An was denken Sie, wenn Sie die Namen „Geflammter Kardinal“, „Minister von Hammerstein“ oder „Geheimrat Dr. Oldenburg“ hören? Nein, es handelt sich nicht um Fantasy-Figuren aus einer deutschen Adaption von Game of Thrones, sondern um traditionelle deutsche Apfelsorten.
Sorten wie diese wachsen in urwaldähnlichen Biotopen, auf den sogenannten Streuobstwiesen, wie sie zum Beispiel viel in Brandenburg zu finden sind. Noch. Denn auch diese Naturorte, die zahlreichen Lebewesen als Heimat dienen, sind bedroht. Vier Fünftel aller Streuobstwiesen wurden in Deutschland bereits abgeholzt – es entstehen Wohngebiete oder die Flächen werden anders genutzt, zum Beispiel für monokulturelle Bewirtschaftung. Hinzu kommt, dass die Pflege der Streuobstwiesen für die Bauern oft zu aufwendig, zeitintensiv und kostspielig geworden ist.
Dass sich mit den Bäumen, die hier voll hängen, ein Business machen lässt, dieses Potential erkannten Bernd Schock und Harald Elm 2014 und gründeten die Firma „Berliner Streuobstwiesen Manufaktur GmbH“, sowie den Verein Äpfel und Konsorten für den Schutz regionaler Streuobstwiesen. Mit ihrer Marke Ostmost verarbeiten sie regionaltypische alte Apfelsorten im traditionellen Mostverfahren zu hochwertigen Säften, Schorlen und Cider.
„Ich habe eine große Leidenschaft für regionale Rohstoffe, die zusätzlich während ihres Wachstums mit allen Lebewesen harmonisieren”, erklärt Bernd Schock, mit dem wir uns in Philadelphia treffen. Das gehört zum brandenburgischen Storkow und hier befindet sich eine der drei Streuobstwiesen, die das junge Unternehmen bislang pachten konnte – auf einer Gesamtfläche von aktuell 10 Hektar bewirtschaftet man aktuell bis zu 120 Jahre alte Obstbäume. Möglich machte das die Kampagne #reclaimstreuobstwiesen: Mit jedem Kauf eines Ostmost-Getränks unterstützen Käufer diese und den Verein Äpfel & Konsorten e.V.; Unternehmen und gastronomische Betriebe, die Ostmost-Produkte in ihr Sortiment aufnehmen, haben zusätzlich die Möglichkeit, Patenschaften für Bäume oder ganze Wiesen zu übernehmen.
Update 2020: Aktuell läuft auch eine Spendenkampagne.
Nachhaltigkeit: kein Add-On, sondern Unternehmenszweck
„Für mich als Vater zweier Kinder ist die Mehrgenerationen-Verantwortung das höchste Gut unserer heutigen Gesellschaft. Wir bieten mit unserem Handeln unseren nächsten Generationen eine lebenswerte Umwelt. Das ist der Sinn meines Lebens und meines Unternehmens” so Schock. Neben dem Fokus auf Nachhaltigkeit legt man außerdem Wert auf eine hohe Getränkequalität: Das Streuobst wird handgeerntet, bleibt frei von Rückständen jeglicher Pflanzenschutz- und Düngemittel sowie von Zusatzstoffen und Gentechnik – Naturbelassenheit, die sich im intensiven und auch individuellen Geschmacksbild der Produkte darstellt.
Allerdings sind die Produktionsmengen durch die Verwendung der ökozertifizierten Obstsorten limitiert, auch das Thema Beschaffung ist ein Punkt: Ostmost zahlt den Initiativen und Obstbauern mehr als das Doppelte des marktüblichen Apfelpreises. Wie ist das wirtschaftlich? „Unsere Händler tragen unser Aufpreismodel durch den ökologischen Mehrwert unserer Produkte mit und leisten dadurch einen kleinen Beitrag zu dem Erhalt unserer Streuobstwiesen,” erklärt Bernd Schock. Und sicherlich trägt auch ein spannender, trendiger Produktauftritt im Design der Urban Art – was sich in Berliner Bars und Späti-Kühlschränken gut macht. Hauptstadtlocations ganz unterschiedlicher Art wie die Prinzessinengärten, der Klunkerkranich, das Mensch Meier, der Schleusenkrug oder das Maxim-Gorki-Theater verkaufen Ostmost-Produkte, diverse Festivals sind ebenfalls Unterstützer.
Das will man weiter ausbauen: Ostmost sucht bewusst nach Kooperationspartnern, die die Philosophie und das daraus resultierende Aufpreismodell mit dem Unternehmen teilen. Denn langfristige Liefer- und Abnahmeverträge tragen maßgeblich dazu bei, die faire und regionale Wertschöpfungskette beibehalten zu können.
Eine kleine neue Branche
Ostmost ist nicht das einzige Getränkeunternehmen, das diese neuen Wege geht. In Hamburg beispielsweise gibt es Das Geld hängt an den Bäumen, einen Hersteller von Säften und Schorlen von Obst aus Hamburger Nachbarschaftsgärten, der Menschen mit Benachteiligungen am Arbeitsmarkt (durch Behinderungen, chronische Krankheiten oder migrationsbedingt) beschäftigt. In Nordwestuckermark in Brandenburg gibt es den Gutshof Kraatz, der mit alten, gerbstoffreichen Apfelsorten, Birnen und Quitten, die teils von verwilderten Obstbaumpflanzungen stammen, Säfte und Weine herstellt.
Rafael Kugel von Havelwasser, Anbieter eines Birnen-Weingetränks sowie weiterer „birniger“ Produkte, hat sich des Birnengartens Ribbeck angenommen, der 2006 im Rahmen einer Landesgartenschau angelegt wurde. Hier werden unterschiedliche, teils gefährdete Birnensorten kultiviert und es können Baumpatenschaften übernommen werden. „Wir planen, eine kleine Havelwasser-Sonderedition mit den Birnen zu machen, sofern wir in diesem Jahr eine normale Ernte bekommen“, erklärt Kugel. Im vergangenen Jahr hatten wir aufgrund eines Frostes während der Birnenblüte 100 Prozent Ernteausfall – deutschlandweit waren es 95 Prozent! Es dürfte aber nur für ein paar Hundert Flaschen reichen.“