Besondere Zeiten erfordern besondere Fähigkeiten – in einem verrückten Jahr wie diesem, das die Gastro-Branche herausfordert wie selten zuvor, sind sie umso mehr gefragt: Es geht um Flexibilität und Agilität, um das sich-auf-Neues-schnell-einstellen-können und mit-Ungewissheiten-umgehen-können.
Nichts ist gewiss in diesen Tagen, außer: dass es so ist. Deal with it: Das klingt vor dem Hintergrund des enormen wirtschaftlichen Drucks nach einer Mammut-Aufgabe.
Wir haben uns an Frank Simmeth gewendet. Der langjährige Motivationstrainer, Coach, Persönlichkeitsentwickler für Gastronom*innen, Autor und gelernte Koch unterstützt gastronomische Betriebe und ihre Akteur*innen. Wie ist sein Blick auf die aktuelle Situation, welche Tipps und Ratschläge kann er geben? Darüber sprachen wir mit ihm.
Frank, du hast im Vorgespräch erzählt, für dich sei die erste Zeit des Corona-Shutdowns auch nicht leicht gewesen, ziemlich dünnhäutig seist du bisweilen gewesen. So ging es vielen Menschen, denke ich. Mir jedenfalls mitunter auch. Was hat dir denn geholfen, um aus dieser Situation wieder heraus zu kommen?
Ich glaube, dass wir noch gar nicht genau wissen, welche Spuren die Krise in der Psyche der Menschen tatsächlich hinterlassen hat. Vermutlich werden wir unter den Mitarbeitern mehr Fälle von etwa Depressionen und Angststörungen haben, als wir auf den ersten Blick vermuten. In einer fundierten Coaching-Ausbildung lernst du ja nicht nur, bei anderen Menschen genau hinzuschauen, sondern vor allem auch, dich selbst zu reflektieren.
Ich bin sehr froh darüber, eine Achtsamkeit dafür bei mir installiert zu haben, Dünnhäutigkeit als Warnhinweis zu erkennen, um auch bei mir selbst genauer hinzuschauen. Ich habe mir deshalb gezielt und gewissenhaft „mentale Erholungszeiten“ eingerichtet mit viel Sport und Natur, damit auch die eigenen Filter wieder gut funktionieren. Am Ende bin ich aber auch froh über diese Erfahrung. Du kannst andere Menschen erst dann wirklich verstehen, wenn du das auf der „eigenen Hardware“ nachvollziehen kannst.
Du sagst: Es geht darum, Mitarbeiter in der jetzigen Situation flexibel und agil zu machen, ihnen zu mentaler Stärke zu verhelfen. Was können Gastronomen und Führungskräfte hier für ihr Team konkret tun?
Deine Frage beinhaltet zwei sehr unterschiedliche Aspekte. Beide müssen aber ab sofort und in Zukunft fest in Wahrnehmung und Verhalten von Führungskräften verankert sein. Sehr gezielt die Führungswerkzeuge Feedback und Anerkennung anzuwenden, ist ja schon ein seit langer Zeit ein gebetsmühlenartiger Appell an die Führungskräfte der Branche. Diese wirken sich nämlich eins zu eins auf die mentale Stärke der Mitarbeiter aus.
Insofern Führungskräfte keine Coaching-Ausbildung haben, haben sie aber sonst wenig Einfluss auf die mentale Stärke der Mitarbeiter. Außerdem beinhaltet der Arbeitsvertrag ja normalerweise auch keinen Therapieauftrag. Eine Wahrnehmung aber darüber, dass ein Mitarbeiter eventuell gerade psychische Probleme haben könnte, gehört zur Sorgfaltspflicht. Hier gibt es ein paar ganz gute Hinweise.
Welche sind das?
Dazu gehört zum Beispiel, wenn sich ein Mitarbeiter in seinem Verhalten in kurzer Zeit stark verändert, sich auffällig zurückzieht, impulsiv wird. Maßlosigkeit, stark unsoziales Verhalten gegenüber Gästen oder Kollegen und so weiter. In solchen Fällen ist ein gutes Mitarbeitergespräch angebracht, um hier die Ursachen zu hinterfragen und Unterstützung anzubieten, und das auch extern.
Mitarbeiter agil – beweglich – und flexibel zu machen, ist ein anderer Aspekt, der für uns alle vermutlich zur Kernaufgabe wird. Gerade Mitarbeiter aus operativen Tätigkeiten wie Küche, Service, Housekeeping oder Frontoffice sind oft leider erschreckend „unbeweglich“ und damit eben nicht agil. Ich glaube, dass wir Führungskräfte da ein Stück weit selbst schuld sind. Jahrelang haben wir Mitarbeiter in Funktionen „reingepresst“, deren wahre Stärken und Talente völlig missachtet und ihnen auch noch gleichzeitig das eigenständige Denken abgewöhnt.
