und es hat keiner gemerkt. Es geht ja nicht darum, wie du den Geschmack erzeugst. Sondern dass du den Geschmack erzeugst.

Du zitierst am Anfang den großen Ökonomen John Maynard Keynes: „Die größte Schwierigkeit der Welt besteht nicht darin, Leute zu bewegen, neue Ideen anzunehmen, sondern alte zu vergessen.“ Wie legt man alte Denkweisen und Verhaltensmuster ab?

Mir fällt da sofort ein, was mir Antje de Vries (Köchin, Trainerin, Expertin für pflanzliche Kulinarik, Anm. d. Red.) beschrieben hat: Beginne mit der Pflanze. Am Anfang ihrer Workshops stehen die Köche mit verschränkten Armen dar, was soll das alles? Dann legen sie los, jeder kennt was, jeder kann was, es entsteht Sicherheit, Gemeinschaft und sie merken: Sie können Ergebnisse schaffen, viel mehr machen als vorher. Eine Karotte auf 20 Arten zu bearbeiten und ganz vorzügliche Gerichte daraus zu machen, das gibt den Handwerkern Stolz zurück. 

Ich spiele mal den Advokat des Teufels: „Lieber Autor, das klingt ja alles schön. Aber ich finde für meinen Betrieb keine Leute, schon gar nicht gut ausgebildete. Ich bin ja froh, wenn die, die noch bei mir arbeiten, sich beim Tüten aufmachen nicht verletzen.“ Und jetzt kommen Sie mir mit Pflanzenküche.

(lacht) Ich habe am Ende des Buches ein Kapitel geschrieben, in dem es um das Wenden etablierter Marken geht. Was passiert, wenn ich in einer Situation bin, dass ich zu wenig gute Mitarbeitende habe und mein Gast kein zweites Getränk mehr bestellt? Ich versuche hier aufzuzeigen, wie man es schafft, Nachhaltigkeit in einer guten Story zu implementieren, die dann auch wieder gute Mitarbeitende anzieht. Ich brauche ja „nur“ ein, zwei Leute, die vorangehen wollen, sie ziehen die anderen mit – und du kannst den Wandel schaffen. Du musst aber, das ist wichtig, erst einmal dein Konzept analysieren und verstehen: Wo stehen meine Gäste? Du musst ihnen etwas bieten, auf das sie Lust haben. Das zieht dann auch ihr Umfeld an, so wird dein Einzug größer, du machst mehr Umsatz und verdienst mehr Geld.

Macht die Politik genug, um das Thema Nachhaltigkeit in der Gastronomie zu fördern? Vor dem Hintergrund, dass es gebündelt einen Beitrag dazu leistet, Klimaschutzziele zu erreichen?

Alles wäre leichter, würde die Politik helfen. Ich habe sie aus dem Buch mit Absicht weitgehend rausgelassen, weil ich fest an die Reihenfolge Wirtschaft-Gesellschaft-Politik glaube: Politiker bewegen sich nur, wenn sie Aussicht haben, mit einem Thema wiedergewählt zu werden. Die Wirtschaft aber wird mittel- bis langfristig kein gutes Geld verdienen, wenn sie gegen den Planeten arbeitet. Sie hat also einen echten ökonomischen Antrieb. Es gibt einen klaren Anreiz, nachhaltig zu sein. Das sorgt für eine Normalisierung und eine Änderung der Geisteshaltung. Und dann wird auch die Politik sehr schnell Rahmenbedingungen schaffen. Ich meine: Wie lange wird die Täter-Opfer-Umkehr noch funktionieren, also dass diejenigen, die für eine positive Veränderung und Gemeinwohl eintreten, als Täter, Verbotsmenschen oder Radikale dargestellt werden, obwohl sie Missstände abbauen wollen, während diejenigen, die die Lebensgrundlagen aller zerstören, sich als die Gemäßigten sehen?

Ich will deinen Optimismus gerne teilen, aber es fällt mir nicht leicht vor dem Hintergrund all dessen, was wir zurzeit erleben.  

Es kann schnell passieren, jetzt pessimistisch zu werden. Umso wichtiger finde ich es, zu handeln. Und sich mit Menschen zu umgeben, die auch handeln.

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Du hast für das Buch eine Matrix entwickelt, das S.M.A.R.T.-Rezept. Erkläre das doch bitte mal. Was sieht man hier?

Ich habe festgestellt, dass die bestehenden Nachhaltigkeitsmodelle – Drei-Säulen-Modell, Gemeinwohl-Ökonomie, Kreislaufwirtschaft, Donut-Ökonomie, die SDGs – nicht für die Gastronomie greifen. Was ihnen fehlt, ist eine für die Gastronomie relevante Gesundheitsdefinition. Gesundheit ist ein Aspekt der SDGs, aber da geht es eher um Hunger bzw. Unterernährung, nicht um falsche Ernährung und Fettleibigkeit, woran heute mehr Menschen sterben. 

Außerdem sprechen die SDGs nur von Landtieren und Tieren unter Wasser, das meint aber nur die Tiere der Natur, während die 73 Milliarden Tiere in der Massentierhaltung alleine auf dem Land nicht Teil davon sind. Man kann sich in der Gastronomie an SDGs orientieren und trotzdem vollkommen unnachhaltig handeln! Es fehlen also Gesundheit und Ethik, was ich für total wichtig halte. Ich habe die Berührungspunkte von der Gemeinwohlökonomie genommen, statt drei Säulen sind es fünf, und bei Ökologie habe ich die Kreislaufwirtschaft integriert. Mir ist klar, diese Matrix ist extrem anspruchsvoll. Ich denke aber, es kann als ein mögliches Ziel dienen, wenn wir konsequent sein wollen. Wir sollten nicht nur die Produkte sehen, nicht nur die Lebensmittel, sondern auch die Lebewesen. Ethik der Elefant im Raum. Das möchte ich vorwurfsfrei und möglichst unterhaltsam thematisieren.  

Stichwort unterhaltsam: Der Erlebnis- und Funeffekt in der Gastronomie ist ja nicht wegzudenken. Er wird eher noch wichtiger. Wie geht das mit der Zukunftsküche zusammen? 

Man kann Gäste nachhaltig glücklich machen, und man kann Gäste nicht-nachhaltig glücklich machen. Ich bin voll bei dir: Streetfood, das muss triefen. Du willst Spaß haben. Das ist Gastronomie! Coole Konzepte wie Kaspar Schmauser zeigen, dass es nachhaltig geht. Es wird immer mehr Betriebe geben, die für sich entscheiden: Ich kann krassen Fun machen, ohne dass es jemandem weh tut.

Lieber Balázs, vielen Dank für das Gespräch.

Zukunftsküche ist im März 2025 im Verlag dfv Mediengruppe Fachbuch erschienen.
Das Fachbuch hat 304 Seiten mit vielen Abbildungen und kostet 42 Euro.

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