„Je höher es geht in der Gastro, desto höher ist die Wahrscheinlichkeit, dass man etwas gutes Alkoholfreies bekommt“

Gespräch: Eva Biringer über ihr Buch „Unabhängig – Vom Trinken und Loslassen“

von Nicole Klauß
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Foto: Florian Reimann

Über feministische Trinkkultur, über das Trinken und das Nicht-Trinken und über ihr gerade erschienenes erstes Buch „Unabhängig. Vom Trinken und Loslassen“ sprach Nicole Klauß mit der Food-Journalistin Eva Biringer.

Es gibt viele Memoiren, im englischen Sprachraum zudem sehr viele Sachbücher und wissenschaftliche Abhandlungen zum Thema Trinken und Alkoholabhängigkeit. Diese relativ neue Literaturgattung nennt sich Sober Literature oder Quit Lit, geschrieben von femmes abstinentes aus den Vereinigten Staaten, Großbritannien, Frankreich und auch Deutschland.

Grob verallgemeinert lässt sich also sagen: Je emanzipierter die Frauen in einem Land sind, desto mehr trinken sie. Eva Biringer ist Food-Journalistin. Und sie war lange eine, die diese Art der Trinkkultur offen pflegte. Sie schrieb über Essen, aber auch über Weine, Spirituosen und Drinks. Sie war mitten in einer Trinkwelt zu Hause, denn auf Presseanlässen und -reisen fließt der Alkohol in Strömen. Foodwriter bekommen Weinpakete von Winzern und Champagnerhäusern und Instagram ist voll von Postings mit getrunkenen Flaschen und Gläsern.

Vor einiger Zeit hat sie aufgehört zu trinken, nach vielen, vielen Drinks. Sie hat ein Buch über ihre Alkoholgeschichte geschrieben. Und ja, es gibt schon Bücher von abstinenten Frauen, die von ihren Erfahrungen berichten – und es werden mehr kommen. Denn jede Geschichte ist anders. Und diese Geschichten sollen auch anderen Frauen helfen, die ein problematisches Verhältnis zum Alkohol haben.

Mit meinem Presseausweis verschaffte ich mir Zugang zu Weinmessen, von denen manche in der Hofburg stattfanden, unter kleinwagengroßen Kronleuchtern. Zu Beginn besuchte ich die Messen am frühen Nachmittag mit nüchternem Magen, ging jedoch aus Selbstschutz bald dazu über, maximal drei Stunden vor Ende zu kommen, damit ich nicht ganz soviel Zeit hatte. Oft gab es hunderte Stände. Bei den ersten zehn, fünfzehn Stück spuckte ich den Wein seriös in die vorgesehenen Tonkrüge aus, danach in der Regel nicht mehr. Ich liebte das ziellose Schlendern, das Schäkern mit Winzern, das beschwipste Klackern über dreihundert Jahre altes Parkett, alles unter dem Deckmantel der Professionalität. Oft waren diese Veranstaltungen eine Art Vortrinken für den anschließenden Abend. Mit der Zeit kannte ich immer mehr Winzer, Journalistinnen, Gastronomen und PR-Agenturmitarbeiterinnen, von denen sich immer jemand bereit erklärte, mit mir in eine Weinbar weiter zu ziehen.

Zitat aus dem Buch
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Aufzuhören zu trinken ist das eine, ein Buch darüber zu schreiben, das andere. Warum hast du ein Buch über deine Geschichte geschrieben? Und warum lässt du die Leser*innen so detailliert teilhaben an deinem Leben?

