Immer Jung geblieben – Nachruf auf einen Freund

von Jan-Peter Wulf

           

„Das ist doch alles Räuberscheiße.“

Wer Rolf-Dieter „Otto“ Jung erleben durfte, wenn er so richtig in Fahrt war, wird diesen Satz – oder einen ähnlich kraftvollen – vermutlich einmal gehört haben oder öfter. Ja, er konnte sehr direkt sein. Und es war ihm dann völlig egal, ob bei dem Meeting, wo es aus ihm herausplatzte, auch die Führungsriege dabei war, nur deswegen hätte er sich mit der Direktheit nicht zurückgehalten. Im Gegenteil: Er war bewusst offen, im besten Sinne. Otto Jung war einer, der in seiner langen beruflichen Laufbahn einfach schon zu viel dieser „Räuberscheiße“ gesehen hatte und eines im Dienste seiner Kunden immer tunlichst zu vermeiden ersuchte: diese konzeptuell, im Angebot, in den Operations oder sonstwo etwas falsch machen zu lassen, das andere schon falsch gemacht hatten. „Jeder Fehler ist schon gemacht worden“, hat er mal sehr treffend gesagt. Überhaupt: Sätze, die den gastronomischen Alltagswahnsinn auf den Punkt brachten, produzierte er am laufenden Band. Wie in einem Interview, das die Rheinische Post in diesem Frühjahr mit ihm führte, gemeinsam ging man eine Speisekarte durch: 

„Gastronomen sind ein lockeres Völkchen. Die Betreiber kochen offensichtlich nicht richtig. Das sind mehrheitlich kurzgebratene Dinge, die mit einer Garnitur versehen werden. Verstehen Sie mich nicht falsch: Man kann diese Gerichte alle hochwertig kochen. Aber bei den Preisen glaube ich das nicht. Wenn ich da schon sehe, Schnitzel „Wiener Art“. Da denkt der Verbraucher an Wiener Schnitzel, das wird aber mit Kalb gemacht. „Wiener Art“ aber bedeutet, dass Schweineschnitzel verwendet werden. Ich nenne das Spanplatte, weil es aus der Tiefkühltruhe kommt. Manche Köche nennt man besser Zubereitungstechniker.“

Otto war ein Vollblutberater mit der Erfahrung, die es für diesen Beruf braucht. Zumal in einer Branche, in der das, was man so euphemistisch als „Fluktuation“ bezeichnet, Jahr für Jahr so viele Existenzen ruiniert, oft für immer. Er hat als Gastronom selbst alle Höhen und Tiefen miterlebt, große Erfolge gefeiert und ist so richtig auf der Nase gelandet. Er wurde in die Gastronomie quasi hineingeboren, wuchs im Zimmer 8 des elterlichen Hotels in Essen-Kettwig auf, half schon in Kindertagen mit, kellnerte als Teenager. In Mülheim eröffnete er die Szenekneipe Rathsstuben (der junge Helge Schneider spielte hier live), drei Espressobars, Rex 1-3, betrieb das Sternerestaurant Fuente in Mülheim an der Ruhr, prägte die regionale Szenegastronomie der 1990er Jahre mit Konzepten wie Sala Dolores, dem Leon de Belge oder dem de Prins maßgeblich, letzteres ein bis heute aus Essen nicht wegzudenkender, wundervoller gastronomischer Ort. Später baute er ein Kino nach dem anderen, wirkte an vielen großen Projektentwicklungen mit, reorganisierte Klostergastronomien und ließ doch nie die ihm so am Herzen liegende Individualgastronomie hinter sich. Das Maria Eetcafé in Köln, zuvor glücklose Salsa-Party-Location, heute dank Ottos „Umbau“ und dem gemeinsamen Kraftakt mit den Betreibern ein erfolgreiches und beliebtes Bar-Restaurant, zählt zu einem seiner letzten Projekte dieser Art.

Was war es immer eine Freude für mich, sich mit Otto zusammen Gastronomien anzuschauen. Man konnte dabei so viel lernen! Mitunter auch, dass es gut ist, einfach mal die Klappe zu halten. Plapperte ich bei seinen vielen Berlinbesuchen in einem neuen Laden gleich drauflos, was an diesem denn so besonders sei, ließ er den Ort ganz besonnen auf sich wirken. Trank seinen Kaffee, bestellte sich ein zweites Stück Kuchen. Fasste mich dann am Handgelenk und wies mich mit dem Zeigefinger seiner freien Hand darauf hin, was gut gemacht sei und was nicht. Er prognostizierte, ob es ein dauerhafter Erfolg werden könne oder „die Bude in einem halben Jahr wieder dicht“ ist. 

Einmal präsentierte ich ihm eine, wie ich fand, unglaublich gut gestylte, hippe Frozen-Yogurt-Bar (eine, in der man sitzen kann). Er guckte sich um, guckte mich stirnrunzelnd an und fragte mich, ob mir denn nicht auffalle, was hier störe. „Was soll denn stören?“ „Der Gast, Jan.“ Oh ja. Das war die wohl wichtigste Lektion, die ich von ihm gelernt habe: Denke an den Gast. Stell Dir den Laden voll vor. Wie wirkt er dann? Wie fühlen sich die Menschen darin? Menschen sind unterschiedlich, klein und groß, dick und dünn, bunt. Ist es ein space, der nur im Designbildband und leer gut aussieht, oder ist es ein place, ein sozialer Ort für die Menschen? Viel zu viele Gastronomien haben alles Mögliche im Sinn, nur den Menschen in ihnen nicht. Viele von ihnen sind deswegen schnell wieder weg. Auch den besagten Frozen-Yogurt-Laden gibt es längst nicht mehr.

Otto hat Gastronomie für Menschen geplant, entwickelt, gebaut, eröffnet, begleitet, umgekrempelt, zu neuem Schwung gebracht. Er hat, wie es der Name seines Unternehmens in sich trägt, Gast-Konzepte geschaffen. Und er war immer gerne selbst Gast. Er hatte eine unglaubliche Neugier und Spaß daran, zu gucken, zu essen, zu trinken und mit den Menschen zu sprechen, die diese Orte betreiben. Ganz ohne Beraterbrille. Alles schon gesehen, ist doch nichts Neues, kenne ich schon von A, B und C sowieso? Nicht bei Otto.

Über ein Konzept mit ihm zu sprechen und es zu beurteilen, das tat man besser nur, wenn man schon öfter dagewesen war, am besten gemeinsam. Das ging mitunter gut ins Geld, wenn die Abende lang wurden. Lehrgeld im wortwörtlichen Sinne. Doch ohne Ottos kluge Ratschläge, seine mahnenden Worte, die regelmäßigen Anrufe und wechselseitigen Besuche, ohne die Zeit, die er und seine liebe Familie sich für mich nahmen, als es nicht gut lief (und er mich mit Geschichten aus eigenen Tiefzeiten aufmunterte), ohne die vielen guten Ideen, ohne seinen Humor und seine Empathie hätte ich viel mehr davon zahlen müssen. „Alles wird gut“, pflegte er am Ende eines Gesprächs immer zu sagen. 

Ein guter Freund und Mentor ist gegangen.
Ich hätte ihm noch viele Fragen zu stellen.
Er wird mir sehr fehlen. 

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