#tryjanuary, Teil 2/2: „Alkoholfrei und edel ist sexy“ – Holger Schwarz über Proxies

Bei Viniculture in Berlin gibt's die trendige Brücke zwischen „a“ und „n/a“

von Nicole Klauß
Tresen Flasche Wein2 - wein, trends, getraenke, alkoholfreie-getraenke #tryjanuary, Teil 2/2: „Alkoholfrei und edel ist sexy“ – Holger Schwarz über Proxies

Foto: Tilo Wiedensohler

Dies ist der zweite Teil unseres tryjanuary-Duos: Den ersten Teil über entalkoholisierten Wein findet ihr hier.

Holger Schwarz ist Sommelier, WSET-geprüft und Weinhändler in Berlin – und kommt aus in Landau in der Pfalz. Die Weinsozialisation ist auch hier intensiv: Holger ist in einer Weinbauregion aufgewachsen und Wein war auch in seiner Familie immer präsent.

In seinem Weingeschäft Viniculture verkauft Holger, wenig überraschend, Wein, allerdings keine entalkoholisierten. So richtig überzeugt ist er von der Qualität (noch) nicht: „Das würde ich verkaufen, wenn es schmecken würde“, sagt er im Podcast von Clemens Hoffmann, Die letzte Flasche.

Was er allerdings seit einiger Zeit im Sortiment hat, sind Proxies. Noch nie gehört? Aber vielleicht schon mal getrunken, Holger beliefert nämlich auch die Gastronomie mit seinem Getränkeangebot und da sind natürlich auch Proxies dabei. Sie sind ein bisschen der Gegenentwurf zum entalkoholisierten Wein und bringen Geschmack, Körper und Säure mit. Nur eben ohne oder mit wenig Alkohol.

Der Name Proxy leitet sich von Proxy representative  (lat. procurator – für etwas Sorge tragen) ab. Es ist ein Wort aus der Welt der Datenverarbeitung, damit werden Kommunikationsschnittstellen in einem Netzwerk aus Rechnern bezeichnet. Ein Proxy arbeitet wie ein Vermittler, der von einer Seite eine Anfrage annimmt und eine Verbindung zu einer anderen Seite herstellt.

Es handelt es sich bei einem Proxy also um Getränketyp, der eine Brücke zwischen Wein und alkoholfreie Begleitern ist: eine Alternative zu Wein, mit einer ähnlichen Aromenwelt im Gepäck, eine Mischung mit Essig, Kombucha, Kwass, fermentierten Traubensäften, Gewürzen und Tees und anderen aromatischen Zutaten, dabei aber selten süß, dafür aromatisch vielschichtig.

Im Gegensatz zu entalkoholisierten Weinen, die aus Wein hergestellt werden und denen Alkohol entzogen wurde, gehören Proxies in eine ganz andere Kategorie. Sie sind so besonders, weil sie nicht versuchen, Wein oder eine bestimmte Rebsorte zu imitieren, sondern eine besondere Aromenkombination mit Tanninen, Säure, Bitternoten, Süße und auch Nachhall mitbringen, ohne auf den Alkohol als Geschmacksträger angewiesen zu sein. Im Prinzip sind Proxies alle Getränke, die einer erwachsenen Alternative zu Wein entsprechen.

Und das sagt Weinhändler und neuerdings „Proxie-Server“ Holger Schwarz dazu:

Holger, du beschäftigst dich als Weinhändler intensiv mit alkoholfreien Alternativen, das ist eher ungewöhnlich.

Aus gesundheitlichen Gründen trinke ich zurzeit keinen Alkohol und habe viel ausprobiert: Ginger Beer selber gemacht, mit Ananasschale und Chili ein Tepache hergestellt – ich wollte dieses Brennen erreichen, was Alkohol hat und Säfte eben nicht.  Grenzbereiche haben mich immer schon interessiert, schon damals bei den Pet Nats und den Orange Wines. Der Brottrunk von Kanne erzeugt übrigens auch diese Aufmerksamkeit, diese „Edginess“. Das ist ein anderer Geschmack als Wein, aber Parallelen sind da.