Ich habe viele Memoiren von Menschen, häufig Frauen, zum Thema Alkohol gelesen. Da wusste ich schon, dass ich ein Alkoholproblem haben. 2016 erschien das Buch von Daniel Schreiber „Über das Trinken und das Glück“, das habe ich begierigst gelesen, dann Holly Whitaker „Quit like a women“ und Susanne Kaloffs „Nüchtern betrachtet, war es betrunken doch nicht so berauschend“. Ein Grund, warum ich meine Geschichte so detailliert aufgeschrieben habe, war die Tatsache, dass ich gemerkt habe, dass es total hilft, die Geschichten von anderen zu lesen. Alkohol hat mich immer interessiert, nicht nur auf der Trinkebene. Auch weil ich wusste, dass ich ein Problem habe. Ich glaube, es geht allen so, dass man wissen möchte, wie es anderen geht. Ich habe entschieden, wenn ich es schaffen sollte, vom Alkohol loszukommen, dass ich das dann aufschreiben muss. Sei es dann ein langer Text oder ein Buch. Und da das Thema sehr präsent ist, und das zurecht, passt es gerade sehr gut in die Zeit.

Wie war das denn ganz am Anfang, du hattest deinen ersten Rausch mit elf, schreibst du in dein Tagebuch. Warst du in einer Clique, wo es einen Gruppendruck gab, dass alle trinken müssen?

Meine beste Freundin und ich haben gesoffen, alle anderen nicht, weil sie stolz auf ihre Autos waren, gerne ihre Autos fahren wollten. Alle anderen haben auch getrunken, nicht so viel wie wir, aber wir waren nicht die Einzigen, die tranken.

Die Getränke unserer Wahl hießen Smirnoff Ice, Barcardi Breezer und Rigo. Gefahr Nummer eins: Im Gegensatz zum immerhin ehrlichen Back-Rum, schmeckte dieses Zeug überhaupt nicht nach Alkohol. Gefahr Nummer zwei: Durch den hohen Zuckergehalt schoss der Alkohol direkt ins Blut. Gefahr Nummer drei: Locker in der Hand gehalten, verliehen diese Flaschen Street Credibility. Da war jemand definitiv auf der Schnellstraße in Richtung Erwachsensein unterwegs.

Trinken die jungen Leute heute auch noch so viel?

Die Extreme nehmen zu. Viele trinken gar nicht, also nie, eine kleine Minderheit trinkt sehr viel, die Anzahl, der Jugendlichen, die aufgrund ihres Alkoholkonsums ins Krankenhaus kommen, steigt, aber viele trinken gar nicht. Das passt nicht zu ihrem Lifestyle: Sport, gesund sein, fit sein, detoxen, leistungsfähig sein. Die gesellschaftliche Entwicklung wird dahin gehen, weniger zu trinken. Und die Millenials sind die, die jetzt dran sind.

Haben deine Freunde jemals deinen Alkoholkonsum kommentiert?

Nein, sie haben entweder auch getrunken, dann ist man ein bisschen beschwipst. Und man ist ja Food-Journalistin, da muss man ja auch viel trinken. Das große Problem ist, dass Alkohol gesellschaftlich so anerkannt ist. Gesellschaftlich akzeptiertes Trinken. Und dann ist es ja so lustig. Die letzten katastrophalen Stunden zuhause bekommt keiner mehr mit.

Mein Lebensmotto war eine Abwandlung des Harald-Juhnke-Bon-Mots: „Viele Termine und leicht einen sitzen“. Ich bekam meine eigene Cocktailkolumne, Trinktexte wurden von allen Seiten gerne genommen, sicher auch, weil ich eine junge Frau war und somit eine gute Abwechslung zum alten, weißen Welschrieslingtrinker. Unzählige Male hat man mir geraten, aus Gründen der Geschmacksbildung viel zu trinken, eine Aufgabe, für die ich täglich hätte Fleißsternchen bekommen hätte sollen. Außerdem las ich Grundlagenwerke über Naturwein und die Biografie der amerikanischen Weinkritikerin Alice Fehling, englischsprachige Weinmagazine und die Falstaffbewertung des aktuellen Blaufränkischjahrgangs.

Alkohol ist also salonfähig geworden, vor allem für Frauen. Warum ist das so, deiner Ansicht nach?