So erzeugt man „Aufgabenerfüller“ statt Problemlöser. Jetzt in der Krise, in der Problemlöser dringend erforderlich und gefragt waren und sind, erweist sich das in vielen Betrieben als echter Hemmschuh! Unsere Zeit fordert von uns allen ab, dass wir die Fähigkeit besitzen, uns von heute auf morgen wieder anzupassen und Prozesse immer wieder zu verändern. Das erfordert eben auch Mitarbeiter, die im Kopf flexibel sind. Außerdem ist in Krisenzeiten die Kraft jedes Mitarbeiters mit all seinen Stärken erforderlich.
Wir müssen also ab sofort damit starten, Mitarbeiter in ihren Routinen zu stören, so dass für sie auf keinen Fall zu bequem wird. Das Beste daran ist aber: Das macht auch noch Spaß! Ein anderes Kernthema ist, dass tägliches Lernen wieder fester Bestandteil im Alltag werden muss. „Ich schick‘ den Mitarbeiter mal auf ein Seminar“ ist also eine Themaverfehlung. Wir brauchen kontinuierliches Lernen und das übrigens genauso interdisziplinär, also themenübergreifend, wie auch die Probleme sind, mit denen wir jeden Tag kämpfen müssen. Hier ist in unserer Branche noch ein ganz schönes Stück Arbeit erforderlich.
Hinzu kommt: Viele Mitarbeitende haben ja nun lange Zeit zu Hause verbracht, sie wurden „geparkt“. Ich stelle es mir da besonders herausfordernd vor, aus dieser Warteposition heraus agil zu werden.
Das ist wohl wahr! Das sagt ja auch das Sprichwort schön aus: Ist das Kind in den Brunnen gefallen … da zeigt sich wieder einmal, dass es in unserer Branche oftmals noch an Basisführungskompetenz scheitert. Mitarbeiter in Kurzarbeit zu parken und dann alleine am Schreibtisch sich das Hirn nach Lösungen zu zermartern, ist ja auch ziemlich das Gegenteil von Agilität. Wir im Team haben gerade beim Lockdown darauf geachtet, unsere Rituale zu pflegen. Wir haben uns regelmäßig online getroffen und Strategien entwickelt oder einfach „offline“ gemeinsam gegessen und gelacht. Das sorgt für Zusammenhalt.
Wer seine Mitarbeiter nur geparkt hat, wird jetzt vermutlich schon eine wichtige Erfahrung gemacht haben: Mitarbeiter kommen nicht hochmotiviert aus der Kurzarbeit zurück. Dazu muss man verstehen, dass Motivation und Vorstellung der Zukunft – Ziele – untrennbar miteinander verbunden sind. Am „Parkplatz“ gab es aber lange Zeit wenig Perspektiven. Wir brauchen uns also nicht wundern, wenn Mitarbeiter völlig energielos zurück in die Betriebe kommen.
Agil zu arbeiten bedeutet, die Energien im Team ganz zu nutzen. Das erfordert aber auch Energie. Wer diesen Führungsfehler begangen hat, ist gut beraten, nun als erstes wieder Zuversicht und Perspektiven zu schaffen und zu verbreiten. Bei starkem Seegang gehört eben der Kapitän aufs Deck, der der ganzen Mannschaft sagt, welche Segel nun gesetzt werden müssen und in welche Richtung es geht.
Bleiben wir im Bild: Es wird stürmischer. Wir steuern auf den Herbst und Winter zu, und während gerade viel über Möglichkeiten zur Verlängerung der Außensaison diskutiert wird, frage ich mich – dich: Wie schaffe ich in so einer komplexen, beispiellosen Situation Vertrauen, Mut und Handlungsfähigkeit. Zum einen fürs Team und zum anderen für den Gast: Wie kann ich diesem ein sicheres und gutes Gefühl geben?