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Foto: Tilo Wiedensohler

Holger ist unbezahlter und unbeauftragter Ambassadeur der Produkte von Kanne Brottrunk. Kein urbanes Hipstergetränk, sondern wird in Ostwestfalen seit den 1980er-Jahren aus Wasser und fermentiertem Sauerteigbrot hergestellt. Hefige Noten, verbunden mit einer ordentlichen Säure sorgen für einen intensiven Geschmack, nebenbei auch für eine gute Versorgung mit Vitamin B12 und für eine gesunde Darmflora. Ein oder zwei Barlöffel in alkoholfreien Drink statt Zitronensaft sind übrigens ein echter Gamechanger. Der Brottrunk ist für Holger übrigens ebenfalls ein Proxy und steht bei Viniculture ganz selbstverständlich neben einer Poirée und anderen Proxies im Regal.

Gab es eigentlich einen aktiven Kundenwunsch nach alkoholfreien Getränken?

Nein, es gab keine Nachfragen von Kundenseite zu diesem Thema. Die kommen zu mir, weil sie Wein wollen. Es war eher mein persönliches Interesse an diesem Thema, deswegen habe ich angefangen zu recherchieren. Ich wollte bei der Traube als Zutat bleiben, weil die Produkte, die ich bei Viniculture anbiete, ja auch aus ihr hergestellt werden. Traubensecco ist eine gute Alternative zum Traubensaft, denn die Kohlensäure, macht ihn ein bisschen frischer und er wirkt nicht so süß und sie wirkt sich positiv auf die Haltbarkeit aus.

Wie hast du die Proxies entdeckt, die du seit einiger Zeit bei Viniculture ins Sortiment aufgenommen hast?

Davon habe ich irgendwo gelesen, wahrscheinlich auf Instagram oder auf einem Blog. Ich habe Proben angefragt, diese dann mit meinem Team verkostet und dann Produkte ins Programm aufgenommen. Die wurden gleich gut von unseren Kunden angenommen und mittlerweile bieten wir neben einzelnen Flaschen auch No- und Low-Pakete mit einer Auswahl an Proxies an. In unserem Webshop machen sie nur 5 Prozent der angebotenen Produkte aus, aber mittlerweile 20 Prozent des Umsatzes.

Wie steht denn dein Team zu den alkoholfreien Alternativen?

Meine Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter sind bei dem Thema sehr aufgeschlossen. Wir machen regelmäßig interne Verkostungen mit neuen alkoholfreien Alternativen und sie beraten auch hier die Kunden bei diesem Thema, einfach weil sie von der Qualität überzeugt sind. Außerdem wird seit meiner eigenen Abstinenz auch betriebsintern weniger Wein konsumiert und wenn, dann sehr achtsam.

Das bedeutet sicher auch, dass du für Viniculture neue Käufergruppen gewinnen konntest?

Ja, eindeutig! Das sind Menschen, die sich bewusst ernähren, auf Fleisch verzichten. Die machen keinen Skiurlaub mehr oder Kreuzfahrten. Andere trinken aus gesundheitlichen Gründen keinen Alkohol mehr, die Gründe dafür sind ja vielfältig. Es sind tatsächlich mehr Frauen als Männer und diese neue Kundengruppe ähnelt ein bisschen der Zielgruppe der Naturweinedas ist so ein bisschen Pop-Kultur, oft Flaschen mit besonderen Etiketten, und diese Kunden, die Proxies kaufen, sind auch deutlich jünger als die klassischen Viniculture-Kunden.

Die Menschen kommen zu mir, um beraten zu werden und können sich darauf verlassen, dass ich ihnen ein gutes Getränk anbiete, auf dem Niveau meiner Weine. Deswegen achte ich auch hier sehr auf den Hersteller, auf die Produktionsbedingungen und auf die Qualität – und außerdem darauf, dass es die Produkte nicht an jeder Ecke oder im Supermarkt gibt. Muri und Ama biete ich zum Beispiel auf dem deutschen Markt exklusiv an. Ich arbeite gerne mit kleinen und ausgewählten Produzenten, die für eine hohe Qualität stehen.