Weil es als Emanzipation verkauft wird. Du kannst jeden Job machen, und du verdienst dein Geld selber, du kannst trinken wie ein Mann. Ich sprach mit einer Frau, die eine große Frauenzeitung in Österreich leitete. Sie sagte, wenn sie in der Redaktion thematisch mal eine Flaute hatten und Traffic brauchten, hätten sie positiv besetzte Alkoholthemen gebracht. Fünf unterschiedliche Gin Tonics. Champagner. Die besten Apéritifs. Sex and the City lässt grüßen! Das Internet ist hier voller Memes: „Zu Vino sag ich nie no“, „Wer die Wahrheit im Wein finden will, darf nicht gleich beim ersten Glas aufgeben“, „Wine is the answer, what was the question?“.

Gibt es Unterschiede zwischen trinkenden Frauen und trinkenden Männern und der Art mit dem Trinken aufzuhören?

Ja, ich meine, dass Frauen andere Gründe haben, um zu trinken und andere Wege gehen, um damit aufzuhören. Deswegen finde ich geschlechtsspezifische Therapien auch so wichtig. Was ich enorm kritisiere, ist das Prinzip der anonymen Alkoholiker, die einen erst brechen, bevor sie einen halb wieder aufbauen. Aber eben nur halb. Sich bei allen Menschen erst mal entschuldigen. Sich erst mal klar machen, wie klein man ist. Frauen wird das ja eh immer vorgehalten: „Sei mal demütig, entschuldige dich mal.“

Da ich keine körperliche Abhängigkeit hatte, hatte ich Glück. Anderen mit einer körperlichen Abhängigkeit mag es helfen, ihre Alkoholabhängigkeit als Krankheit zu sehen. Ich weiß, dass es manche Menschen entlastet, wenn sie sagen: „Es ist nicht mein Versagen, es ist eine Krankheit.“ Für mich gilt: Es ist eine Gewohnheit. Das Gehirn sagt, dass es diese positive Erfahrung immer wieder haben möchte. Das hat mir geholfen, so wie ich es mir angewöhne, kann ich es mir auch wieder abgewöhnen. Und ich kann jetzt sagen: Alkohol interessiert mich nicht mehr. Auf einer theoretischen Ebene interessiert mich Alkohol allerdings sehr, ich habe ja auch dieses Buch geschrieben, aber das Trinken von Alkohol hat einfach jeglichen Reiz verloren.

Wem das „Bei-Tisch-trinken“ nicht reichte – so wie mir, den erwartete im luxuriösen Hotelzimmer stets eine gut sortierte Minibar, beziehungsweise eine Flasche Hauswein, den man dann stilvoll in der Badewanne liegend genießen konnte, nicht ohne das Ganze in einer Instagramstory festzuhalten, Hashtag #wirnennenesarbeit. Tatsächlich wurde mir auf solchen Reisen manchmal unangenehm bewusst, dass zwar niemand nicht trank, aber eben viele doch sehr viel weniger als ich.

Du hast geschrieben, dass deine einzigen körperlichen Zeichen der Kater war, der dich aber am Abend nicht davon abgehalten hat, gleich wieder weiter zu trinken. Der Kater war nicht schlimm genug, um aufzuhören.

Nein, die normale Reaktion wäre, aufzuhören oder mindestens eine Pause zu machen. Aber so ist das natürlich hoch problematisch. Ich hatte ganz klar keine körperlichen Syndrome – das Zittern zum Beispiel, wie beim Korsakow-Syndrom oder eine Leberzirrhose. Es gibt keine Diagnose „Sie sind psychisch abhängig!“. Wie leicht könnte ich aufhören? Es gibt so eine vierstufige Einteilung aus dem Buch von drei Autorinnen, um die eigene Abhängigkeit zu erkennen. Da würde ich mich Stufe drei verorten. Irgendwo zwischen Missbrauch und körperlicher Abhängigkeit.

