„Essen ist der neue Heckspoiler“: 7 Fragen an Heimo Tscherne zu Storytelling in der Food-Branche

von Redaktion

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Wenn man in einer Diskussionsveranstaltung über Marketing sitzt, sollte man sich unbedingt den Begriff „Storytelling“ auf die Bingoliste setzen. Der fällt irgendwann genauso wie „Authentizität“, „Leidenschaft“ und „DNA“. 

Nicht zu unrecht allerdings: Denn so abgenutzt diese Begriffe wirken, dahinter verbergen sich schon wichtige Dinge für die Markenführung. Ob die Marke dann tatsächlich so authentisch und leidenschaftlich ist, wie ihr Vertreter behauptet, ist natürlich eine ganz andere Sache. Gerade bei großen Marken, wo Mitarbeiter kommen und gehen, wo ein Großteil der Menschen, der für diese Marken arbeitet, nie wirklich in den Herstellungsprozess des Produkts eingebunden ist, muss man da ein dickes Fragezeichen setzen. Mir fallen viele Beispiele von Getränkeherstellern ein, die ihr Getränk eigentlich gar nicht selbst herstellen, denn das ist ja auch nicht unüblich.

Bei den „Food-Entrepreneuren“ sieht das in der Regel anders aus. Die kleinen, jungen, aufstrebenden Hersteller meist handwerklicher Produkte denken – so meine Beobachtung – so sehr von ihrem Produkt, dessen Zutaten, „Fabrikation“ und der Zubereitung her, dass der ganze ideologische Überbau, den man Markenführung nennt, erstmal hinten angestellt wird. Oder? Wie ist das mit dem Geschichtenerzählen in diesem Bereich? Braucht man das? Und wenn ja, wie? Am 21. Juli geht es beim „Food Entrepreneurs Club“ in Berlin um dieses Thema. Aus München reist Heimo Tscherne an, der als Agentur-Profi, Foodie und jetzt freier Kommunikationsberater über Storytelling für Food-Unternehmen referieren und Publikumsfragen beantworten wird.

Wir waren mal so frei, ihm vorab schon einige, genau sieben Antworten dazu zu entlocken. Er antwortet uns nicht nur verbal, sondern auch audiovisuell mit Video-Beispielen. Es lebe digital.

Heimo, wenn ich ein gutes Produkt habe – das setzen wir voraus – warum brauche ich dann auch noch eine Geschichte?
Produkte und Marken, ob gut oder schlecht, verlangen nach Aufmerksamkeit und Verständnis der Konsumenten. Wenn die Wahrnehmung in der Zielgruppe fehlt, dann ist die Party schnell zu Ende. Nun kann man – um das Bild weiterzuführen – auf die Party gehen, sich seiner Traumfrau vorstellen und hoffen, dass man Anklang findet. Oder man erzählt weniger, wie man toll man sei, sondern bindet sich in eine Story ein und bleibt dauerhaft in Erinnerung. Oder welche Marke würde man diesem Tanz auf der Party zuordnen?

Wie erzähle ich als Food-Unternehmer oder als Gastronom meine Geschichte?
Aufrichtig, konsequent und mit voller Inbrunst! Wie bei einem Film kommt es auf das Drehbuch und die Protagonisten an: den Held, seinen Unterstützer, den Bösewicht, etc. Dann geht es um die Wahl der Bühne: Ist es rein die eigene Homepage, klassische Medien, Speisekarte oder Facebook, Instagram, Vine oder Snapchat? Dazu gehört die Analyse der Zielgruppe, um entsprechende Anreize zu setzen.

Frau Antje, die uns den Käse direkt aus Holland bringt, der schöne Jever-Mann, der in die Dünen fällt, ein habilitiertes Rhinozeros… geht Food-Storytelling nicht ohne Menschen/Figuren oder Tiere?
The Striding Man, Birgit Kraft oder Frau Antje sind Werbefiguren, die Vertrauen und Wiedererkennung schaffen. Storytelling baut auf Protagonisten auf. Ohne die geht es nicht. Dabei muss es aber nicht immer die Marke, das Maskottchen oder der CEO sein. 2008 hat Dr. Pepper jedem Amerikaner ein Getränk versprochen, wenn Guns’n’Roses ihre versprochene CD ‚Chinese Democracy‘ herausbringen. Woran keiner mehr geglaubt hat. Was sie aber dann geschafft haben. In dieser Geschichte ist nicht die Marke der Held, sondern Slash und Axel. Dr. Pepper ist nur der Helfer, zusammen mit den Fans die den Konflikt der Kreativitätspause auflösen wollen. Und es wird in Zukunft noch mehr auf die Persönlichkeit ankommen. Wenn Personen zu Medien werden und Produkte in die tägliche Lebenswelt eingebunden werden. Dabei bin ich großer Fan von radikalen Charakteren wie Action Bronson oder James May.

