Israel und die ganze „Levante“-Region ist im kulinarischen Trend: Immer mehr Restaurants setzen auf die frische, aromatische, großenteils vegetarische Küche. Was macht den Erfolg aus? Wir haben uns mit den Macher*innen von Konzepten in Berlin, Frankfurt und Hamburg unterhalten.
Der Berliner Gropius-Bau imponiert mit seinen meterhohen, riesigen Räumen und ist bekannt für seine spannenden temporären Ausstellungen. Dauerhaft bleiben soll seine neue Gastronomie, das Beba, untergebracht in einem der voluminösen Räume im Erdgeschoss. Es ist nicht die typische (meist ja recht beliebige) Museumsgastronomie: Hier geht es um jüdische Küche aus aller Welt. Sabich stammt aus der jüdischen Community im Irak, Chatschapuri aus der georgischen, das Pulled-Beef-Sandwich schmeckt nach New York, es gibt jemenitisches Brot, frischen Salat im Middle-Eastern-Style, alles hausgemacht von Köchin Anat Barak.
Hinter diesem besonderen Konzept steht Shani Leiderman, geboren in Israel, mit argentinischen Wurzeln. Sie lebt seit längerer Zeit in Berlin und hat das erfolgreiche Food-Startup Infarm mit aufgebaut. Dessen violettfarben leuchtende Indoor-Farming-Systeme stehen zum Beispiel in der Salatbar Good Bank, in vielen Edeka-Filialen und natürlich auch im „Beba“ – das frische Grün wird für die Salate und Kräutertoppings verwendet.
Globale jüdische Küche, echt und ungefiltert
Wie kam die junge Gründerin an diese Fläche? „Das Museum suchte nach einem persönlichen, einzigartigen Konzept“, berichtet sie uns. Bei einem Tasting-Dinner für die Verantwortlichen des Museums konnte das „Beba“-Konzept überzeugen und sich gegen andere Bewerber auf die Fläche durchsetzen. Den „Deal“ vermittelt hatte die Gastronomin und Bäckerin Cynthia Barcomi, sie fungiert auch als Mentorin für Leiderman und liefert dem „Beba“ süßes Gebäck an. Das Konzept entstand freilich nicht am Reißbrett, es ist es das natürliche Resultat von Leidermans Familiengeschichte. Ihre Großmutter – Beba – kochte viel und vielseitig, jüdisch, argentinisch und dieses wiederum mit italienischen Einflüssen (viele Italiener migrierten nach Argentinien), russisch, aschkenasisch, marokkanisch – ein großer, globaler Eklektizismus. Leiderman: „Ich habe viele Kochbücher gelesen und über die jüdischen Community-Küchen in der ganzen Welt recherchiert. Es ist eine große, reiche Welt. Die wollte ich hierher bringen.“
Und das möglichst so, wie die Spezialitäten „im Original“ schmecken, frisch zubereitet. „Meine Generation in Israel kennt diese Speisen oft nur gefiltert“, erklärt die Gründerin. Als Convenience-Ausführung, die das zeitintensive Vor- und Zubereiten abkürzt. In den vergangenen Jahren allerdings habe sich die Küche in Israel beachtlich weiterentwickelt, qualitativ und quantitativ durch das Eintreffen von Stilen aus aller Welt. „Es gibt einen richtigen Boom und den Drang, mit der kulinarischen Weltspitze mithalten zu können“, hat Leiderman beobachtet.
Dass die Küche schon immer viele vegetarische und gar vegane Optionen bereithält, welche nun als gesund erachtet werden, habe den Trend noch zusätzlich befeuert. „Das Essen ist fast zu einem Exportprodukt für Israel geworden.“ Wie gut es schmeckt, lässt sich, ganz entspannt, im „Beba“ hervorragend nachvollziehen. Während wir uns durchprobieren und plaudern, sitzt ein sehr alter Mann am Nebentisch und genießt, ganz allein und in Ruhe, sein Essen. „Es macht mich glücklich zu sehen, wer alles zu uns kommt“, sagt Shani Leiderman mit strahlendem Lächeln.