Der Grundsatz agiler Arbeitssysteme lautet: Besser mit einem unperfekten Plan zur richtigen Zeit statt mit einem perfekten Plan zu spät! Gefragt ist also: promptes Handeln, Testen, Nachbessern, Verändern. Nichts gegen den Heizpilz, wenn es kälter wird. Der Heizpilz ist aber nicht die Lösung, sondern maximal Teil einer Lösung. Wir brauchen ja nicht eine neue Inszenierung alter Lösungen, sondern neue Lösungen und Kreativität. Ein tolles Beispiel sind, finde ich, hier die Münchner Wiesenwirte, die die ausgefallene Wiesn als Wirsthauswiesn inszenieren uns dafür sogar ein gemeinsames, betriebsübergreifendes Marketingkonzept entwickeln haben. Wir wissen zwar noch nicht, welchen Erfolg das haben wird. Wir wissen aber, dass hier jemand über den Heizpilz hinaus gedacht hat.
Ich finde, dass du mit deiner Frage die Lösung schon ein wenig vorwegnimmst. Ich sagte ja schon weiter oben, dass wir die Kraft jedes Mitarbeiters für neue Lösungen brauchen. Die Angst vor Fehlern ist aber einer der größten Kreativitäts-Killer. Wir bei uns im Simmeth-Team haben das so gelöst, dass wir monatlich alle gemeinsam mit Champagner auf unsere Fehler anstoßen. Fehler stehen dafür, dass sich unser Unternehmen bewegt und ich finde, dass das ein guter Grund zum Feiern ist.
Es klingt auf jeden Fall gut! Ihr habt ein spezielles Kursprogramm ins Leben gerufen, die Teamflatrate. Ihr behandelt Themen von der gewaltfreien Kommunikation über Storytelling bis zum Beruf im Flow. Wie funktioniert das Programm und für wen ist es gedacht?
Auch wir haben uns natürlich überlegt, wie wir die Branche in dieser schwierigen Zeit am besten unterstützen können und haben uns auf die Fahne geschrieben, dass wir Mitarbeiter und Führungskräfte agiler machen wollen. Unsere Teamflatrate ist praktisch das „Webiflix“ für die Branche, mit dem wir Weiterbildung wieder in den Alltag bringen wollen. Woche für Woche versorgen wir ganze Teams unkonventionell und mit viel Spaß mit Webinaren der etwas anderen Art.
Wir haben dabei darauf geachtet, dass unser Themenmix eben nicht nur den traditionellen Fachanteil enthält, sondern eben etwas schräg und interdisziplinär ist. Unser „Webiflix“ ist für jeden Betrieb in Gastronomie und Hotellerie geeignet und nach Mitarbeiteranzahl gestaffelt, so dass sich auch kleine Betriebe so ein Weiterbildungsprogramm gut leisten können.
Dein zuletzt erschienenes Buch Klartext Service verstehe ich als Beitrag, den Servicegedanken in der Branche zu modernisieren. Ein guter Gastgeber sein – ja, aber nicht altmodisch, sondern zeitgemäß.
Vielen Dank für dein Kompliment! Ich finde allerdings weniger, dass wir den Servicegedanken modernisieren müssen, sondern, dass wir den Servicegedanken neu vermitteln müssen. Gäste zu begeistern und Erlebniswelten zu schaffen und dabei mit kleinen Gesten und Überraschungen mitten ins Herz zu treffen, ist und muss Kerngedanke unserer Branche bleiben. Ich finde, dass es ganz viele Betriebe gibt, die hier bereits den Unterschied machen und das Thema Agilität bis zu jedem Auszubildenden bringen. Da gibt es das bayerische Tagungshotel, das den kompletten Betrieb in der Coronazeit in die Hand der Auszubildenden gelegt hat und die Zeit genutzt hat, um lauter junge Manager auszubilden. Oder der Münchner Gastronom, der gemeinsam mit seinen Auszubildenden alle Lebensmittelproduzenten der Umgebung besucht, damit die Auszubildenden mehr Bezug zum Produkt entwickeln können. So etwas macht eben auch Lust auf Ausbildung und unsere Branche.
Es sieht ja nicht gut aus in Sachen Nachwuchs in der Branche. In Berlin beispielsweise sind die Anmeldungen am OSZ Gastgewerbe für das Jahr 2020/21 massiv eingebrochen: 150 Anmeldungen, 2019 waren es 1.400. Was kann ein Betrieb tun, um dem entgegen zu wirken?
Sie haben gerade hier die Chance, einen Unterschied zu machen und neu zu denken, wo das von Kommissionen bestimmte Berufsbild Schwächen aufzeigt. Ich hätte heute auch keine Lust, eine Ausbildung zu machen, in der meine Kompetenz dann danach gemessen wird, ob ich den Oberbruch vom Unterbruch einer Tischdecke unterscheiden kann.
Frank, vielen Dank für das Gespräch!
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