Intergastra Neo

von Jan-Peter Wulf

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Deutschland, Messeland. Messe, das sieht so aus: Menschen im Stechschritt ziehen Rollkoffer hinter sich her, tragen weiße Hemden mit lässigem Kragenstick des Arbeitgeberlogos, Hostessen in zu kurzen Sachen schlendern durch die Hallen, werden von den Trägern der weißen, bestickten Hemden im Vorbeigehen begutachtet, schlanke Vertriebler mit braunem Cordanzug, lässigem Merino-Wollschall und Ledermappe mit vielen Visitenkarten drin lauern auf den nächsten Lead, Raucher stehen stehen frierend am Lieferanteneingang zwischen den Hallen. 

Messe ist Stress, Messe ist laut, Messe ist eigentümlich. Messe ist aber auch, wenn man sich die Zeit dafür nimmt, ziemlich interessant: Was es alles für Produkte gibt! Ich tigere immer gerne durch die meist etwas ruhigeren Hallen mit Kombidämpfern, GN-Schalen und Spültechnik-Neuheiten. Vorbei an den Produzenten der gastronomischen Hardware. Lässt man sich mal ein Produkt erklären, kann man eine Menge lernen über den Teufel im Detail, den ausgeklügeltes Ingenieurwissen vertreibt. Was mich dabei oft verblüfft: Wie oft haben diese Firmen ihren Sitz in Baden-Württemberg. Dass sie dort angeblich alles können außer Hochdeutsch, irgendwie scheint es doch zu stimmen, jedenfalls hört man auch auf der Internorga in Hamburg diesen Akzent ungewöhnlich häufig.

Besonders viel geschwäbelt wird auf der Intergastra. Das hängt damit zusammen, dass diese Messe in Stuttgart stattfindet. Genauer: bei Stuttgart, direkt neben dem Flughafen weit draußen vor der Stadt, in einem non-place zwischen Autobahn, Parkhäusern und Flughafenhotels. Diese Abgelegenheit verdoppelt die Seltsamkeit des Phänomens Messe noch einmal, finde ich.

Auf der Intergastra bin ich zum ersten Mal, Anlass ist ein neues Messeformat namens Intergastra Neo, mit dem man vor allem die Trend- und Szenegastronomie, also Clubs, Bars, Veranstalter und andere Branchenteilnehmer ansprechen will. Freundlicherweise bin ich eingeladen worden, vor Ort ein wenig über Trends aus der Branche zu sprechen. Die Einladung habe ich gerne angenommen, werde nett empfangen und schließe meinen Rechner an.

In diesem Augenblick wird es dunkel im Saal. Das wäre doch nicht nötig gewesen. Kommt jetzt auch noch ein Spot? Nein. Es kommt Nebel, Disconebel, volle Kanone. Ein kräftiger Strahl von hinten bläst direkt auf Bildschirm und Tastatur meines Rechners, den ich lieber schnell wieder abstöpsle und in Sicherheit bringe, auch wenn der nette Techniker neben mir sagt, da könne nichts passieren. Erstmal Lasershow. Hämmernde Musik, zuckende Blitze. Wow. Was für ein Intro.

Als der Nebel sich lichtet, sind die meisten Leute, die vorher noch in Bühnennähe standen, geflüchtet. Dumm gelaufen. Es fällt mir nicht leicht, meinen Einstieg zu finden, muss gleich kurz anhalten und den DJ am Stand neben der Bühne bitten, die Musik runterzudrehen, damit wenigstens die paar Leute, die mir zuhören möchten, mein Wort verstehen, wenn ich schon mein eigenes nicht. Es geht dann irgendwie. Nach dem Vortrag kommen einige nette und interessierte Menschen auf mich zu, bedanken sich, möchten mehr wissen, wir tauschen Kontakte aus. 

Dennoch: Auf einer Bühne in einer großen, lauten Halle zu stehen, keine Sitzplätze für die möglichen Zuhörer davor, dafür Verkostungsstände vis-à-vis, sodass sich einem jede Menge Rücken zudrehen , so einen Point-of-view hat kein Referent verdient. Der Redner nach mir bricht nach einigen Minuten ab, genervt von technischen Problemen und der Geräuschkulisse. Auch die folgenden Vortragenden, alle haben sie wirklich spannende Themen auf die Folien gebracht und sich gut vorbereitet, sprich Zeit investiert, müssen gegen Musik und Gequatsche ankämpfen.

Das muss doch nicht so sein. Man kann doch Musik, Lasershow und Flair-Competition (die war übrigens beeindruckend) räumlich von Messeständen und vor allem dem Vortragsbereich räumlich trennen? Lieber vor einem Dutzend sitzenden, angeregt lauschenden und Fragen stellenden Zuhörern sprechen als gegen eine diffuse Wall-of-Sound.

Eigentlich ist das selbstverständlich. Das kann man von einem Veranstalter erwarten. Andere Messen bekommen das auch besser hin, auf der lärmigen discocontact in Ibbenbüren finden die Vorträge in einem eigenen Bereich statt und auf Barzone und Barconvent versucht man die Geräuschkulisse ebenfalls einzudämmen, so gut es geht. Sowieso: Warum sich so viele „junge“ Produkte immer mit lauter Musik einem Fachpublikum präsentieren müssen, habe ich sowieso noch nie verstanden. 

Das Fazit ist entsprechend durchwachsen: Die Idee, ein Format für junge Gastronomie zu schaffen, ist gut. Die Exekutive nicht. Standbetreiber erzählen mir, dass es eher eine Quantität als eine Qualität in den Kontakten gebe. Viel Freiware raus, wenig Adressdaten rein, heißt das wohl. An einem Stand hilft man sich mit dem Spannen einer Kordel aus, Türpolitik wie vor der Disco, an einem anderen kostet das Bier Geld. Dass die Sektion vom Rest der Messe ziemlich abgeschnitten ist, auch der Messeguide das Format nicht sonderlich hervorhebt, vermittelt den Eindruck, man stehe messeseitig nicht so wirklich zu bzw. hinter dem neuen Format. Die Kontakte an Ständen auf der Hauptmesse, denen ich von der Neo erzähle, haben gar nicht mitbekommen, dass es sie gibt. Das klingt alles nicht besonders gut. 

Der Hauptmesse wird es nicht schaden. Auch 2016 wird es hier wieder Rollkoffer, lässige Merino-Wollschals und viele Produktinnovationen geben, many of them made in the Ländle. Aber ob es die Intergastra Neo dann noch mal geben wird? In dieser Form bestimmt nicht. Hoffentlich wird eine angemessenere Darstellungsform gefunden, das sollte man im findigen Schwabenländle doch schaffen. 

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