„Fusion ohne Regeln“
Alles andere als ruhig geht es im Restaurant Layla zu. Es ist durchreserviert, laut, voll, international, szenig. Sehen und gesehen werden, genießen, eine gut Zeit haben. Eine Szenegastronomie und das in einem eher biederen Hotel: Das neue Restaurant im „Crowne Plaza Potsdamer Platz“ ist so wenig das gewöhnliche Hotelrestaurant, wie das „Beba“ das gewöhnliche Museumsrestaurant ist. „Wir sind auch kein Hotelrestaurant!“, stellt der Kopf des Konzepts Meir Adoni klar, während wir am Küchentresen sitzen und uns von ihm ein „signature dish“ nach dem anderen servieren lassen. „Wir sind komplett eigenständig, haben unser eigenes Team hier.“
Morgens serviert das Hotel in den Räumen Frühstück für die Gäste, danach beginnt die „Layla“-Crew mit den Vorbereitungen fürs Abendgeschäft, das seit der Eröffnung im Oktober 2018 durchgehend mehr als zufriedenstellend läuft. Meir Adoni ist ein Star der modernen israelischen Küche und weitgereist: Er arbeitete u.a. im „Le Cordon Bleu“ in Sydney, in der „La Maison Lenôtre“ in Paris und im Kopenhagener „Noma“, bevor er in Tel Aviv zwei Restaurants eröffnete („Bluesky“, „Lumina“) und in New York das „Nur“. Ein weiteres wird bald in Kiew dazukommen.
Er jettet von Outlet zu Outlet und ist auch an diesem Abend super busy, richtet einen Teller nach dem anderen an, koordiniert sein Küchenteam und findet doch immer wieder Zeit, mit seinen Gästen und mit uns zu reden. Nach Berlin wollte er unbedingt kommen, berichtet er. Er liebe die Stadt und freue sich, jetzt auch hier seine Interpretation moderner Küche des mittleren Ostens präsentieren zu können. „Die Speisen aus meiner Heimatregion und meine israelischen Wurzeln, sie sind meine Basis, aber ich mache Fusion ohne Regeln. Wenn ich Yuzu- oder Sojasauce verwenden will, dann mache ich das einfach.“
Eine Reise, auf die man sich gerne einlässt: Forellen-Doughnuts gibt’s neben dem jemenischen Kubaneh-Brioche (eine Pflichtbestellung!) zum Start, geräuchertes Auberginen-Carpaccio, marokkanischen Oktopus (Adonis Mutter ist Marokkanerin), Lamm mit Freekeh, libanesische Pancakes mit Ente in Szechuanpfeffer, zum Schluss das verführerische Dessert „New Middle East“ mit Soletcrème, Olivenbröseln und Araksorbet. Komplex, facettenreich und überraschend – und auch hier kommt das frische Grün von den eigenen „Infarm“-Systemen im hinteren Bereich des Restaurants.
Warum der Boom, warum jetzt – was sagt der global player Adoni? „Israel ist ein junges Land, wir sind gerade erst 71 geworden. Die ersten 50 Jahre hatte niemand Zeit, an Kulinarik zu denken. Es gab andere Probleme. Dann begannen die Köche, kreativ zu werden. Jetzt bekommen wir Angebote, überall auf der Welt Restaurants zu eröffnen. Für uns ist das großartig!“
„Greifbare, erlebbare Küche“
Ein solches Angebot bekamen auch zwei bestens etablierte Frankfurter Gastronomen mit jüdischen Wurzeln, James und David Ardinast. „Wir sind mehrmals im Jahr in Tel Aviv. Die Stadt eine so spannende Gastroszene, und ein israelisches Konzept beschäftigte uns schon seit Jahren“, berichtet James. Mit der Bar Shuka, einem Mix aus Restaurant und Bar, haben sie es in der neu gestalteten Lobby des „25 Hours Hotel The Trip“ im angesagten Bahnhofsviertel in die Realität umgesetzt: Speisen wie ein „Jerusalem-Kebap“ mit Tahina, schwarzes Baba Ghanoush mit Oktopus oder ein vegetarisches Carpaccio aus bunten Beten werden gerne zum Teilen bestellt.
