Jared Brown ist weltweit bekannter und gefragter Experte für Cocktailkultur und -historie. Und er ist auch der Distiller von Sipsmith Gin. 2009, vor dem großen Gin-Boom, eröffnete er mit Sam Galsworthy und Fairfax Hall in London eine Destillerie, die erste im Stadtgebiet seit 1820.
Sipsmith zählt heute zu den beliebtesten Gins der Stadt an der Themse und in fast jeder Bar zu finden. Und immer häufiger auch in deutschen Bars, wo Sipsmith – seit Anfang 2017 gehört die Marke zum Portfolio von Beam Suntory – jetzt richtig durchstarten will. Ohne dabei an den Grundprinzipien zu rütteln, wie uns Brown bei unserem Treffen in „Clärchens Ballhaus“ in Berlin erklärte. Wir sprachen mit ihm über seine ersten Destillier-Experimente, über authentisches Wachstum, über seinen Garten und seine Lieblingsgetränke mit Gin – da allerdings kamen wir nur bis zum Lunch-Drink.
Herr Brown, acht Jahre gibt es Sipsmith Gin jetzt bereits. Wie ging es damals alles los?
Im Dezember 2007 bereits traf ich Sam und Fairfax auf einer Negroniparty. Und ich habe gleich am nächsten Tag begonnen, mit ihnen zu arbeiten. Sie hatten ihre Jobs in den USA gekündigt und waren nach England zurückgekehrt mit einer groben Idee im Gepäck, was sie tun wollten. Was ihnen fehlte, war ein Destillateur. Zwei Typen mit einer großartigen Restaurantidee, die noch einen Koch brauchten. Ich benutze diese Analogie mit dem Koch bewusst, weil ich eher ein Destillateur mit kulinarischem als mit einem chemischen Hintergrund bin.
Ich las, dass Sie mit sechs Jahren Ihre erste Oktopus-Vinaigrette hergestellt haben, während andere Jungs in dem Alter – zum Beispiel ich – mit Autos spielten. Hat Ihre Mutter Ihnen die Küche überlassen?
Ja, das hat sie. Ich durfte dort machen, was ich wollte. Ich hatte auch so ein kleinen japanischen Grill, mit dem habe ich Sachen für meine Nachbarn gegart, die waren im gleichen Alter wie ich.
Und wie alt waren Sie, als sie zum ersten Mal etwas destilliert haben?
Zehn. Ich hatte in einem Buch gelesen, wie die amerikanischen Kolonialisten aus Cider ihren Apple-Brandy hergestellt haben. In Upstate New York konnte man in den 1970er-Jahren nur nirgendwo Cider kaufen und ich mit zehn Jahren schon mal gar nicht, darum habe ich erst einen Cider-Batch gemacht – den hatte ich schon ein paar Jahre drauf – und diesen dann eisdestilliert.
Sie hatten schon lange vor dem 21. Lebensjahr viel Wissen in der Herstellung alkoholischer Produkte.
Als ich 18 Jahre alt wurde, durfte man im Staat New York mit 18 trinken. Sechs Monate später hat man es auf 19 Jahre angehoben – es war also nicht mehr erlaubt für mich. Dann wurde ich 19, ich durfte also wieder, und wieder haben sie es angehoben, dieses Mal auf 21 Jahre. Ich bin also dreimal in das „legal drinking age“ gekommen (lacht).
Warum ein Gin?
Wir hatten ein Ziel: Gin und seine Tradition zurück an seinen Geburtsort London bringen. Gin made the way it should be, the way it used to be. Im 18. Jahrhundert gab es in jedem vierten Londoner Gebäude eine laufende Gin-Destille. Als wir begannen, gab es nur noch eine, und die stammt aus dem Jahr 1820. Ich glaube, etwas zurückbringen zu wollen, ist ein ganz anderes Ziel, als etwas Neues rauszubringen und zu sehen, ob die Leute es annehmen. Geld verdienen, schnell ein Business aufbauen, um Produkte zu verkaufen – darum ging es uns nicht.
Heute ist die Gin-Vielfalt enorm. Wird der Markt sich konsolidieren?
Ja, das denke ich. Es findet auch ein Wechsel statt: Erfolgreich wird sein, wer nicht eine internationale, eine nationale, oder eine regionale Marke aufzubauen ersucht. Sondern eine lokale. Wir leben in einer Welt, in der man die gleichen Getränke in jeder Bar der Welt bekommt. Was ist der ultimative Luxus? Etwas, das es nicht überall gibt.
