Was verbindet man mit dem Begriff „Tiki“? Fruchtige, farbige Drinks, Säfte, Rum, Obst-Dekoration, Voodoo-Becher, Sonne, Südsee, Hawaii, Ferne, Eskapismus… aber Deutschland? Eher nicht.
Das soll sich ändern: Eine Gruppe ambitionierter Bartender hat sich zum Ziel gesetzt, eine neue Getränkekategorie in die Welt zu bringen: deutsche Tiki-Drinks. Es klingt ein bisschen verrückt, doch erste flüssige Ergebnisse des Projekts liegen schon vor. Die durften im Rahmen der „Bar and Food Night“ in der „Neuen Heimat“ in Berlin probiert werden. Und erwiesen sich als sehr lecker.
Doch fangen wir ganz von vorne an. Die seltsame Idee mit den deutschen Tiki-Drinks, die entstand in Jena, Thüringen. Ein schönes Städtchen, aber nicht gerade ein Ort mit Südsee-Flair, auch wenn es hier einen Bahnhof gibt, der „Paradies“ heißt. Aber gleich um die Ecke von diesem Bahnhof befindet sich das Grünowsky, zu dem eine wunderbare Freiluftbar gehört. Zwischen Bäumen und Blumen, kredenzte Bartender Danny Müller, mittlerweile Betreiber der Weintanne, hier sieben Sommer lang feine Drinks. Das scheint ihn inspiriert zu haben. „Ich habe mich schon immer für das Thema Tiki interessiert“, erklärt er.
Eine Plattform für die Vertiefung seiner Idee, Tiki „einzudeutschen“, bot ihm das 2014 initiierte Arbeitsgruppen-Projekt im Hubertus Rat von Jägermeister. Kleingruppen erhalten hier die Möglichkeit, sich mit barspezifischen Themen auseinanderzusetzen. Zum Beispiel mit heimischen Wildkräutern. Oder eben mit heimischem Tiki, wie in der „German Tiki AG“, die Danny Müller ins Leben rief. In seiner Freiluftbar fand sich die AG im Spätsommer des vergangenen Jahres zum ersten Mal ein. Mitstreiter sind Sarah Deuss (Blauer Fasan, Bremen), Björn Bochinski (Lux, Münster), Frederik Knüll (Spirits, Köln) und Michael Sehte (Neue Heimat, Berlin) sowie Jägermeister- und Spirituosen-Experte Nils Boese.
Dreimal traf man sich insgesamt, um die deutsche Tiki-DNA zu erforschen: nach Jena in Hildesheim und Köln. Ergebnis der Recherche? „Es gibt erstaunlich viele Möglichkeiten, das Thema Tiki deutsch zu bespielen“, so Müller. Der originäre Südsee-Tiki lässt sich sogar sehr gut domestizieren: Man verwendet zum Beispiel einfach heimische Früchte. „Natürlich haben wir keine Ananas in Deutschland. Aber wunderbare Äpfel – und die sind bekanntlich auch paradiesisch!“, sagt Nils Boese lachend. Oder man bereitet Sirupe und Infusionen aus lokalen Ingredienzien zu. Da wird aus Zuckerrohr-Sirup eben ein Waldhimbeer-Sirup. Kräuternoten spielen bei Tiki-Drinks traditionell eine große Rolle, und das tun sie auch beim urdeutschen Jägermeister. Da lag es für die „German Tiki AG“ nahe, ein tiki-typisches Falernum aus dessen Kräutern herzustellen und das Traditionsprodukt aus Wolfenbüttel für eine würzige Abrundung der Drinks in die gefüllten Gläser zu floaten. Wie exotisch Heimat sein kann.