Wissen die Menschen in deinem Heimatdorf, dass du das Buch geschrieben hast?

Nein, nicht alle, aber es wird durchsickern. Für meine Mama ist das nicht so einfach, alles. Sie lebt ja noch in dem Dorf. Was sagen denn die Leute so? Wahrscheinlich wird der eine oder andere was sagen. Aber gleichzeitig gibt es auch in diesem Dorf Menschen, die trinken und die jungen Leute trinken immer noch auf dem Schützenfest und dem Feuerwehrfest.

Du schreibst, ein Grund zu trinken war der Überraschungsmoment. Du wusstest nicht, wie der Abend ausgeht. Ist das typisch für Frauen, die problematisch trinken?

Eher nicht. Dieses ich-will-was erleben-ich-will-was-Aufregendes ist sicher kein spezifisch weiblicher Grund. Das hat viel mit meinem Charakter zu tun. Ich wollte immer was erleben. Ich finde alle Extreme toll und das ist auch geblieben. Die Mehrheit der Frauen, die problematisch trinkt, drückt Gefühle weg, betäubt sich, es werden Ängste kompensiert, Depressionen.

Du hast nie eine Entzug in einer Klinik gemacht, weil du ja nicht körperlich abhängig warst, nur diese Entwöhnungstherapie. Wie sieht so eine Therapie aus?

Die Entwöhnungstherapie war meine einzige, die den Alkohol als Thema hatte. Daraus wurde schnell eine Zoom-Therapie, weil sie mit Corona zusammenfiel. Nur deshalb konnte ich sie nach meinem Umzug nach Wien fortsetzen, denn ursprünglich hätte die Entwöhnungstherapie in Berlin stattgefunden. Es war eine Stunde Einzeltherapie pro Woche und 100 Minuten Gruppentherapie. Man sitzt im Kreis und jeder erzählt, was gerade bewegt. Dann kommt man auf ein Thema und das wird dann 100 Minuten besprochen. Das war eine reine Frauengruppe und das war mir auch wichtig.

Erst dachte ich, ist mir egal, ob gemischt oder nicht, aber dann habe ich gemerkt, ist mir doch nicht egal, denn das hat einen anderen Vibe als eine gemischte Gruppe. Vorher gibt es eine Vorgruppe, mit der man drei, vier Stunden verbringt und da waren auch Männer und das war einfach so, dass ich dachte „nee, gar keinen Bock“. Männern labern halt eher und lassen andere nicht zu Wort kommen. Und als ich dann in einer Frauengruppe war, dachte ich: voll wichtig für mich in einer Frauengruppe zu sein, das ist einfach ein anderer, ein geschützterer Raum. Ich weiß jetzt nicht, ob eine andere Männergruppe einen ganz anderen Ansatz verfolgt, auf jeden Fall weiß ich, dass Frauen anders angesprochen werden … eben eher unterstützend und aufbauend und an die eigene Stärke glaubend, als das in Männergruppen der Fall ist.

Warum hast du Alkohol getrunken und nicht etwa Drogen genommen?

Ich glaube ja, dass man eine Disposition für eine bestimmte Sucht hat. Das war bei der einen Frau Shopping, bei der anderen Sex und das war bei mir eben Alkohol. Sicher auch, weil er so verfügbar ist. Ich habe mal den Vergleich gezogen, wenn man sich vorstellt, man ist eingeladen und der Gastgeber sagt: Ich möchte dir meine Koksauswahl zeigen, erklärt was zu den Produzenten und zur Herstellung. Oder bei einem Businessmeeting würden alle erstmal eine Line ziehen. Ich habe auch Drogen genommen, aber ich habe einfach länger gelitten, eine halbe Woche lang nach MDMA, ich war so in einem Loch. Es machte Krasses mit meiner Psyche, ich fand alles so schrecklich. Es war bei mir immer Mischkonsum – ich habe nie nur Drogen genommen, sondern immer Alkohol dazu getrunken. Das ist ja das Schlimmste, was man machen kann.

