Die drei Regionen Emilia Romagna, Veneto und Lombardei haben sich zusammengeschlossen und laden ein ins „Italian Unesco District“ abseits touristischer Standard-Ziele. Wir sind der Einladung gefolgt: nomy auf kulinarischer und gastronomischer Entdeckungstour in Norditalien. Teil zwei: Mantua und Bologna.
Nach unserem Start in Ferrara und der Weiterreise ins Veneto ist unser Ziel an Tag drei Mantua. Das malerische, von viel Wasser umgebene Städtchen ganz im Südosten der Lombardei liegt ein wenig abseits der Massenziele – doch die Reise, auch aus der anderen Richtung kommend, hinunter vom nur 40 Kilometer entfernten Gardasee, sie lohnt. Für Bewegungsfreudige bietet sich ein Radweg an, der vom Gardasee entlang des Mincio zum Podelta führt und auch Ferrara und Comacchio passiert. In Mantua gibt es einiges zu entdecken: Der riesige Palazzo Ducale, die historische Altstadt, oder den Lago Superiore am Rande des Naturparks Mincio mit seinem eindrucksvollen Lotusblüten-Bewuchs, der 1922 von einer Exkursion mitgebracht wurde und hier bestens gedeiht.
Die Entdeckung der Langsamkeit
Und dann: essen. Im Locanda delle Grazie, nahe der Kirche „Grazie“ mit ihren geisterbahnähnlichen, dem Tode geweihten Figuren, sitzen wir im angebauten Zelt. Drinnen ist einfach kein Platz mehr für uns. Es ist Sonntag. Viele – und große – Familien haben sich eingefunden.Wir bewundern die Geduld, mit der die Jüngsten hinsichtlich der langen, sehr langen Verweildauer ruhig und geduldig auf ihren Plätzen bleiben, während die Großen Gang um Gang hinter sich bringen. Gelassen geht es zu, trotz keines einzigen freien Platzes: „Chi va piano, va sano; chi va sano, va lontano“, das italienische Sprichwort wird hier gelebt. Mehr noch: Slow Food ist angesagt! Die 1986 in Italien gegründete Bewegung, sie setzt sich für die Erhaltung der regionalen Küche durch Verwendung heimischer pflanzlicher und tierischer Produkte ein, ist Basis der Küche des Hauses. Wir entdecken die kulinarische Langsamkeit Bissen für Bissen: Gnocchi mit Gewürzen, der Lieblings-Salat der in Mantua lange tonangebenden Gonzaga-Familie mit weißem Fleisch, Trauben, Balsamico und Vinaigratte, Hecht in grüner Sauce mit Polenta, 24 Monate alter Grana Padano aus der Region, Mostarda di Mantova (in Sirup und mit Senf gekochte Birne), der Mille Feuille schließt den Magen.
Auch hier: Familien-Business. Der Herr über die Töpfe, Fernando Aldighieri, lädt uns in sein Küchenreich ein, seine Tochter Anita hat in Pollenzo Gastronomie-Wissenschaft studiert und leitet zusammen mit der Mutter den Betrieb: „Slow Food ist eine Bewegung, die immer mehr wächst, immer mehr Menschen in Italien verstehen es und leben danach“, erklärt Daniela Aldighieri. Dessen Gründer Carlo Petrini spricht sie dann noch spontan eine Liebeserklärung aus. Wenn das mal der Gatte am Herd nicht gehört hat…
Wir schlendern durch die an diesem Sonntag trubelige Stadt, über den Markt, den Aperitivo variieren wir heute Abend: Es gibt Bier. Italienisches. Auf dem Marktplatz lockt uns das putzige Teddy Bier-Schild zum Stand, an dem es drei Sorten aus dieser norditalienischen „microbirrifici“ gibt. Auch den Weinfans unter uns schmecken die hellen, dunklen, bitteren und malzigen Erzeugnisse aus Trentino überraschend gut. Ich wiederum bin überrascht, wie gut Lambrusco schmecken kann: Den gibt es im Fragoletta zum Essen. Dass die in Deutschland verfügbaren „Qualitäten“ des hier feinperligen, dezent süßlichen Schaumweins in erster Linie Kopfschmerzen verursachen, dieser Bericht erntet bei den heimischen Mitreisenden Kopfschütteln.
