Sie sind beide erst um die 30 und bringen es schon auf sechs Outlets und eine Rösterei: Hong Dao und Duc Nguyen bereichern Berlin, Münster und Oldenburg um moderne asiatische Gastronomie-Konzepte. Und leisten auch einen Beitrag dazu, dass die einst zweigeteilte vietnamesische Community in Deutschland enger zusammenrückt.
Berlin-Mitte, Ende Oktober 2016, der Fernsehturm versteckt sich im Morgennebel. Es ist halb neun. Wir treten ins „Quà Phê“ ein und damit in eine andere Welt. Asien, Vietnam. Viele kleine Deko-Details geben der Location ihren Charme, Lämpchen, Körbchen und freiliegende Stromkabel, die zum Stadtbild der Metropole Ho-Chi-Minh-City ebenso gehören wie das Motiv der großen Fototapete an der Rückwand: Dutzende Motorscooter, die an einer roten Ampel auf grünes Licht warten. Darunter der Schriftzug: „Auf die Plätze, fertig los!“
Die Kaffeemaschine wurde schon angeworfen und beginnt zu fauchen. Wir setzen uns mit der Betreiberin Hong Dao und ihrem Verlobten Duc Nguyen an den langen Holztisch. Vietnamesischer Kaffee, der stilecht durch den Phin-Metallfilter in die Tasse getröpfelt ist, regt den noch etwas müden Kreislauf an. Gut schmeckt er. Die Bohnen stammen aus eigener Röstung: „Han Coffee Roasters“ heißt das 2015 gestartete Kaffee-Business, Duc Nguyen importiert die Ware direkt aus den Bergen von Lam Dong im Süden Vietnams. Streng genommen ist Nguyen im „Quà Phê“ ja nur Kaffeelieferant und jetzt gerade Gast, denn es ist schließlich das Café-Restaurant von Hong Dao. Ihr gehört ebenso das vor einigen Wochen eröffnete Imbisskonzept „Banh Mi Stable“ gleich nebenan, in dem das berühmte vietnamesische Baguette in Szene gesetzt wird.
Duc betreibt in Mitte das Restaurant „Royals & Rice“ und hat soeben in Kreuzberg das vietnamesische Brunch-Konzept „Maison Han“ eröffnet; dort wird auch ein Teil des Kaffees geröstet. Der Rest in der Rösterei in Münster neben dem dortigen „Royals & Rice“. Dort ist er, wenn er gerade nicht in Berlin ist. Oder er schaut in seinem dritten Gastro-Betrieb in Oldenburg vorbei. Er sitze viel im Zug, berichtet er.
Von Mitte nach Münster
Kennen gelernt haben die beiden sich auf einer Hiphop-Party. Duc, der Musik und Medien studierte, begann im Restaurant von Hongs großer Schwester Manh, dem „Good Morning Vietnam“, zu jobben. Beide fanden Gefallen an der Gastronomie und entschieden: Das machen wir jetzt weiter. Am zweiten „Good Morning Vietnam“, das 2009 in Kreuzberg eröffnete, beteiligte sich das Paar erstmals finanziell. „Das Geld, was wir dort verdient haben, verwendeten wir dann für unsere eigenen Läden“, erzählt Duc.
Aus einer ursprünglich geplanten Projektbeteiligung in der Oderberger Straße wurde nichts – dafür aber im von Berlin weit entfernten Münster: Dort wohnt Ducs Freund und heutiger Geschäftspartner Quang und ärgerte sich, in Westfalen immer nur Chinapfanne statt echter Vietnam-Küche zu bekommen. „Er hat mich gefragt: Kannst du dir vorstellen, das mit mir in Münster zu machen?“ Duc konnte, und so entstand der erste eigene Laden eben nicht in Mitte, sondern in Münster. Das war 2011. „Die Leute dort waren und sind sehr offen und dankbar“, berichtet er. Vor allem weibliche Gäste – die machen rund 80 Prozent aus – und Fans vegetarisch-veganer Küche zieht es in das Restaurant in der zentralen Frauenstraße. 2014 folgte dann das „Royals & Rice“ in der Berliner Torstraße und Anfang dieses Jahres Outlet Nummer drei in Oldenburg.
Nord und Süd, Ost und West
Während das „Royals & Rice“ seinen Schwerpunkt auf die süßlich-pikante Küche des Südens von Vietnam legt, finden sich auf der Karte des „Quà Phê“ vornehmlich nordvietnamesische Gerichte wie karamellisierter Schweinebauch mit Ei, Reis und Gemüse, Klebreiskugeln mit herzhaften Füllungen oder Reissuppe mit Hühnerfleisch. Die Nordküche ist milder und salziger als die süßlich-pikante südvietnamesische Küche, die in Berlin deutlich bekannter und häufiger anzutreffen ist.
