Gleich drei führende gastronomische Fachzeitschriften – food service, FIZZZ und Mixology – widmen sich dieser Tage dem Quartier am Frankfurter Hauptbahnhof mit Fokus auf, klar, Gastronomie. Das verruchte Viertel der geschniegelten Bänkerstadt wird zum Hot Spot für Szenegastronomie – Grund und Anlass für ein paar Gedanken.
In der food service werden in diesem Zusammenhang sechs Locations vorgestellt, die hier in den letzten Jahren eröffnet haben, darunter das Mittagsgold und der von Robert Johnson-Clubbetreiber Ata (den ich mal zu seinen Kochkünsten interviewt habe) betriebene Club Michel. In der Ankündigung auf dem Online-Ableger des Magazins, Cafe-Future.net, heißt es: „Einen Namen hat sich das Quartier lange Zeit nur aufgrund der Rotlicht- und Drogenszene gemacht. Immer mehr junge Gastro-Konzepte haben einen Imagewandel mitinitiiert.“
Eine Aussage, bei der sich dem Soziologen leicht die Nackenhaare aufstellen. Haben die jungen Gastro-Konzepte nicht vielleicht auch vom anrüchigen „Charme“ profitiert? So, wie es rund um die Reeperbahn nicht anders ist, auf denen die hochglanzpolierten Tanzenden Türme gerade zum Wahrzeichen der Gentrifizierung werden? Doch bleiben wir bei Frankfurt. Ein lesenswerter Beitrag von Andreas Wild auf Mixology Online geht ansatzweise auf das dialektische Verhältnis zwischen Problembezirk und dessen Reiz für szenige Gastronomie ein: „Ehrlich, authentisch, ohne Maske sind Stichworte die man immer wieder im Zusammenhang mit dem Bahnhofsviertel hört. Aber ist das immer noch der Fall? Oder wird es bereits zu einer Schaubühne der hippen Szenekultur im Frankfurter Nachtleben verzogen? (…) Dieses Authentische zieht natürlich auch die Gastronomie an und ein Marketingkonzept zum Thema Subkultur braucht eine neue Bar im Bahnhofsviertel nicht. Das ist im Mietpreis in einem der begehrten Läden bereits enthalten. Die Nachfrage im sonst so herausgeputzten Frankfurt ist gewaltig, wie sich am Zuspruch, den der Bezirk im den letzten Jahren erfährt, ablesen lässt. Die Szene hat Bedarf, ein Bedürfnis, das durch gekonnte Inszenierung befriedigt wird. Die Konzepte zielen meist auf alt, verbaut, heruntergekommen. Äußerlich ja, aber im Kern glänzt die Maschinerie der bekannten Gastronomie.“
Die Oktober-Ausgabe der FIZZZ widmet „Mainhattan“ satte sieben Seiten, neben acht Gastoronomie-Portraits werden auch vier stadtbekannte Gastronomen vorgestellt, u.a. die Gebrüder James und David Ardinast, Betreiber des Maxie Eisen und der beiden IMA-Konzepte (IMA Kitchen und Chez IMA). Sie machen schon seit 2006 Gastronomie im Bahnhofsviertel und finden: „Als Gastronom geht man in ein solches Viertel, weil man hier Dinge machen kann, die anderswo nicht möglich sind und für uns war natürlich auch das ganze Flair spannend. Aber man muss sich im Klaren sein, dass damit eine Entwicklung losgetreten wird, die irgendwann nicht mehr aufzuhalten ist. Beispiele wie Soho und Meatpacking District in New York oder auch Berlin Mitte haben das durchlebt, das sind kommerzielle Gegenden geworden.“ Das ist wohl wahr.