Selfmade Pasta
Finale: Bologna. Für einen Besuch der charmanten, aus vielen kleinen Einzelquartieren bestehenden Hauptstadt der Emilia Romagna bleibt leider viel zu wenig Zeit. Wenigstens erhaschen wir einen Blick in die von der Piazza Maggiore abgehenden kleinen Gässchen, in denen sich die ganze Pracht der regional hergestellten Lebensmittel zumindest erahnen lässt. Sicherlich einen Besuch wert – so lässt der Blick durch die noch verschlossenen Glastüren vermuten – ist auch das hier ansässige Eataly, dessen New Yorker Filiale wir schon mal mit Begeisterung durchforscht haben. Beim nächsten Mal werden wir hier tiefer eintauchen.
Wir haben keine Zeit, denn heute kochen wir unser Essen selbst. In der Kochschule Vecchia Scuola Bolognese, just in eine neue Location gezogen, ist Pastamachen angesagt. Und zwar von Anfang an: Mehl (Typ 00) und Eier verrühren, kneten, ausrollen, formen, füllen. Kraftarbeit und Frickelei im steten Wechsel. Schnell sind drei Stunden vergangen, bis das Essen endlich auf dem Tisch steht. Schreibt Jamie Oliver in seinem italienischen Kochbuch, man solle sich beim Teigkneten so richtig austoben, halten die Pasta-Lehrer uns eher zum langsamen, vorsichtigen, geduldigen Massieren an. Da ist sie wieder, die Langsamkeit!
Betreiberin Alessandra Spisni ist mit ihren Kochsendungen im italienischen TV berühmt geworden, ihr lebenslustiger Bruder Alessandro leitet die Schule und lobt und rügt seine knetenden Eleven lautstark und liebevoll. Für uns kleines, lustige Hineinschnuppern, ist es für Boris, der am Nebentisch geduldig Dutzende Farfalle formt, der Weg in eine neue berufliche Existenz: Nach drei Monaten Ausbildung, vier Stunden täglich und sechs Tage pro Woche, wird er ganz offiziell „Pasta maker“ sein, berichtet er. Mit diesem „Hartweizen-Diplom“ in der Tasche habe er deutlich bessere Chancen, einen Job in der Gastronomie zu finden. Auch Mario macht diese dreimonatige Ausbildung. Er ist schon Koch, sein Chef hat ihn geschickt. Fortbildung! Was er oben formt, wird unten von den Gästen verzehrt: Jeden Mittag finden sich viele Mitarbeiter umliegender Büros und Einrichtungen in der Kochschule ein, deren Konzept uns auch wirtschaftlich überzeugt: geringer Wareneinsatz, „Mitarbeiter“, die fürs Arbeiten zahlen, die Gäste für das Essen sowieso – eine runde Sache. Und das Resultat harter Arbeit selbst zu verzehren, ist ein schöner, aktiver Abschluss einer Tour für uns.
Land der kulinarischen Leidenschaft
Die Reise geht zu Ende, für uns hat es viele neue Eindrücke gebracht: Wir haben drei wunderbare Regionen und deren Menschen kennen gelernt, Einblicke hinter die Kulissen erhalten und vor allem viele Leckereien probieren dürfen. Essen, es ist einfach so, hat hier einen ganz anderen Stellenwert als in Deutschland: Es ist Lebensmittelpunkt, gesellschaftliches Zentrum, wird mit Tradition, Liebe, Ruhe und Geschmack zubereitet. Ein schöner Gegenentwurf zu all dem Quick Service, Fast Casual und Grab and Go, das uns tagtäglich umgibt. Und das Konzept so mancher Osteria, von deren Eröffnung dieser Tage in Deutschland zu lesen ist, viel hat es nicht zu tun mit diesen Orten der kulinarischen Leidenschaft, die wir hier erleben durften.
Für alle, die uns nachreisen und das Italian Unesco District entdecken wollen, hier einige Informationen:
Quadrilatero Unesco: Das italienische Unesco-Distrikt stellt sich vor
Tourismusverband Emilia Romagna
Tourismusverband Veneto
Naturpark Podelta
Kostenloser Bus (mit Flugticket) vom Flughafen Bologna nach Ferrara
Wine & Food Festival Emilia Romagna