„Die Speisen kenne ich noch aus meiner Kindheit, sie haben mir in Berlin enorm gefehlt“, erklärt Hong Dao. Aber würde es auch die Gäste ansprechen? „Darüber haben wir viel diskutiert. Ist ein Schweinebauch zugänglich? Aber wenn Hong etwas will, dann bleibt sie dabei. Sie ist sehr konsequent“, sagt Duc lachend. „Duc überlegt und hinterfragt viel länger“, fügt Hong schmunzelnd hinzu. Bei der Pho-Suppe, dem Nationalgericht Nummer eins, tut er das aber längst nicht mehr: Die „Nord-Version“, ohne zimtige Würzung und Hinzugabe von Black-Bean-Sauce, schmeckt ihm viel besser, auch wenn seine Freunde ihn dafür regelmäßig „dissen“: „So clean wie sie ist, ist sie perfekt!“
Die Geschichte der beiden ist eine doppelte Wiedervereinigungs-Geschichte: Hong Daos Wurzeln liegen im Norden Vietnams; ihre Mutter ging 1987 zum Arbeiten in die DDR, sie selbst kam als kleines Mädchen Anfang der 1990er-Jahre nach Berlin. Duc Nguyens Familie stammt aus dem Süden und floh in den frühen 1980er-Jahren, wie so viele Südvietnamesen, als „Boatpeople“ vor den Repressalien der kommunistischen Herrschaft über das Meer und kam nach Deutschland. Duc wurde im Westberliner Bezirk Wilmersdorf geboren und zog später nach Kreuzberg. Rund 20.000 Menschen mit vietnamesischen Wurzeln leben heute in Berlin, und seit die Mauer Ost und West nicht mehr trennt, findet auch die zuvor zweigeteilte Community langsam wieder zueinander. (Wen das Thema interessiert: Hier gibt es ein Radiofeature über die zwei Berliner Vietnam-Communitys.)
Großer Rückhalt: die Familie
In ihren Betrieben beschäftigen Hong Dao und Duc Nguyen rund 70 Personen, darunter auch viele ältere Mitarbeiter aus der Generation ihrer Eltern. Einer Generation, der sie, wie sie betonen, sehr dankbar sind, so viele Entbehrungen und Mühen auf sich genommen zu haben, um ihren Kindern ein besseres Leben zu ermöglichen. Und ohne die Unterstützung der Familie – Hongs Schwester berät mit ihrer gastronomischen Erfahrung, die Mutter passt oft auf die kleine Tochter der beiden auf, Ducs Schwester ist Köchin und managt die Küchen in Münster und Oldenburg – wäre es gar nicht möglich, in Summe sechs Gastronomien und eine Rösterei zu führen, erklärt Hong: „Die Familie steht sehr hinter uns. Das ist für uns der Kernpunkt.“
Trotzdem lastet eine Menge Verantwortung auf den Schultern der beiden. Wie schafft man das alles? „Das werde ich ständig gefragt“, sagt Duc. Sein Rezept: Nicht alles selbst machen. Gute Mitarbeiter beschäftigen, Verantwortung übernehmen und Teilbereiche leiten. „Mit nur einem Laden hätte ich nicht die finanziellen Mittel, um gute Leute zu beschäftigen, die ihre eigenen Teams dirigieren. Bei zwei Läden trägt sich das langsam, und ab drei beginnt es Spaß zu machen“, sagt er und klingt dabei wie ein gestandener Multigastronom. Der er in gewisser Weise ja auch schon ist.
Letzte Frage: Abschalten und vom beruflichen auf den privaten Modus switchen, wie geht das? Duc: „Eigentlich ganz gut. Wir reden privat zwar auch über Gastronomie, aber über andere.“ Und wohin man auswärts essen geht, ist nicht immer einer Frage der Konkurrenzbeobachtung, erklärt Hong: „Das entscheidet meistens unsere Tochter.“
Editierte Version des zuerst in fizzz 12/2016 erschienenen Beitrags.
Betriebe von Hong Dao:
Quà Phê
Max-Beer-Straße 37
10119 Berlin
www.facebook.com/atquaphe
Banh Mi Stable
Alte Schönhauser Straße 50
10119 Berlin
www.facebook.com/banhmistable
Betriebe von Duc Nguyen:
Royals & Rice
Torstraße 164
10115 Berlin
Frauenstraße 51
48143 Münster
Heiligengeistwall 12
26122 Oldenburg
Maison Han
Pannierstraße 40
12047 Berlin
www.maisonhan.de
Han Coffee Roasters
Frauenstraße 51/52
48143 Münster
www.hancoffee.de
nomyblog-Feature hier