Ich kann die Situation in Frankfurt nicht qualifiziert beurteilen, aber wenn dortige Gastronomen schon den Vergleich zu Berlin Mitte herstellen, dann sei ein ein neuer „Upcoming Kiez“ in diesem Zuge erwähnt: Wer sich die Entwicklung rund um die Neuköllner Weserstraße in Berlin anschaut, wird erkennen: Hier wird gerade der nächste Berliner Kiez kräftig umgekrempelt. Die Änderungsschneiderei geht raus, die Third-Wave-Kaffeebutze rein. Auf Street View kann man sich zurzeit noch anschauen, wie es hier vor gerade mal sechs Jahren aussah. So gut wie keine der jetzt hier ansässigen Szenegastronomien bestand damals schon, es bestand überhaupt wenig Gastronomie. Auch kein guter Zustand, aber hätte die Entwicklung so verlaufen müssen, wie man sie sich jetzt live anschauen kann, (Vorsicht übrigens vor Glasbruch auf dem Trottoir)? Die Antwort: Nicht unbedingt. Aufwertung, Verbesserung, Modernisierung – alles Dinge, die auch einher gehen könnten mit vorausschauender Stadtplanung, die den Gastronomieanteil maßregelt, die auf Durchmischung achtet und sicherstellt, dass die Grundversorgung und das Bedürfnis aller Anwohner berücksichtigt wird. Japanische Nudelsuppenbars, deren Speisekarte komplett in Englisch sind, befriedigen dieses nämlich nicht hinreichend. Hier ist ein „Quartiersmanagement“ gefragt, das die neue Heterogenität solcher Viertel als Ganzes begreift und steuert. Klingt schwammig, aber genau das wird in immer mehr Vierteln, nicht nur in Berlin, zur Herausforderung. Die Weserstraße jedenfalls driftet schon jetzt in Richtung Simon-Dach-Straße ab, wird eine Fress- und Trinkmeile. Wie das für die Menschen sein muss, die hier schon seit vielen Jahren leben. Dass in den Betrieben weniger Hohleis verwendet wird als in Friedrichshain und das Essen besser schmeckt, ist dabei nur ein Nebenaspekt (und fairerweise sei gesagt, es gibt tolle Gastronomie in Friedrichshain).
Schön wäre, wenn auch aus der Gastronomie mehr Bestreben käme, konzeptuell mehr für alle da zu sein. In der aktuellen Mixology gibt es einen schönen Artikel zu Irland und seinen Pubs als sozialen Orten (bekanntes Thema, aber man muss es immer wieder auf den Tisch legen). Das sind gastronomische Orte, die für sich beanspruchen, ein sozialer Ort für das gesamte Umfeld zu sein. Es steckt im Namen schon drin: Public. Warum nicht mehr solcher Orte, die Vielheit begrüßen? Orte für alle und nicht nur als Hangout für Mädchen aus der Kunstszene? Mehr aus dem Ort heraus gewachsene Konzepte, mit konkretem Bezug zu diesem. Nicht nur stilistisch, sondern richtig – das wäre mal wirklich authentisch. Nicht konservierend-konservativ wie in dieser skurrilen Kampagne, sondern progressiv.
Was das alles mit Frankfurt zu tun hat und seinem Bahnhofsviertel? Ich kenne nur einen Bruchteil der dortigen Konzepte von Besuchen, aber auch in der medialen Darstellung ist für mich ersichtlich: Sie könnten überall stehen, in jeder Metropole. Muss ich dafür nach Frankfurt fahren? Hm. Machen sie das Viertel einzigartig? Nochmal hm. Und vor allem: Sind sie Orte für den Ort, an dem sie sich befinden? Das wage ich zu bezweifeln, auch aus der Distanz.
Am Ende könnte ich ganz nostalgisch werden und ein Plädoyer für die so genannte lokalverwurzelte Traditionsgastronomie halten. Aber ich bin auch fest überzeugt: Konzepte, die (gastronomische) Tradition in die Gegenwart übertragen, auf lokale Besonderheiten eingehen und einen sozialen Ort erschaffen, gibt es viel zu wenige. Vintage, Shabby Chic und Co. – bislang alles nur Stilelemente für die Suche nach etwas Altem, Authentischem. Da ist so viel mehr drin. Sollte es im Frankfurter Bahnhofsviertel, neben Better-Burger-Bars und Pastrami-Delis, auch etwas in dieser Richtung geben – ich bin für einen Hinweis dankbar.
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