Good bye brit food: Nach rund fünf Jahren hat Anfang 2016 das englische Restaurant „East London“ in Berlin seine Pforten geschlossen. Eine Gastronomie, die unter Beweis stellen konnte, dass Essen aus UK mehr ist als ölige Fish & Chips, von frischen Scones mit „Clotted cream“ bis zum „Sunday Roast“.
Ging das Konzept am Ende doch nicht auf? Warum gingen am Mehringdamm die Lichter aus? Wer könnte uns das alles besser beantworten als die ehemalige Betreiberin selbst: Nadine Sauerzapfe. Wir haben sie getroffen.
Nadine, warum hast du das „East London“ geschlossen?
Aus einer persönlichen Entscheidung heraus. Die mir natürlich nicht leicht gefallen ist. Es hängt ja viel dran, man hat da viel Herzblut reingesteckt.
Wann hast du dich dazu entschieden?
Die Überlegung entstand vor rund einem Jahr. Ich bin lange in mich gegangen und habe mich gefragt, wie es danach weitergehen würde, ob ich es überhaupt loslassen kann. Irgendwann habe ich einen Makler kontaktiert und entschieden: Jetzt passiert das wirklich. Am 7. Februar hatten wir den letzten Tag.
Wie hast du es deinem Team gesagt?
Ich habe mit jedem meiner sieben Mitarbeiter einzeln gesprochen. Das war mir sehr wichtig, denn der Umgang miteinander war immer ziemlich familiär. Was sehr zeitaufwendig war, aber ich wollte auf keinen Fall einfach alle zusammenholen und mitteilen: Das war‘s jetzt und fertig. Es war auch gut so, weil jeder anders reagiert hat: Manche haben gesagt – okay, alles klar, so ist es. Andere wollten genauer wissen warum, dann habe ich mir auch die Zeit genommen, meine Beweggründe zu schildern. Das war mitunter sehr tränenreich, für mich ebenso wie für einige meiner Mitarbeiter.
Und wie haben die Stammkunden reagiert?
Tatsächlich waren einige sehr traurig, dass es vorbei ist. Das hat man sowohl in persönlichen Gesprächen als auch über Facebook an mich herangetragen. Es war aber auch eine Bestätigung, in einer Form, die man im laufenden Betrieb sonst nicht so bekommt. Das hat mich schon überwältigt.
Als ich gemerkt habe, dass ich das, was ich liebe, nicht mehr zu 100 Prozent machen kann und möchte, war für mich klar: Es muss Schluss sein.
Was sagen die Kollegen?
Was hinter meinem Rücken gesagt wird, weiß ich natürlich nicht (lacht). Will ich auch gar nicht wissen, das ist mir egal. Kollegen, mit denen ich befreundet bin, sagten erst: Schade! Und dann: Was machste jetzt, möchtest du vielleicht bei mir mitarbeiten? Grundsätzlich war es sehr positiv.
Gibt es im Nachhinein Dinge, bei denen du sagst: Wäre das anders gelaufen, dann gäbe es „East London“ immer noch?
Also, Fehler macht man ganz, ganz viele. Damit beschäftige ich mich sehr, man sollte sie sich unbedingt anschauen und draus lernen.
Magst du einen nennen?
Dass ich mich zu sehr persönlich involviert gesehen habe. Es wäre an der einen oder anderen Stelle anders gelaufen – ob nun besser oder schlechter, weiß ich jetzt nicht –, wenn ich mehr aus der „Mutti für alles“-Position heraus gegangen wäre.
Von außen betrachtet hat man auch keinen Grund für eine Schließung erkennen können. Da denkt man: Nach fünf Jahren läuft ein Betrieb, da ist der übern Berg.
Ich habe auch nicht aus finanziellen Gründen geschlossen, sondern aufgrund einer Aneinanderreihung persönlicher Gründe. Als ich gemerkt habe, dass ich das, was ich liebe, nicht mehr zu 100 Prozent machen kann und möchte, war für mich klar: Es muss Schluss sein.
Du hättest dich ja auch operativ rausziehen und einen Betriebsleiter einsetzen können. So beginnen ja viele Expansionen.
Mit dem Gedanken habe ich auch gespielt. Aber ich persönlich konnte mich operativ eben nicht so rausziehen. Und tatsächlich überwiegt auch die Neugier auf was Neues.
Es klingt mutig, im Sinne des Aufgebens von Sicherheiten, denn „East London“ hat für dich ja, vermute ich, ein Einkommen erzielt.
Ja, hat es. Aber Geld hat für mich nie eine Motivation zum Arbeiten dargestellt. Und durch den Verkauf des Ladens ist ein bisschen Geld übergeblieben, sodass ich jetzt erstmal entspannen und mich neu orientieren kann.
