Die Brauerei Schultheiss führt zurzeit eine Werbekampagne dur, die sich für den Erhalt traditioneller Berliner Kiezkneipen stark macht. Doch deren Erhalt wird, das bleibt dabei außen vor, nur mit Modernisierung möglich sein – Tradition und Moderne müssen zusammenfinden.
Die Brauerei Schultheiss trommelt zurzeit für die Berliner Kiezkneipen. Neben zurzeit an vielen Stellen der Stadt zu sehenden Plakaten (1.600 Citylights wurden aufgehängt) gibt es eine Webseite, die Objekte von Spandau bis Friedrichshain auflistet, dazu gibt es Bilder aus den Kneipen – uriges Beisammensein, alteingesessene Stammgäste, Bier. Das wirkt auf den ersten Blick sympathisch, ein angenehmer Kontrast zur betonten Trashigkeit, wie man sie von Astra aus Hamburg kennt, wo traditionelle Astra-Trinker immer als Karikaturen ihrer selbst dargestellt werden.
Schließlich will man ja hier – so vermute ich – auch kein Szenepublikum adressieren, das eine typische Berliner Eckkneipe höchstens mal wegen ihrer Schrulligkeit aufsucht, sondern diejenigen Stadtteilbewohner, für die eine solche Eckkneipe ein sozialer Ort in ihrer Nachbarschaft darstellt. So, wie man es von den Pubs aus England kennt. Weil die Berliner Gastronomie, so die Presseinformation, „kommerzieller und touristischer“ werde und die Kiezkneipen weniger würden, wolle man sich jetzt zusammen mit dem Musiker Frank Zander für ihren Erhalt engagieren: „Lang lebe die Kiezkneipe. Für das echte Berlin.“
Teilnehmende Kneipen erhalten ein Kiezdenkmal-Schild zur Auszeichnung als „offizielles Kiezkultur-Erbe“. Darauf ist ein ziemlich großes Schultheiss-Branding zu sehen – ich habe es nicht überprüft, aber ich gehe mal davon aus, dass nur Objekte mit Schultheiss im Ausschank in die Aktion einbezogen sind. Das ist verständlich, schließlich will man seine Objekte „pushen“ und seine Bierabsätze in diesen Objekten sichern, Bindung erzeugen. Ein weiteres Element der Aktion ist eine Auszeichnung zur beliebtesten Kiezkneipe des Jahres, die später erfolgen soll.
Die Idee, eine Aktion für traditionelle Gastronomiekonzepte zu starten, finde ich sehr gut. Den Ansatz hingegen nicht: Denn nicht in erster Linie kommerzieller und touristischer wird die Gastronomie, das ist nicht die Bedrohung. Sondern sie wird vor allem professioneller – und hapert es bei den Kiezkneipen oft. Angebot, Sortiment, Kommunikation, Interieur und weitere Dinge müssen sich an gestiegene Anforderungen der Gäste anpassen. Das ist meiner Meinung nach völlig betriebstypenunabhängig. Gerade auch ältere, traditionsverhaftete Zielgruppen legen Wert auf Qualität. Das sehe ich doch schon morgens, wenn ich mit meinem klapprigen Rennrad ins Büro fahre und neben mir zwei „Best Ager“-Paar auf ihren zusammen locker zweitausend Euro teuren Freizeiträdern entlang surren. Und jüngere Zielgruppen sehnen sich nach Authentizität und Heimat lassen für Stullen die Tramezzini links liegen und trinken immer häufiger ein regionales Bier statt eines sonstwie geflavourten Globalgebräus. Ich bin mir sicher: Es gibt ein großes Potential für Orte, an denen alle wieder, generationenübergreifend, zusammenfinden.
Wer eine traditionelle Kneipenwirtschaft führt und hier sanft modernisiert, sich nach links und rechts umguckt, sich inspirieren lässt, neue Produkte ausprobiert und sich gegen Betriebsblindheit wappnet, ein klares Alleinstellungsmerkmal hat und zugleich allabendlicher Sammelpunkt für verschiedene Menschen ist, der wird bleiben. Der wird sogar große Chancen und Potentiale haben, immer erfolgreicher zu werden. Das Bedürfnis nach einem „dritten Ort“ der Gemeinschaft, an dem sich ältere und jüngere Menschen aus verschiedensten Schichten und Kontexten treffen, ist groß genug. Aber genau das lassen diese Kiezkneipen ebenso vermissen wie die auf Oberfläche getrimmten Yuppie-Bars in Mitte und die ironischerweise auf Kiezkneipe getrimmten Hipster-Kneipen in Neukölln.
