Wie viel Gutes kann man mit Kaffee tun? Sehr viel, beweist das ungewöhnliche Geschäftsmodell von „nuruCoffee“: Die Bio-Bohnen beziehen Sali und Sara Nuru direkt von Kleinbauern-Kooperativen in Äthiopien, und die Hälfte des Gewinns unterstützt Frauen in Äthiopien beim Start in die Selbständigkeit.
Wohl nur wenige Menschen kommen ausgerechnet beim Eisessen zur Erkenntnis, dass es so nicht weitergeht. Bei Sara Nuru war es genau so, man kann es sich im Internet anschauen. Im Sommer 2011 besucht damals Anfang Zwanzigjährige, die nach ihrem Sieg bei „Germany’s Next Topmodel“ im Jahr 2009 zum gefragten Promi geworden ist, für eine ProSieben-Show das New Yorker In-Eiscafé „Serendipity“. Sie probiert dort einen Eisbecher, der es in sich hat: Blattgold satt, in Passionsfrucht und Weinbrand getränkter Dessert-Kaviar, in Gold umhüllte Mandeln, als Topping – noch mehr Gold. Dazwischen etwas Vanilleeis. Ein dekadentes Ensemble für schlappe 1.000 US-Dollar.
„Darauf hat die Welt gewartet“, sagt Nuru in die Kamera, es klingt nicht ironisch, sondern sarkastisch. Man sieht ihr an, dass sie sich in dieser Situation nicht wohl fühlt. Es sei ein Schlüsselmoment für sie gewesen, erklärt sie später in einem Interview: Auf der einen Seite als Botschafterin der Hilfsorganisation „Menschen für Menschen“ auf die Armut in Afrika aufmerksam machen und auf der anderen fürs Privatfernsehen nach Amerika jetten, um einen Tausend-Dollar-Eisbecher zu essen – es geht nicht mehr zusammen.
Social Business auf Kaffee-Basis
Gemeinsam mit ihrer älteren Schwester Sali tüftelt Sara fortan an einer Idee herum: Wie lässt sich Sinn stiften, wie lässt sich weniger privilegierten Menschen helfen, aber ohne auf Spendengelder angewiesen zu sein, sondern durch Wirtschaften Erlöse zu erzielen, mit denen man gute Projekte finanzieren kann?
Dass die beiden schließlich auf das Thema Kaffee kommen, liegt scheinbar nahe, denn ihre Mutter Mulu stammt aus Äthiopien, bekanntlich dem Ursprungsland des Kaffees. Als sie Mitte der 1980er-Jahre vor Hungersnot und Bürgerkrieg floh und nach Grünbach bei Erding ins tiefste Bayern kam, brachte sie Tassen, Tonkrüge und sogar grüne Kaffeebohnen mit, die in Äthiopien frisch zur mehrmals am Tag begangenen Kaffeezeremonie geröstet werden. Die Kaffee-Tradition war den Nuru-Schwestern bekannt, doch das Kaffee-Business hingegen war ein völlig unbeschriebenes Blatt für sie.
2014 besuchten sie den „Kaffee Campus“ der Deutschen Röstergilde e.V. in Berlin und kamen mit einem Hamburger Händler ins Gespräch, der Kaffee aus Äthiopien importierte und sie zum Cupping in die Hansestadt einlud. Als sie dort von ihrem Vorhaben, selbst ins Business einzusteigen, berichteten, ernteten sie allerdings nur Schmunzeln, schreibt Sara Nur in ihrem Buch Roots. Doch schon kurz darauf reisten die Schwestern auf eigene Faust nach Äthiopien und besuchten Anbaugebiete, bei einem zweiten Besuch auch die Kaffeebörse in Addis Abeba.
2016 schließlich kam der Kontakt zur Sidamo Coffee Farmers Union zustande, einem Zusammenschluss von 80.000 Kaffee-Kleinbauern. Vor Ort kaufte man die ersten 240 Kilogramm Kaffee ein, die per Esel, LKW und Schiff ab Dschibuti nach Hamburg verschifft und dann per Spedition nach Berlin kamen, wo man mit einem Kreuzberger Lohnröster die ersten Röstungen durchführte. Im gleichen Jahr gründeten sie eigenfinanziert das Unternehmen nuruCoffee, die Webseite ging im Januar 2017 live. Bis heute wird der Kaffee größtenteils über den Onlineshop verkauft. Dies auch, weil das Storytelling eine zentrale Rolle spielt und sich auf der eigenen Seite am besten erzählen und erklären lässt, woher der Kaffee kommt und wer die Menschen sind, die ihn herstellen.
Es wird gezahlt, was aufgerufen wird
Die zurzeit zwei Single-Origins – ein Kaffee und ein Espresso, beide aus 100% Arabica-Bohnen in Bioqualität – beziehen sie aus Zusammenschlüssen von Kaffee-Kleinbauern, wie der Kooperative „Ferro“ aus Sidamo im Süden Äthiopiens. Die Kaffeekirschen wachsen in Mischkulturen zwischen Avocado- und Apfelbäumen, sie werden ohne Maschinen geerntet, sonnengetrocknet und handverlesen, anschließend schonend trommelgeröstet. Viel manuelle, harte Arbeit, für die „nuruCoffee“ eigenem Bekunden nach den Preis bezahlt, der von den Kooperativen aufgerufen wird.