Hast du das „East London“ komplett verkauft?
Nur das Interieur. Das Konzept behalte ich. Ich will mir die Möglichkeit offen halten, es in der selben oder einer anderen Form wieder aufzugreifen.
Also besteht die Chance auf ein neues „East London“?
Tja, man weiß es nicht (lacht).
Was muss man tun, wenn man einen Laden schließt?
Fast alles, was man auch bei der Eröffnung gemacht hat – nur rückwärts (lacht). Es hat wie bei der Eröffnung eine zeitliche Abfolge: Alle Verträge von Müllabfuhr bis GEMA und GEZ kündigen, Lieferanten informieren. Den Verkaufspreis mit dem Käufer verhandeln, einen Vertrag schließen. Der Mietvertrag wurde vom Käufer übernommen, was einigen verwaltungstechnischen Aufwand mit dem Vermieter bedeutet hat: Konzept vorlegen, Schufa vorweisen und so weiter. Die beiden Parteien mussten alles untereinander klären, Änderungen im Mietvertrag abstimmen werden, ich musste abzeichnen, dass ich wirklich rausgehe … das nimmt alles Zeit in Anspruch.
Über welchen Zeitraum sprechen wir? Ein halbes Jahr?
Fast. Die Besprechungen mit der Hausverwaltungen dauerten am längsten. Ansonsten ist es viel Papierkrieg: Unterlagen durchgehen, Kündigungsfristen checken – meist sind sie nur einen Monat, manchmal aber auch drei oder sechs. Bei der GEMA zum Beispiel zahlt man jährlich – das habe ich dann intern mit dem Nachmieter verrechnet. Die Kündigungsfristen der Mitarbeiter richten sich nach der Länge der Zeit, die sie im Betrieb angestellt waren.
Ich habe nach fünf Jahren „East London“ eher mehr als weniger Lust auf Gastronomie.
Es kommt also neben dem zeitlichen Aufwand auch einiges an Kosten auf den Gastronomen zu.
Definitiv. Du musst dein Gewerbe abmelden, dich aus dem Handelsregister austragen lassen – ich komme gerade vom Notar – und dich mit dem Steuerberater absprechen, weil die Buchhaltung weiter läuft. Es kommen auch später noch Rechnungen rein. Du musst einen Jahresabschluss und eine Umsatzsteuer-Jahreserklärung machen … Kosten, die man in den Verkaufspreis hinein kalkulieren sollte.
Weil du verkauft hast, siehst du dich mit „East London“ nicht als gescheitert an, oder?
Überhaupt nicht. Es ist für mich eine Erfolgsgeschichte, als Unternehmerin und studierte Betriebswirtin ist es toll, einen solchen Unternehmens-Zyklus mal mitgemacht zu haben – von der Idee über die Firmengründung mit Verkauf und Schließung aus eigener Entscheidung heraus. Das passiert in dieser Form vermutlich eher selten.
Wirst du weiterhin Gastronomin sein?
Ja. Ich habe nach 5 Jahren „East London“ eher mehr als weniger Lust auf Gastronomie. Ich will die Erfahrung, die ich gesammelt habe, in anderer Form einsetzen können. Das ging bisher nicht, wenn man sieben Tage in der Woche immer da sein muss. Es war wahnsinnig anstrengend, du hast utopische Arbeitszeiten.
Was kommt jetzt für dich?
Es sind gerade einige Dinge im Gespräch, auf die ich Lust habe.
Ist „Ostmost“ ist eines davon?
Ja, ich kümmere mich weiterhin um das Thema Events für Ostmost.
Zum Schluss: Hast du einen Tipp für Gastronomen, die vielleicht auch an diesem Punkt stehen wie du vor einem Jahr, nach dem Motto „Es funktioniert, aber ich funktioniere irgendwie auch nur noch“?
Man sollte viel öfter auf seinen Bauch hören. Wenn es keinen Spaß mehr macht oder es irgendwie nicht mehr stimmt, dann sollte man sich entweder Hilfe holen von außen – ich weiß, das fällt vielen Kollegen sehr schwer, aber das macht man viel zu selten, weil man zu stolz ist und sich nicht in die Karten schauen lassen will – oder den Mut haben, etwas zu verändern. Das gilt nicht nur für die Gastronomie und Unternehmer, sondern für jeden Beruf. Freunde haben mir gesagt: Deinen Mut hätte ich auch gerne mal.
Also Mut haben.
Einfach mal machen. Wir sind hier in Deutschland doch in einer komfortablen und abgesicherten Position. Was ist denn das Schlimmste, das uns passieren kann?
Vielen Dank, Nadine.