Es gibt ganz wunderbare Gastronomien, die den Spagat zwischen Tradition und Moderne schaffen, im besten altenglischen Sinne Pub-Charakter haben. Mein Favorit steht in Essen und heißt Zum Brenner, in dem sich Rüttenscheider Thirtysomethings und Mettbrötchen kauende Rentner mit Knobelbecher, lebenslustige Mittfünfzigerinnen und flotte Mädels um die Zwanzig treffen. Dieser Laden schafft es, weil er so modern und professionell im Backend ist wie er traditionell und konservativ im Frontend ist. Viele Wirtshäuser in München kriegen das hin, weil auch diese Wirtschaften wirtschaftlich geführt werden. In Hamburg fällt mir spontan das Anno 1905 ein (aber es gibt sicher mer und vielleicht bessere Beispiele). In Berlin? Vielleicht Clärchens Ballhaus, das Alt-Berlin oder das 3Schwestern, in dem szenebekannte Betreiber auf Wirtshaustradition und eine breite Zielgruppe setzen. Weitere Beispiele: very welcome. Zum Beispiel das Sherry & Port in Wiesbaden, danke an Annette Mützel für den Hinweis.
Das Kneipensterben in Berlin und anderswo, das im Rahmen dieser Werbekampagne als Kulturverlust kommuniziert wird, hat oft etwas mit der fehlenden Bereitschaft und Fähigkeit zu tun, sich zu modernisieren. Das mussten Gastronomien, schon allein weil sie im Wettbewerb zueinander stehen, zu jeder Zeit, auch wenn die Anforderungen in den letzten Jahren vielleicht gestiegen sein mögen.
Umso wichtiger ist es aus meiner Sicht, dass die Brauerei den Wirt – ihren Absatzmittler, Wiederverkäufer, Markenbotschafter – tatsächlich unterstützt. Zum Beispiel mit Schulungen (auch über das eigene Produkt hinaus), mit Workshops, mit Infomaterial, mit einem Außendienstler, der dem Wirt ein paar handfeste Ideen und Beispiele mitbringt, mit attraktiven flankierenden Produkten (die es bei Radeberger ja sogar gibt), mit individuell auf das Konzept zugeschnittenen Tools, die im Gespräch mit dem Wirt herausgearbeitet werden. Mit zweckgebundenen finanziellen Mitteln und mit anderen Dingen.
Eine Marketing-Kampagne, die wie in diesem Fall den Kiezkneipen einen fast musealen Charakter verleiht und ein Denkmal-Schutzschild, ist aus meiner Sicht nicht der richtige Weg. Tradition und Moderne in Berlin sollen nebeneinander seinen Platz haben, wird dort kommuniziert. Ich fände es sinnvoller, wenn Tradition und Moderne in einem Ort verschmelzen, zumal in der Gastronomie. Und die Unterstützung zum Erreichen dieses Ziels sollte eher im Vertrieb stattfinden als im Marketing.
www.schultheiss.de/kiezkneipe
3 Kommentare
ich kann euch noch wärmstens die BLACK LODGE BAR ans Herz legen! sehr, sehr einzigartiges Interieur und unglaublich NETTE Bartender… ist auch direkt an der U8, Sanderstrasse!
versucht den Espresso Martini ! ! !
x Karen
Schöner Artikel. Und tatsächlich dürfte die Eckkneipe nur dann überleben, wenn sie den Spagat schafft sich nicht zu stark zu ändern, aber trotzdem mit der Zeit zu gehen oder auf ihre Besonderheiten aufmerksam zu machen. Gelungene Beispiele hierfür ist z.B. der „Zum Stammtisch“ in Moabit oder auch das Narkosestübchen in Schöneberg, eine möglichst umfassende Zusammestellung (auch abseits von Schultheiss) versuchen wir hier zu schaffen: http:eckkneipen.wordpress.com
Eine wunderbare Hommage an die Stammkneipe hat LeSchicken veröffentlicht. Auszug: „Der Zwiebelfisch ist eine 68er-Kneipe mit ehrlichen Berliner Schnauzen vor und hinter der Bar, außerdem residiert Zappa hier, der am häufigsten poetisierte Kater der Hauptstadt, ein dickes und gemütliches Tier, das schon mitten auf dem Tresen schlief, als man noch in Kneipen rauchen durfte.“