Die drei Regionen Emilia Romagna, Veneto und Lombardei haben sich zusammengeschlossen und laden ein ins „Italian Unesco District“ abseits touristischer Standard-Ziele. Wir sind der Einladung gefolgt: nomy auf kulinarischer und gastronomischer Entdeckungstour in Norditalien. Teil eins: Von Ferrara ins Veneto.
Der erste Tag führt uns in die Renaissance-Stadt Ferrara. Und zwar gleich an den Tisch: Im L´Archetto probieren wir die traditionellen Cappellacci di Zucca, gefüllt mit Kürbis, Parmesan und Muskat. Jedes umliegende Dorf, so erfahren wir, hat seine eigene Form der Zubereitung dieser fruchtigen Pasta-Variante, die eine Spezialität der Region ist. Dazu wird uns das La Coppia gereicht. Ein Brot, das aussieht, als habe man zwei Croissants auseinander gezogen und anschließend mittig verbunden, Geschmack und Textur hingegen erinnern hingegen an Grissini.
Erfunden wurde das La Coppia zur Renaissance-Zeit, der Blütezeit Ferraras in kultureller wie in kulinarischer Hinsicht: Während des Rundgangs durch das wuchtige Castello Estense di Ferrara erfahren wir, dass der Ruf der Kochkunst und der Banketts des Este-Clans, der zur Renassicance-Zeit in Ferrara und in den umliegenden Delizie-Landsitzen ansässig war, bis an den französischen Hof schallte. Allein die Tortenmesser, Pastamesser, Austernmesser, Bankettblätter und Zutatenlisten, die im Museum der einzigen innerstädtischen Wasserburg Europas zu sehen sind, zeugen von großer kulinarischer Kultur, so manches würde in heutigen Top-Restaurationen seinen Platz finden. Regelmäßig werden die ausgiebigen Banketts der Este nachgefeiert. Schöner kann man Traditionen kaum aufleben lassen.
Wie zu Hause
Wir machen eine kleine Radtour durch die Stadt. Nicht ungewöhnlich: In Ferrara sind viele Menschen mit dem Velo, nicht mit der Vespa unterwegs, das Fahrrad- und Jogger-Aufkommen auf der Allee (vormals der Stadtwall) erinnert eher an Münster als an das, was man von italienischem Innenstadtverkehr so kennt.
Bewegung tut gut, Hunger tut Not, denn der Besuch der Cusina e Butega steht an: Modern und hell eingerichtet, mit langen Gemeinschaftstischen, halboffener Küche und angeschlossenem Shop, wird sie von vorwiegend jüngerem Publikum an diesem Abend stark frequentiert. Wir genießen in vollen Zügen, die abschließende Zuppa Inglese passt nur noch rein, weil sie unwiderstehlich ist. Es ist laut, lebhaft und lustig in der Location.
Klein, ruhig und sehr persönlich hingegen ist unsere Unterkunft: Das Le Stanze di Torcicoda mitten im alten Zentrum Ferraras hat ganze vier Zimmer. Jedes ist ganz individuell eingerichtet. Der Gast darf sich wie in einem Gästezimmer eines Privathauses fühlen. In der Tat ist es einst ein Wohnhaus gewesen, sein Besitzer Pietro Zanni hat alles nach seinem eigenen Geschmack eingerichtet: „Unsere Gäste kommen immer wieder zu uns, weil sie diesen persönlichen Stil sehr mögen“, erklärt er.
Das glauben wir sofort: Jeder in der Reisegruppe hat sofort sein Zimmer auserkoren, macht es sich wie daheim gemütlich. Morgens zum Frühstück findet man sich nicht im Frühstückraum (welch hässliches Wort, fällt mir auf), sondern im kleinen Wohnzimmer des Hauses ein. Als Pietro das Haus erwarb, war er „Mitbewohner“ seiner Hotelgäste, und am liebsten würde er hier auch wieder einziehen, erzählt er lächelnd.