Die großen Storyteller bzw. Geschichtenerzähler der amerikanischen Südstaaten unterhalten und begeistern ihr Publikum. Ob alles ganz der Wahrheit entspricht, was mit viel Dramatik und Intonation vorgetragen wird, ist nebensächlich. Bei Food geht es doch um Authentizität und Transparenz, um betonte Ehrlichkeit. Passt das zusammen?
Klassisches Storytelling baut auf den verschiedenen Geschichtsformen auf: Heldenepos, Abenteuerreise, Drama, Liebesgeschichte und so weiter. Stilelemente, Protagonisten und Dramatik gehören dazu. Ohne Dramatik würden die Kommunikation von Unternehmen wie True Fruits, Ben & Jerrys oder Paar aufs Maul nicht funktionieren. Werte sind wieder eine andere Kategorie. Nachhaltigkeit, Ehrlichkeit, Transparenz und Authentizität werden heute oft inflationär verwendet und sind austauschbar – auch weil der Kunde dies oft wünscht. Oft reicht der Glaube an Transparenz und Ehrlichkeit aus. Lügen haben in der Kommunikation auch oft kurze Beine und du musst deine Geschichte stehen können:

Bei Food geht es auch um Genuss. Wie kann Storytelling helfen, zum Genuss zu „verführen“?
Essen als Nahrungsaufnahme oder Essen als Genuss. Für das erste reicht ein guter Preis und Convenience. Für Zweites ist die Geschichte zum Produkt bzw. zum gereichten Teller das A und O. Besonders in einer Zeit, in der Essen der neue Heckspoiler ist und es keine Mangel an Produzenten, Schnapsbrennern, Lieferdiensten oder Reservierungs-Apps gibt. Es gilt Emotionen zu wecken und Fans zu Botschaftern zu machen.

Auf deiner Webseite steht: „Don´t try to be funny, be funny“ und dass es oft an dem feinen Unterschied scheitere, der aus einer Idee ein tragfähiges Konzept macht. Wie erkennt man den denn und wie hilfst du dabei, dass es zum tragfähigen Konzept wird?
Der Spruch stammt von meinem Tätowierer und bedeutet, dass der Gedanke im ersten Moment zwar witzig ist, aber am Ende des Tages nur wieder ein Arschgeweih herauskommt. In der Markenkommunikation zählt oft die erste Idee – ob Event, Pressereise, Kooperation, Presseaussendung, etc. – ohne eine gewisse Nachhaltigkeit. Jetzt machen wir was. Und lustig soll es sein. Und am besten viral. Kostenlos. Das ist unrealistisch. Sich Gedanken über seine Geschichte zu machen, die Protagonisten richtig zu setzen, Kanäle auszuwählen und Ziele setzen, ist schon ein richtiger Schritt zu ‚funny‘. Man nehme den Kraken Rum Valentinstagsladen in London oder das Video von Chipotle Mexican Grill:

Storytelling bindest du für deine Kunden in ein kommunikatives Gesamtpaket ein. Also ist es ein Teil des Ganzen. Wie verhalten sich die einzelnen Bausteine zueinander, sodass es insgesamt stimmig ist?
Mein Anspruch lautet in Konzepten das Element Storytelling einzubauen – und wenn es nur dazu dient, besser zu verstehen, welche Elemente und Rollen die Geschichte hat. Die Story ist die thematische Klammer, die sich in allen Bausteinen wiederfinden soll, damit ein schlüssiges Bild entsteht. Von der Facebook-Fanpage, über die Pressemitteilung bis zum Event.

 

Und wie Food-Entrepreneure das für ihr Business nutzbar machen können, erfahren sie beim „FEC Tuesday“ am 21. Juli in Berlin. Alle Termin-Infos hier.

Webseite von Heimo Tscherne: www.undtscherne.com
Sein Blog: www.heckmeck.net

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2 Kommentare

Lita Haagen 31. März 2016 - 21:29

„Die Story ist die thematische Klammer, die sich in allen Bausteinen wiederfinden soll“
Genau so sehe ich das auch.
Zuerst muss man sich über die übergeordnete Unternehmensstory klar werden.
Dann entscheiden, welchen Aspekt daraus man in der einzelnen Aktion schwerpunktmäßig kommunizieren möchte.
Wichtig ist, dass der Kundennutzen immer im Mittelpunkt steht, selbst dann wenn er nicht ausführlich angesprochen wird und auch und gerade dann, wenn er gar nicht explizit angesprochen wird.
Es geht darum, machtvolle Geschichten in den Köpfen der Gäste entstehen zu lassen, denn wir leben in und lernen aus Geschichten, die uns berühren.
Das kann durch Storytelling, Story Doing und auch durch die bewusste Gestaltung der Kundenerfahrung geschehen.
Wichtiger als die ganz große Wahnsinns PR Aktion ist die Durchdringung aller Bausteine online wie offline.
Wenn es dazu gelingt, durch Verankerung, Aktivierung und Wiederholung Ihre Botschaft zu festigen, haben Sie mit Storytelling im weitesten Sinne den idealen Marketing und PR Motor für alle Branchen. Narrative Geschichten mit Einleitung, Hauptteil und Schluss, mit Heldenreise und dem ganzen Erzähler Handwerkszeug sind nur ein kleiner Teil der Geschichte.
Gastronomen verfügen darüber hinaus über Möglichkeiten, von denen andere nur träumen können.

Antwort
Gerald 1. Februar 2016 - 11:52

Es hat mich ein Jahr Überzeugungsarbeit gekostet um ein restaurant dazu zu bewegen, doch ein klein wenig Storytelling ins Video einzubauen statt des üblichen Imagefilms. Gelang mir nur weil ich mich bereit erklärte zwei Versionen zu schneiden. Die mit Storytelling ist fertig, die ohne kommt in 2-3 Wochen. Dann werden die gegeneinander „laufen“ Ich bin gespannt :) https://www.youtube.com/watch?v=-7L4gHoCcMQ

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