Wusstet ihr es? Brandenburg war einst ein Weinland. Über 200 Weinberge gab es hier. Das ist allerdings fast 400 Jahre her. Jetzt kommt die Tradition langsam zurück. Zum Beispiel im Weingut Wolkenberg, das sich auf dem wohl ungewöhnlichsten Terrain in ganz Deutschland befindet – dem renaturierten Gelände eines ehemaligen Braunkohle-Tagebaus. Wir sind hingefahren.
Hinter Papproth endet die idyllische, typische Südbrandenburger Landschaft abrupt. Eben noch Höfe, Dörfchen, Wäldchen, Felder. Jetzt sieht es ein bisschen aus wie in einem Computerspiel zu Zeiten, als sie wegen Datenmengen-Einsparung noch möglichst minimalistisch gestaltet wurde. Auch der Höhenzug, den wir nach ein paar Minuten Fahrt durch surreales Terrain hinauf fahren, hat Game-Charakter – auf einmal er ist er da. Die Douglasien stehen dicht an dicht, der Schotterweg geht geradeaus hoch, 30 Meter Höhenunterschied, dann sind wir oben und blicken auf ein weites, weites Gelände: Felder, Wälder, Wiesen und am Horizont die größten Fahrzeuge der Welt: Braunkohlebagger im Tagebau Welzow-Süd. Und vor uns liegt – ein Weinberg, der vielleicht am ungewöhnlichsten gelegene in ganz Deutschland. Willkommen im Weingut Wolkenberg.
Ein Dorf ist verschwunden, ein Weingut entstanden
Sein Name leitet sich ab von dem Ort, den es hier einst gab, Wolkenberg, von 1503 (erste urkundliche Erwähnung) bis 1991. Gut 300 Menschen lebten hier noch Ende der 1980er-Jahre. Am 1. Oktober 1989 wurde hier die letzte Messe in der Kirche gesungen, im Frühjahr 1991 verließen die letzten Wolkenberger das Dorf. Die „Inanspruchnahme des Dorfes durch den Tagebau Welzow-Süd“, ist auf der Infotafel auf dem Hügel zu lesen, begann drei Jahre später. Weil die Enteignung schon zu DDR-Zeiten begonnen hatte, gingen viele Dorfbewohner finanziell ziemlich leer aus. Tragisch.
Das Dorf Wolkenberg ist Geschichte, der Wolkenberg selbst ist wieder da: Umfangreiche Rekultivierungsmaßnahmen sorgen dafür, dass hinter dem, was der Braunkohle-Abbau hinterlässt, wieder Leben entstehen kann. Klaffte hier nach dem Abrücken der Bagger erstmal ein 80 Meter tiefes Loch, wurde dann der einstige Höhenzug – Endmoräne, hat die letzte Eiszeit hinterlassen – wieder aufgeschüttet. Überall in der Gegend wird versucht, das ehemalige Relief wieder herzustellen, wenn die Braunkohle raus und unter anderem im nahe gelegenen Kraftwerk „Schwarze Pumpe“ verheizt worden ist. So sieht also die am wenigsten nachhaltige Stromerzeugung aus, voraussichtlich noch bis 2038.
Aber deswegen sind wir nicht hier, sondern wegen des Weins. Das ist ja auch ein viel schöneres Thema. Ein bisschen Toskana-Feeling macht sich breit beim Blick durch die Reben hinab, auch wenn man sich die Wolkenberge vor blauem Himmel an diesem heute durchweg mausgrauen Tag vorstellen muss. Später wird es zu regnen anfangen, da freut sich der Wein. Dass es hier so gut wie kein Grundwasser gibt und Tröpfchenbewässerungsschläuche für Wasserzufuhr sorgen, wenn der Regen ausbleibt, ist eine von vielen Besonderheiten dieses Weinbergs: Weinbau im Ex-Braunkohle-Bergbau, dafür gibt es bis dato kein vergleichbares Beispiel, das ist Pionierarbeit.
Der Wolf sagt manchmal guten Tag
2004 war auf dem Hügel nebenan ein kleiner Versuchsweinberg mit exakt 199 Reben errichtet worden, ein Test-Anbau der TU Cottbus mit dem örtlichen Winzerverein. Den gibt es immer noch, dazwischen haben sich Pflanzen und Bäume selbst ausgesät, wildromantisch sieht es drumzu aus. Ist es auch: Mehrere Dutzend Jäger kümmern sich um das Neo-Reservat, die Füchse schaffen es leicht durch den nicht sehr engmaschigen Zaun und auch der Wolf sagt manchmal guten Tag. 2010 begann ein Drei-Mann-Startup, hier en gros Reben auf den Geschiebemergel-Boden zu setzen.
Zeitlich etwas überambitioniert: 2012 wurde schon der erste Wein gelesen und in Flaschen gebracht. „Das war viel zu früh“, sagt Bettina Muthmann, mit der wir uns in der kleinen Straußwirtschaft im Weinberg treffen. Wein brauche schon ein paar Jahre mehr Ruhe und Reife. Ihr Mann ist einer der drei Pionier-Winzer, mittlerweile leitet sie das Geschäft zusammen mit Martin Schwarz aus Meißen, der dort auch das Weingut Schwarz hat und viele Jahre Önologen-Wissen mit in das Projekt einbrachte. Für Muthmann war es beruflich ein kompletter Neuanfang – dafür kennt sie sich mit dem Thema Strukturwandel aus, sie kommt aus dem Ruhrgebiet. Die schwarze Kohle habe sie gegen braune getauscht, sagt sie lachend.