Auf dem Markt von Comacchio
Wir müssen ausziehen – auf geht es nach Comacchio, die „Stadt des Aals“ am Ende des riesigen Podeltas. Der schlangenförmige Fisch hat einst die ganze Region versorgt. Einen authentischen Eindruck des kargen Lebens, das die Menschen hier einst führten, gibt Mario Soldatis Film „La Donna del Fiume“ (1954), der Sophia Loren zu internationalem Durchbruch mitverhalf. Nach dem Besuch des Drehorts – die einstige Fischfabrik ist heute Museum, der Aalfang ist inzwischen auf ein Zehntel geschrumpft – besuchen wir den Markt des malerischen, mit seinen Kanälen an Vendig erinnernden Ortes. Die Stände haben so einiges an Köstlichkeiten zu bieten. Lassen wir an dieser Stelle die Bilder sprechen:
Rückzugsort vom Trubel Venedigs
Unsere Unterkunft an diesem Abend ist romantisch: Das malerische Landgut Ca´zen diente seinen Vorbesitzern als Rückzugsort aus dem trubeligen, 60 Kilometer entfernten Venedig. Der einstige Besitzer, Marchese Alessandro Guiccoioli schickte seine Frau Teresa gar auf seinen Landsitz, damit sie zur Ruhe komme, nachdem sie sich mit dem Dichter und enfant terrible des Londons des 18. Jahrhunderts, Lord Byron, auf eine heiße Affäre eingelassen und den Gatten zum Gespräch der Stadt gemacht hatte… der längst zerrütteten Ehe half es wenig, uns hingegen tut die Ruhe, die Weite des Podeltas im südlichen Veneto sehr gut, ein Bootstrip sorgt für frischen Wind und frische Gedanken.
Die Landschaft zieht den Flußlauf entlang an uns vorbei, eine Mischung aus Everglades, Spreewald und norddeutscher Tiefebene, die der Po der Adria nach und nach abgerungen hat. Dass diese sich nicht kampflos ergeben hat, davon zeugen verlassene Häuser, die hier mitten im Wasser stehen. Eine bizarre Welt. Große dunkle Komorane lauern auf kahlen Bäumen nach fischiger Beute, ebenso eremitenhaft wirkende und für langes Verweilen mit Zelten und Outdoor-Mobiliar ausgestattete Angler, die sich hier wenig um das Fangverbot scheren.
Fisch ist auch unser Thema am Abend dieses entspannenden Tages. Der Besuch der Osteria Arcadia wird sicher llen Mitreisenden lange in Erinnerung bleiben: Thunfisch-Carpaccio, Cannochie, dünn geschnittener Tintenfisch, marinierte Sardellen, diverse Muscheln, traditionelles Fisch-Risotto, Aal, Scholle und diverse weitere Fänge werden sukzessive aufgetischt, bis der Tisch sich biegt. Ein Feuerwerk für den Gaumen, serviert von „la familia“ in Reinform: Betrieben wird die kleine Osteria im winzigen, unauffälligen Dörfchen Santa Giulia de Porto Tolle von Pamela Veronese, ihre Mutter steht mit in der Küche, ihr Bruder fängt die Fische höchstselbst. Eigentlich wollten Mutter und Tochter nur für Freunde und Familie kochen, bis sie förmlich dazu gedrängt wurden, eine Osteria zu eröffnen. Welch Glück für uns: Der ungeplante Besuch (die ursprüngliche Reservierung war geplatzt) stellt sich als das Highlight unserer den Gaumen verwöhnenden und Hüftgold fördernden Gastro-Reise heraus.
Diesem Abend ist nichts mehr hinzuzufügen, auf dem Rückweg schweigen wir und hören selig den italienischen Schnulzen zu, die unser Fahrer als Bordprogramm gewählt hat. Manchmal ist einfach alles gut.
Nächste Woche in *nomy: Weiterschlemmen in Mantua und Bologna
Quadrilatero Unesco: Das italienische Unesco-Distrikt stellt sich vor
Weitere Surftipps:
Ferrara
Tourismusverband Emilia Romagna
Tourismusverband Veneto
Naturpark Podelta
Kostenloser Bus (mit Flugticket) vom Flughafen Bologna nach Ferrara
Wine & Food Festival Emilia Romagna