Und warum hast du dann aufgehört mit 30?

Ich hatte mir vorgenommen, mit meinem 30. Geburtstag aufzuhören. Ich hatte ja immer schon mal einmal pro Jahr für einen Monat aufgehört. Nachdem ich 30 wurde, war ich mit einem Mann zusammen, der in der Gastronomie arbeitete und wir tranken gemeinsam wahnsinnig viel. Innerhalb dieser Beziehung habe ich dann für fünf Monate aufgehört, dann wieder angefangen und mich dann bald getrennt. Direkt danach habe ich mit dem Trinken aufgehört.

Einmal trank ich Alkohol. Einen Kombucha aus dem Baskenland, dreißig Euro die Flasche. Fermentierter Tee gehörte zu meinen neuen Lieblingsgetränken, weil er toll zum Essen passte und sogar darmbakterienfreundlich war. An einem regnerischen Sommertag probierte ich ein Glas davon, in Kombination mit einer Sashimi-Emmer Bowl. Dem Etikett zufolge lag der Alkoholgehalt bei zweieinhalb Prozent. Schon nach wenigen Schlucken spürte ich eine Veränderung, als ob ein schiefer Ton die harmonische Partitur dieses gemeinsame Essen mit einem Freund störte. Es war das absolute Gegenteil von dem, was ich spüren wollte. Ich trank das Glas nicht aus.

Triggern dich jetzt bestimmte alkoholfreie Getränke an? Was trinkst du jetzt, wenn du nicht trinkst?

Ich habe ja mal einen Kombucha getrunken, nachdem ich aufhörte, und habe die geringen Mengen Alkohol gemerkt. Aber er hat mich nicht angetriggert. Für mich war alkoholfreies Bier voll okay, aber für andere Menschen mit einem problematischen Alkoholkonsum, ist das schwierig. Der Alkohol kommt dann durch die Hintertür. Das war für mich kein Problem.

Wie fühlst du dich so als Food-Journalistin und Nicht-Trinkerin in der Gastronomie in diesen Zeiten. Kommst du gut zurecht?

An vielen Orten, aber nicht an allen. Mal so und mal so. Ich hatte tolle alkoholfreie Ergebnisse, zum Beispiel bei Anne-Sophie Pic, sie haben eine wahnsinnig gute alkoholfreie Begleitung gehabt, weil sie sich selbst sehr dafür interessiert. Da legt sie als Chefin Wert drauf. Je höher es geht in der Gastro, desto höher ist die Wahrscheinlichkeit, dass man etwas gutes Alkoholfreies bekommt. Ich sage mal so: Kein ernsthaft ambitioniertes Restaurant in der gehobenen Gastronomie kann es sich leisten, ein Wasser hinzustellen oder eine Virgin Colada oder sonst was. Wenn ich also essen gehe in der Art, dann bin ich oft positiv überrascht. Aber auch nicht immer. Oft gibt es ja auch fünf Säfte und dann ist man nach dem zweiten schon satt. Das kennst du ja auch. Dass es gar nichts gibt, kommt nicht mehr so häufig vor.

Allerdings war ich nach Anne-Sopie Pic bei einem Zwei-Sterne-Restaurant in Frankreich. Die hatten nur Sanbitter und es war auch klar, dass sie es total komisch finden, dass ich nichts trinke. Gibt’s dann auch. Ich bin meistens positiv überrascht, was sich die Leute einfallen lassen und ich bin auch mal fein mit einem Sanbitter als Apéritif und dann ein Wasser und ein Tee hinterher und dann ist es auch okay. Ich finde es einfach schön, wenn sich viele Leute Gedanken machen. Es muss auch nicht immer eine durchkomponierte Begleitung sein, dann holt halt zwei, drei coole Sachen her. Ich finde, das kann jedes Restaurant machen und das wird sicher immer besser werden in Zukunft.

Zugegeben dauerte es einen halben Tag, bis ich alle Hinweise auf Alkohol aus meinem Instagram – und Facebookmenü gelöscht hatte, die Weinflaschenfotos, die angesoffenen Videos, die Korkenzieherverlinkungen. Als nächstes entfolgte ich sämtlichen Winzern, Bartenderinnen und Weinhandlungen (sorry, Leute), sowie all jenen, deren Weinetikettenfotos meinen Feed fluteten.

Du hast aus deinen Social-Media-Kanälen Bilder von Alkohol gelöscht. Warum?

Es sollen bei Instagram keine Flaschenfotos mit mir drauf und auch ohne mich zu sehen sein. Ich habe da wirklich aufgeräumt, durchgescrollt und alles gelöscht. Ich habe aussortiert, einfach weil ich damit nicht mehr in Verbindung gebracht werden wollte. Auch, als ich noch nicht wusste, dass ich das Buch schreiben wollte.

Wobei es ja eigentlich zu deinem Leben gehört, denn jetzt mit dem Buch wissen wir es alle.

Ja, das stimmt, das könnte man auch so rum argumentieren. Aber es war für mich auch wichtig, dass da keine Flaschenfotos von mir mehr zu sehen sind. Wobei ich das ja auch schon gefeiert habe, denn das ist ja auch ein Teil des Problems, ich habe ja nicht heimlich getrunken, sondern affirmativ ausgelebt.

Du hast immer mal aufgehört und wieder angefangen.

Ich habe immer pro Jahr einen alkoholfreien Monat gemacht und es ging mir dann immer total gut. Da wusste ich, ich habe ein Problem. Denn wenn es einem genauso geht wie sonst, dann spielt Alkohol wahrscheinlich nicht so eine Rolle für einen. Ich war immer so anders in diesen Monaten, angefangen von besserem Schlaf, fitter sein, klar sein, besser gelaunt, dass ich immer dachte: Boah, warum fange ich wieder an?

Und warum hast du wieder angefangen?

Weil ich abhängig war. Psychisch. Weil die Vorteile für mich überwogen haben. Weil ich es nicht glauben wollte, weil ich nicht nicht aufhören konnte. Weil ich es mir dann auch schön geredet habe, na ja, es ist ja wichtig für meinen Job und so, aber am Ende … niemand zwingt mich zu trinken, ich habe dann eben wieder angefangen, weil ich abhängig war.

Hat jemand dieses Thema „Frauen und Alkohol“ so sehr analysiert – oder ist das ein neues Phänomen?

Am ehesten Holly Whitaker, sie geht schon sehr auf die Geschlechterthematik ein, aber sonst nicht so wirklich, deswegen war ich ja so motiviert, mein Buch zu schreiben. Da sind da einerseits die Memoiren von Frauen, die trinken und andererseits die Sachbuchebene. Aber es gibt wenige, die beide Bereiche mischen, auf jeden Fall nicht so stark, wie ich das machen wollte. Also das Erzählerische mit dem Sachbuch mischen und zusätzlich diesen Frauenaspekt. Zum Beispiel Natalie Stüben, ihr Buch kam gerade raus, aber sie schreibt über Männer und Frauen und hat nicht diesen Blick auf den weiblichen Aspekt. Das gibt es so noch nicht, in Frankreich gibt es das Buch von Claire Touzard, „Sans Alcool“. Das ist auch autobiografisch. Sie schreibt auch von ihrer Essstörung, das ist eine gängige Kombination, Essstörung und Alkoholabhängigkeit wie bei mir eben auch.

Das ist ja eigentlich ein Widerspruch, dünn sein zu wollen und zu trinken, denn Alkohol hat ja viele Kalorien. Ist es nicht eher so, dass Leute die trinken, eher zu viel essen?

Beides ist möglich, bei mir war es das dünn sein wollen. Klar, es ist ein Widerspruch, aber es ist auch ein Widerspruch, warum eine Perfektionistin wie ich den Kontrollverlust sucht. Das macht überhaupt keinen Sinn. Aber ich glaube, das war ein Ventil für mich, und das ist eben nur mit Alkohol möglich. Nicht Essen ist ja die maximale Kontrolle über meinen Körper, und dass das die Gegenseite im Alkohol findet ist auf eine sehr paradoxe Art auch wieder stimmig.

Meinst du, du bleibst jetzt bei dem Nullzustand?

Ja, auf jeden Fall. Erstens: Es interessiert mich wirklich nicht mehr. Es ist mir viel zu anstrengend, denn dann muss ich wieder überlegen. Natürliches Trinken, das gibt es einfach seit zehn Jahren für mich nicht mehr. Diese natürliche Unschuld ist weg. So wie andere Menschen mal zu viel trinken und dann drei Wochen wieder nicht, um dann festzustellen, dass sie länger nicht getrunken haben. Das käme bei mir nie vor. Wenn ich wieder Alkohol trinken würde, würde ich saufen. Das würde drei, vier Wochen gut gehen und dann ginge es ganz schnell wieder den Bach runter. Das habe ich ja schon mehrmals ausprobiert, und weil ich das weiß, ist Alkohol für mich durch als Thema. Und weil mir das viel zu anstrengend wäre, darüber nachzudenken, wann und wieviel ist okay, und wann nicht, mache ich das nicht. Ich wusste ja, dass alles wieder kommen würde: der schlechte Schlaf, die Melancholie, diese konstante Unausgeglichenheit.

Aber du hättest wieder diese überraschenden Abende und diesen Rausch.

Ja, aber ich kenne mich ja. Ich weiß ja auch, dass es das nicht ohne das andere gibt. Ich bin immer noch auf der Suche nach krassen Abenden und extremen Gefühlen, aber dann hole ich mir die jetzt eben anders. Und je mehr ich mich drüber informiert habe und gelesen habe, Statistiken und ich Informationen darüber habe, was es mit dem Körper macht, um so überzeugter bin ich, dass ich da keinen Bock mehr drauf habe.

Was ist deine Message für andere, die sich selber im Verdacht haben, vielleicht ein Thema mit Alkohol haben zu können?

Ich möchte nicht in den Verdacht kommen, dass ich die bin, die Menschen ihr Glas Wein wegnehmen will. Wünschen würde ich mir, dass am Ende eine positive Message hängen bleibt: Nüchternes Leben kann megacool sein. Du musst auf keinen Genuss verzichten. Du kannst anders Genuss erleben, und dein Leben wird, so glaube ich zumindest, deutlich besser werden als mit Alkohol. Probier doch mal das nüchterne Leben aus und schau, wie es dir damit geht! Wenn es keinen Unterschied macht, fein, dann hast du sehr wahrscheinlich kein Alkoholproblem, aber wenn du einen Unterschied merkst, wow, die Welt ist anders, die Welt ist mir wohlgesonnener, dann probier doch das nüchterne Leben aus. Lohnt sich!

Ist es jetzt besser oder nur anders?

Es ist besser, auf jeden Fall! Voll! Viel besser! Ja! Ich erlebe ja andere Sachen, zum Beispiel Eisbaden, oder Marathon. Ich will definitiv im nächsten Jahr einen Marathon laufen! Das hätte ich alles nie gemacht, früher, mit meinem Saufleben. Ich bin ja auch gerade Single, aber ich weiß genau, dass meine nächste Beziehung komplett anders sein wird. Einfach, weil ich einen ganz anderen Blick auf Männer habe, und mir andere Männer aussuche. Es gibt ja soviel Spannendes im Leben, was ohne Alkohol funktioniert, beziehungsweise viel schöner ist, wenn man nicht trinkt.

 

Unabhängig – Vom Trinken und Loslassen hat 352 Seiten, kostet 18 Euro und ist bei Harper Collins erschienen.

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