„Es ist eine sehr greifbare, sehr erlebbare Küche“, erklärt Ardinast den Erfolg, den sie auch hier bei den Gästen hat. Und auch er betont den „Veggie-Erfolgsfaktor“ – weil die Küche den Ernährungswünschen vieler Menschen entgegenkommt, geht er nicht davon aus, dass es sich um einen Hype handelt. „Es wird sich längerfristig etablieren.“ Die Ardinasts setzen jedenfalls weiter darauf. Zusammen mit der israelischen Koch-Ikone Yossi Elad haben sie nicht nur die Karte für die „Bar Shuka“ gebaut, sondern finishen schon das nächste Projekt: Das neue Hotel „Amo“ der Amano-Gruppe in Berlin (Friedrichstraße) hat nämlich ebenfalls ein Middle-East-Restaurant bekommen, das Joseph. Und das israelische Restaurantkonzept „Neni“ der Wienerin Haya Molcho gibt es in mittlerweile sieben Städten: Berlin, Hamburg, München, Köln, Wien, Paris und zweimal in Zürich.
„Geiles Gemüse finden auch die Fleischesser toll“
Ein tragfähiges Thema also für die Gastronomie? „Auf jeden Fall können die Deutschen damit heute mehr anfangen als noch vor ein paar Jahren. Dazu haben auch die Ottolenghi-Kochbücher viel beigetragen. Was Shakshuka ist, wissen heute viele Leute.“ Sagt Thomas „Cozy“ Kosikowski, der zusammen mit Johannes Riffelmacher in Hamburg das Salt & Silver macht, ein Doppelrestaurant auf der Hafenstraße – rechts (Hausnummer 136-138) gibt es lateinamerikanische Küche, links (140) seit Mitte Mai Levante-Küche, also die Küche des östlichen Mittelmeers.
Mit ihrem Koch Simon Lindow reisten sie Anfang 2019 nach Beirut, besuchten Gewürzhändler und Produzenten in der Region. Wie der israelische Starkoch Yotam Ottolenghi, dessen Bücher in den privaten Küchen fast so häufig stehen wie die von Jamie Oliver, haben auch die beiden Hamburger Quereinsteiger zwei Kochbücher geschrieben – eins über ihre Reise durch Lateinamerika, eins über den Trip nach Mexiko – für 2020 ist ein Levante-Kochbuch geplant.
Wie lange sie das Thema in ihrer Hamburger Gastronomie spielen, wissen sie noch nicht. „So lange wir Bock drauf haben“, sagt Kosikowski, „aber mindestens ein Jahr.“ Das Schöne und Beliebte an der Küche sei ihr Umgang mit Gemüse. Das meiste Lob bekomme man von den Gästen denn auch für ein eigentlich ganz einfaches Gericht, das ein oft bitterfad schmeckendes Gemüse zum Star macht, die Aubergine. Gegrillt, ausgenommen, mit karamellisierten Oliven, Schafskäse, Traubenmelasse und frittiertem Pitabrot serviert. „Durch Röstaromen und Gewürze kann man wahnsinnig viel aus den Sachen heraus holen“, weiß Kosikowski. „Deftig, geschmackvoll, intensiv – geiles Gemüse finden auch Fleischesser toll.“
Buchtipp zum Thema:
Masel Tov! Die moderne jüdische Küche in aller Welt
von Liv Fleischhacker
50 Rezepte aus der globalen jüdischen Küche von israelisch-marokkanischen Fleischbällchen über Gefillte Fisch und dänische Rosinenkrone bis hin zu Bagels und jugoslawischen Kastanienschnitten. Dazu Portraits und Geschichten. Erschienen im Christian Verlag 2018, 224 Seiten, 29,99 Euro.
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Dieser Beitrag erschien zuerst in FIZZZ 7/2019.