Viel Arbeit steckten sie und Schwarz in den 6,2-Hektar-Weinberg mit nunmehr 26.600 Reben. Rückschläge gab es dabei auch: 2013 fraßen die Vögel die Trauben komplett ab, seitdem hängen Netze über dem kostbaren Gut. 2015 wurde das erste Mal geerntet, der 2019er-Jahrgang sei der erste Jahrgang, mit dem man vollends zufrieden sei: Auf 28.000 Flaschen wurde der gezogen, und das trotz erneuter Schwierigkeiten: Erst kam im ganzen Sommer so gut wie kein Regen vom Himmel, dann kam er in Hülle und Fülle: 200 Liter Starkregen in 20 Minuten rissen das Sediment fort. Statt Traktoren hätte man da eher Kanus gebraucht, so Muthmann. 2018 gab es in der ganzen Vegetationsperiode nur 90 Liter Regen, viel, viel zu wenig. Oft wird gesagt, wenigstens für den Weinbau sei die Klimaerwärmung gut, und längst kommt absolut trinkbarer Wein auch aus Skandinavien, aber dabei werden die häufiger werdenden kurzfristigen Phänomene vergessen: Die Wetterschäden häufen sich überall.
Mikroklima-Wandel
Hier gibt es aber noch einen ganz anderen Klimawandel, einen Mikroklima-Wandel, wenn man so will: Wie die Wolken hängen bleiben, hängt nämlich ganz maßgeblich vom Tagebau ab, erklärt uns Frau Muthmann. Als der noch parallel zum Weinberg seine Bahnen zog, kamen wenig Wolken und und somit wenig Flüssigkeit bis hierher. Jetzt gräbt er sich Richtung Süden, seitdem ist es wieder feuchter geworden. Was das bedeutet, wenn in spätestens 18 Jahren Schluss ist mit Fräsen, wird man sehen. Windig wie heute wird es wohl bleiben, ein ordentliches Lüftchen geht hier fast immer, erfahren wir. Das tue den Trauben gut, die nach der Ernte nach Meißen transportiert werden: Fäulnis ist so gut wie kein Thema.
Das Sortiment von Wolkenberg ist trotz noch recht weniger Jahre Unternehmensbestand schon recht ordentlich: Rund ein Dutzend Produkte finden sich im Onlineshop. Eine Auswahl davon verkosten wir jetzt vor Ort. Der „Rote Riesling“ ist der erste seiner Art, der in Deutschland wieder angebaut wurde, eine Sondergenehmigung macht’s möglich. Mittlerweile ist die „Mutter des Rieslings“ wieder häufiger in Deutschland zu finden, der Wein verbindet den typischen Geschmack mit ausgeprägter, spannender Fruchtigkeit, ist säureärmer und hat eine leichte Färbung ins Rötliche. Das Cuvée „Wochenende“ aus Weißburgunder, Grauburgunder und Kernling hat einen schönen, unkomplizierten Trinkfluss.
Das gilt auch für den sortenreinen Grauburgunder: gefällig mit schöner Frucht, leicht bitterer Abschwung. Würzig-aromatisch kommt der relativ selten zu findende Schönburger daher, den empfehlen die Wolkenberger zu Austern und Fisch, es ist auch der Grundwein für den Sekt des Hauses. Erd- und Waldbeere vernimmt die Nase beim leuchtenden „Feierabend Rotling“ aus Rondo, Kernling, Weiß- und Grauburgunder und ziemlich funky ist der Weinlikör „Noport“ aus Cabernet-Dosa-Trauben, der für fünf Jahre bei Schwarz ins Barriquefass kommt. Auch einen „Kernling Barrique“ und eine „Cuvée Barbara“, benannt nach der Schutzpatronin der Bergleute, gibt es – letztere verkauft sich allein wegen des Namens in der Gegend gut.
Berlin im Fokus
Ansonsten ist man mit dem Wein gar nicht so regional unterwegs, wie sich das unsereins vorgestellt hat. Online verkauft man überall hin, mehr als die Hälfte geht in die Hauptstadt, die man mit der geplanten Expansion auf 45.000 Flaschen auch vermehrt im Blick hat – sich in Berliner Gastronomien noch weiter zu etablieren, ist das erklärte Ziel. Wolkenberg gibt es in Restaurants an der Ostsee, aus Sachsen kommen viele Weinfans zu Besuch. In Brandenburg selbst kennt man die Brandenburger hingegen kaum. „Selbst in Cottbus kann kaum jemand etwas mit unserem Namen anfangen“, berichtet Bettina Muthmann. Das Bundesland ist halt keine Weingegend. Mehr.
Es war nämlich, wie eingangs erwähnt, schon ganz anders: Allein um Cottbus herum gab es im frühen 17. Jahrhundert rund 200 Weinberge, der Dreißigjährige Krieg und anhaltende Frostperioden machten die Kultur zunichte. 1914 wurde in Krossen der letzte Wein der Region gekeltert. Langsam kehren die Reben zurück: Schon vor der Wende begann man in Werder/Havel wieder mit Weinbau, heute gibt es einzelne Anbaugebiete vor allem im südlichen Landesteil. Die „Region Brandenburg wird für junge Winzer definitiv interessant“, sagt Philipp Henke, der den Vertrieb und das Marketing für die Weingüter Schwarz und Wolkenberg leitet.
Es wird wärmer, Platz ist vorhanden und mittendrin liegt eine durstige Millionenmetropole. Eine Lage wie hier, mit exakt elf Grad Neigung gen Südsüdwest, angelegt, als wäre es für den Wein geschehen, ist dennoch einzigartig. Und vor so einer einzigartigen Kulisse schmeckt der Wein irgendwie noch ein bisschen besonderer.