Vielen Dank, Holger. 

Eine neue Form der Weinalternative 

Apropos Qualität: Preislich liegen die Proxies auf dem Niveau eines guten Weines, der Aufwand für die Herstellung ist groß, nicht selten braucht es eine längere Entwicklungsphase bis zum finalen Produkt. Das macht es für die Verkaufenden leicht, eventuelle Preisdiskussionen elegant abzubiegen und die gute Qualität spricht dann ohnehin für sich.

Die Hersteller von Proxies sind oft Start-ups, kommen aus dem Fermentationsbusiness, stellen Essig oder Säfte her und sind offen für Neues und maximal kreativ. Proxies sind eine neue Form der Weinalternative und da sie mit multiaromatischer Kraft als vielschichtige Speisebegleiter einsetzbar sind, sind sie der neue Liebling der innovativen Sommelièrs und Sommelièren. Dabei ähneln sie nicht unbedingt einer bestimmten Weinsorte, obwohl auch mit reinsortige Traubensäften gearbeitet wird, sondern sind von den Geschmackskomponenten inspiriert, die Wein zu einer perfekten Kombination mit dem Essen machen.

Holger hat schon früh auf Orange Wines und Pet Nats gesetzt und hat seit dieser Zeit den Titel „Deutschlands mutigster Weinhändler“. Diesen Mut zeigt er nun auch mit seinem Engagement für alkoholfreie Alternativen, bei Viniculture gibt es nämlich eine mehr als ordentliche Auswahl an Proxies. Mut erfordert im Übrigen auch seine Aussage, dass viele seiner Kolleg*innen oftmals mehr Alkohol trinken, als ihnen gut tut. Denn gerade Weinhändler und Weinhändlerinnen, sagt man, wie auch den Gastronomen und Bartendern sie seien tatsächlich selber ihre besten Kunden: ständig von alkoholischen Getränken umgeben, im eigenen Geschäft, auf Weinmessen, Veranstaltungen und Verkostungen von Winzern.

Mutig ist Frédéric Chouquet-Stringer (siehe Teil eins) übrigens auch: Er widmet seine Kraft den entalkoholisierten Weinen, deren Image durch die vielen minderwertigen Produkte, die auf dem Markt sind, nicht das beste ist. Da ist viel Überzeugungsarbeit nötig. Da er selbst auch alkoholfreie Weine unter Alkoholfrei vom Winzer verkauft, bekommt er das Feedback zu den n/a-Weinen, die er mitentwickelt hat, direkt von seinen Kund*innen. Sein Ansatz, nur mit Winzer*innen zu arbeiten, die ihre hochwertigen Weine entalkoholisieren lassen, ist der einzig zielführende. Seine Weine erhalten bei Querverkostungen regelmäßig Höchstbewertungenein Beweis dafür, dass er auf einem richtigen Weg ist.

Kleines Fazit: Mehr und mehr Produzenten werden sich zukünftig mit ihren Produkten auf dem immer größer werdenden Markt der alkoholfreien Alternativen positionieren und  die Kunden entscheiden, in welche Richtung es gehen soll. Weinhändlerinnen und Weinhändler, die weiterhin diese eindeutige Entwicklung hin zu weniger Alkohol und mehr Alternativen bislang ignorieren, täten gut daran, an ihrem Sortiment zu arbeiten. Machen sie so weiter wie bisher, kaufen die Kund*innen einfach woanders. Bieten sie neue spannende Alternativen an, kommen sogar neue Kund*innengruppen dazu.

Fest steht: Ein Angebot, das nur aus klassischem Wein und Traubensaft besteht, ist nicht mehr zeitgemäß und bedeutet schon jetzt Umsatzeinbußen.

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