Wenn die Schwestern in der Regel einmal im Jahr nach Äthiopien reisen, dann tun sie es weniger, um Verhandlungen zu führen als vielmehr, um Vereinbarungen mit den Kooperativen zu treffen und auch neue Kaffees zu sourcen. Bei den Terminen vor Ort fiel den Gründerinnen eines schnell auf: Es sind zwar viele Frauen an der Herstellung des Kaffees beteiligt, sie sind aber nie anwesend, wenn es um das Geschäftliche geht. Zudem stellt Kaffee für Äthiopien zwar nach wie vor das Haupt-Exportgut dar, doch es gibt viele Regionen, in denen er gar nicht wächst. Was ist mit den Frauen, die gar keinen Zugang zum Kaffeegeschäft haben?
Startfinanzierung für Gründerinnen in Äthiopien
An dieser Stelle setzt der zweite Teil des Social-Business der Nuru-Schwestern an, denn neben „nuruCoffee“ gibt es seit 2018 auch nuruWomen e.V. 50 Prozent der Gewinne, die man mit dem Kaffeeverkauf erzielt, mindestens aber ein Euro pro verkauftem Kilogramm fließen in die selbst gestartete Initiative, die Frauen in Äthiopien unterstützt. Diese erhalten im Schnitt 300 Euro als Anschub zur Gründung ihres eigenen kleinen Business – zum Beispiel dem Betreiben eines Kornspeichers oder eines Billard-Cafés.
Auch Trainings und Schulungen für die Frauen werden auf diese Weise finanziert – unter anderem dreimonatige Töpferkurse, bei denen die Teilnehmerinnen lernen, wie sie gleichmäßigere Formen herstellen und bessere Brennverfahren anwenden können, um die Qualität ihrer Töpferware steigern und höhere Erlöse erzielen können. Weiterbildungstrainings für das effektivere Schneidern von Kleidungsstücken sind ebenso Teil des Programms, das den Frauen zu einem selbstbestimmten Leben verhilft und sie manchmal gar aus der Abhängigkeit von einem gewalttätigen Mann befreit. Bis zum heutigen Tag konnten auf diese Weise schon über 300 Gründerinnen unterstützt werden.
Nächstes Ziel: Abschaffung der Kaffeesteuer für Fairtrade-Produkte
Zusammen mit der Entwicklungsorganisation „One“ haben Sara, die von ihrer neuen Wahlheimat Zürich aus vor allem für Kommunikation und Strategie tätig ist, während ihre Schwester in Berlin das Tagesgeschäft managt, im Herbst 2020 eine Kampagne gestartet: Fairness darf kein Luxus sein. Ziel ist nicht weniger als die Abschaffung der Kaffeesteuer, die zurzeit 2,19 Euro für ein Kilogramm Röstkaffee beträgt, für nachweislich fair gehandelten Kaffee wie jenen von „nuruCoffee“. Die Petition richtete man seinerzeit direkt an den damaligen Finanzminister Olaf Scholz.
Fiele diese Besteuerung weg, so die Argumentation, könne man den Erzeugern noch mehr für ihre Ware bezahlen und/oder den Verkaufspreis senken, um fairen, nachhaltig produzierten Kaffee preislich attraktiver zu positionieren, sodass sich noch mehr Konsumenten dafür entscheiden. Denn hier ist noch viel Luft nach oben: Aktuell werden pro Jahr und Kopf nur acht Liter Fairtrade-Kaffee in Deutschland getrunken – insgesamt liegt der Kaffeeverbrauch jedoch bei rund 166 Litern, also nur ungefähr eine von 20 Tassen wurde fair erzeugt und gehandelt. Ob „One“ und „nuruCoffee“ ihrer Forderung nun, da es eine neue Regierung gibt – deren Bundeskanzler der damalige Finanzminister ist –, bleibt abzuwarten.
Alternative im Kaffeemarkt
Fest steht jedoch schon jetzt: Aus der Idee eines „besseren Business“, der Wertschöpfung für gute Zwecke anhand des Produkts Kaffee, ist eine etablierte, wenngleich noch kleine Alternative im großen Kaffeemarkt geworden. Das zurzeit sechsköpfige Team von „nuruCoffee“ arbeitet weiter am organischen Wachstum und auch an neuen Sorten bzw. Blends.
Einen Verkauf im Supermarkt peilt man auch weiterhin nicht an – die besondere Geschichte hinter der Geschichte kann eine von vielen Packungen im Regal kaum erzählen. Wohl aber gibt es für die Gastronomie die Möglichkeit, die Kaffees von nuruCoffee zu beziehen – und mit etwas vermitteltem Hintergrundwissen bei der Zubereitung oder beim Servieren schmeckt eine Tasse mit den Bohnen von „nuruCoffee“ dann vielleicht nicht nur angenehm schokoladig-fruchtig mit etwas begleitender Säure, sondern gibt den Genießenden auch das berechtigte Gefühl, nicht nur sich, sondern vielen weiteren Menschen etwas Gutes zu tun.
Mehr Informationen:
www.nurucoffee.com
www.nuruwomen.org
Dieser Beitrag erschien zuerst in Barista 1/2022.