Jetzt hat Sipsmith einen neuen Besitzer mit viel Vertriebskraft.
Wir haben eine klare Regel aufgestellt: Unsere Destillerie wird nicht angefasst. Nur wir entscheiden, was darin passiert. Marken brauchen mindestens eine Person, die ihre Integrität sichert, ihre Authentizität, ihre Legitimität. Bei uns bin ich diese Person. Wir werden in der Produktion keinen Kompromiss zulassen. Immer mit Kupfer destillieren. Nie Konzentrate herstellen, sondern weiter mit der One-Shot-Methode arbeiten.
Doch wie wird man die Mengen vergrößern können, wenn diese entsprechend nachgefragt werden – jetzt, wo Sipsmith international noch bekannter werden wird?
Wir haben das mal analysiert: Innerhalb des existierenden Raums, in dem wir destillieren, können wir die Kapazität um 400 Prozent steigern. Wir befinden uns in einer großen Garage, von der wir nur ein Drittel nutzen, der Rest ist Parkplatz. Da wird sich gegebenenfalls sicher ein Deal aushandeln lassen, sodass wir unsere Wände nach hinten schieben können – dann könnten wir bis zu 1000 Prozent der aktuellen Menge produzieren. Übrigens: Die Kapazität zu steigern, bedeutet auch, das Produktionsteam zu vergrößern. Ich wollte mich schon in den „distilling schools“ umhören, aber Fairfax, unser Common-Sense-Genie, hat einfach eine Mail ans gesamte Büro geschickt: Wer will lernen, wie man destilliert? Jetzt destillieren Leute aus dem Büro mit, genauso wie jeder von ihnen auch Touren durch die Destillerie leitet. Einen Guide haben wir nie angestellt.
Sie und Ihre Frau Anistatia Miller, mit der Sie weltweit Vorträge und Workshops zur Cocktailhistorie geben, besitzen einen großen Garten. Was wächst dort alles?
Es müssten zurzeit 175 verschiedene Pflanzen sein. Wir haben 50 unterschiedliche Obstbäume, allein 20 Apfelsorten, Pflaumen, Kirschen, Quitte, Mispel, vier Walnussbäume, 17 Sorten Minze von mannshoch bis bodentief und stangenförmig.
Wachsen dort auch Sipsmith-Botanicals?
Ja, der Borretsch und das Eisenkraut für den Sipsmith Summer Cup. Ein sehr persönliches Produkt. Mit ihm habe ich einen Geschmack meines Gartens immer und überall dabei! Süßholz, Engelwurz und russischen Koriander, wie wir sie in der Destillerie verwenden, habe ich auch. Um die Botanicals von Sipsmith zu verstehen, muss ich sie in ihrem gesamten Lebenszyklus erleben. Ich habe schon in jedem Produktionsabschnitt der Wacholderernte mitgearbeitet und fahre nach Spanien, Marokko, Dubai und an viele andere Orte, um die Komplexität der Zitrusfrucht zu verstehen. Und ich studiere Traditionelle Chinesische Medizin, weil sie das älteste Verständnis für Botanicals überhaupt bietet. Ich werde immer ein Schüler bleiben, und um ein wahrer Meister zu sein, muss man das auch. Die Suche nach den besten Botanicals ist eine Lebensaufgabe.
Was ist ihr Lieblingsgetränk mit Gin?
Vor dem Frühstück Ramos Gin Fizz. Zum Frühstück eine Gin Bloody Mary, besser bekannt als Red Snapper. Zum Lunch ein Martini nach dem Originalrezept von Harry Johnson mit süßem Wermut. Wundervoll. Ich werde oft gefragt, welchen Wermut ich dazu empfehle.
Nämlich?
Den frischesten. In meinem Kühlschrank zu Hause habe ich kleine Wermutflaschen, für jeden Drink öffne ich eine. Es ist Wein, nicht wahr? Wermut lebt und es stirbt, wenn die Flasche offen ist. Aber die hockt dann oft ein halbes Jahr in einem Barregal und jemand macht dir einen schrecklichen Martini damit.
Ein Winzer würde die Nase rümpfen, mischte jemand seinen Wein mit Cola, einem Softdrink. Wie findet es eigentlich der Destillateur, wenn sein Gin mit dem Softdrink Tonic Water gemixt wird?
Ich trinke Gin mit Soda Water (lacht). Kann ich sehr empfehlen!