Und wie unverkrampft: Denn vor allem geht es bei der ganzen Aktion darum, mit viel Spaß neue Wege zu beschreiten. „Wir nehmen uns selbst nicht ganz so ernst“, erklärt Danny Müller. Das typisch Deutsche – Pünktlichkeit, Präzision, Technizismus – darf gerne an der Garderobe abgegeben werden, wenn die „Tiki time“ beginnt. Findet auch Nils Boese: „In der Barszene ging es zuletzt sehr ernsthaft zu. Das hat uns qualitativ viel gebracht, aber jetzt ist es an der Zeit für mehr Leichtigkeit.“
Das stößt ganz offensichtlich auf Gefallen: Während wir uns unterhalten, finden sich immer mehr Interessierte am bunt leuchtenden Tiki-Stand auf der „Bar and Food Night“ ein. Der Tresen ist mit allerlei Ornamenten versehen, eine kleine Welt für sich: Gartenzwerge, Plastiktierchen auf Kunstrasen, ein Modell eines alten VW-Bullis. Der steht wohl symbolisch für das Fernweh und die Lust auf Urlaub: In die Südsee reiste der Deutsche nicht, als in den frühen 1960er Jahren die Tiki-Welle über die USA schwappte und jeder Amerikaner, der es sich leisten konnte, nach Hawaii flog. Das deutsche Hawaii war die Adria oder die Costa Brava. Dahin fuhr man mit dem Auto oder eben mit dem Bulli.
„Eigentlich geht es uns sogar mehr ums Heimweh als um das Fernweh“, findet Danny Müller, „die Menschen suchen doch nach einer Möglichkeit des Rückbezugs aufs Regionale“. Man könnte auch sagen: auf die Exotik vor der Haustür. Denn hier gibt es viel zu entdecken: Die Quitte oder der Rhabarber, fast weg waren sie, jetzt tauchen sie in Form von hippen Limonaden wieder in vielen Bars und Cafés auf. In den Drinks der „German Tiki AG“ wird heimisches Obst ebenso zum Star, zum Beispiel die Williams-Christ-Birne oder die Zwetschge, in Form fruchtiger Obstbrände. Bei über 17.000 Brennereien in Deutschland, die zu einem großen Teil hiesige Früchte und Beeren destillieren, kann man sich wahrlich nicht über zu wenig „tiki-affine“ Erzeugnisse made in Germany beklagen. Man muss sie nur für sich entdecken.
Mehr noch: Rum, die zentrale Tiki-Zutat, gibt es in einer original Flensburger Version. In der Stadt im hohen Norden wurde ab Ende des 19. Jahrhunderts ein aus Jamaika stammender, hocharomatischer Rum mit Neutralalkohol und Wasser zum „German Flavour Rum“ verarbeitet. Eine eigene Kategorie wie der weitaus bekanntere „Navy Style Rum“ aus Großbritannien. Davon ist leider wenig verblieben – doch der „Jubiläums-Rum“ von Johannsen, dem letzten traditionell produzierenden Rumhaus der Stadt, fließt heute Abend wortwörtlich in die Drinks ein. Das Verschneiden und Erstellen von Rum-Blends hat im klassischen Tiki Tradition, und die „German Tiki AG“ domestiziert es eben durch die Verwendung des traditionellen „German Flavour Rum“.
Und das auch in heißen Varianten, zumal es draußen vor der Tür alles andere als tropisch warm ist: Rum aus Flensburg und Tee aus Ostfriesland sorgen für Wohligkeit in warmen Tiki-Drinks.
Tiki ohne Süße? Undenkbar. Doch Rohrzucker wächst zwischen Flensburg und Berchtesgaden bekanntlich nicht. Kein Problem: Es gibt schließlich Honig, von mildem Blüten- bis hin zu aromatischem Waldhonig lässt sich mit dem Produkt wunderbar spielen. Haken dran, auch hier hat man eine clevere Lösung gefunden.
Und die Säure? Gerade werden frische Limetten und Zitronen an den Stand gebracht. Kommen die etwa aus einer brandenburgischen Orangerie? Danny Müller schmunzelt: „Das Thema ist noch nicht ausgereizt. Daran arbeiten wir weiter.“ Man habe viel experimentiert in der „Tiki AG“, um eine „heimische Säure“ zu erzeugen, mit Essig, Rote-Beete-Saft und sogar mit Sauerkraut. 2015 wird man dieses Thema in der „German Tiki AG“ weiter vertiefen: „Wir fangen ja gerade erst an. Und wenn wir etwas Passendes gefunden haben, dann haben wir deutschen Tiki 2.0!“.
Cheers, oder besser: Prost!
Mehr Infos zu den AGs von Jägermeister gibt es hier, bewegte Bilder vom Event in der Neuen Heimat im Video: