Buchrezension: FOOD CHAINge von Nadine Filko

Auf dem Weg zu einer neu gedachten Wertschöpfung in der Lebensmittelproduktion

von Jan-Peter Wulf
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Fotos: Redaktion

Die Journalistin Nadine Filko beschäftigt sich in FOOD CHAINge eingehend mit der Frage, wie sich ein komplexes, aber dringend refomierungsbedürftiges System wie unsere Lebenmittelerzeugung vor dem Hintergrund planetarer Grenzen verändern lässt. 

Dieses Buch ist – zumal aus Gastronomie-Perspektive – ein echter Deepdive in die Welt der Lebensmittelproduktion und wie sie sich transformieren lässt. Einer, der aber auch dringend geboten ist: Denn mehr als ein Drittel der globalen Treibhausgase und somit Verursacher der menschengemachten Klimakrise entsteht durch die Art und Weise, wie wir heute unser Essen erzeugen, wie wir sie wachsen und gedeihen lassen, aufbereiten, verarbeiten, verschiffen, lagern, zubereiten und letztlich sogar großenteils unverzehrt wegwerfen. Die Gastronomie bzw. der Außer-Haus-Markt hat daran einen nicht unwesentlichen Anteil und somit Verantwortung.

Wie lässt sich eine derzeit so desaströse Wertschöpfungskette also neu gestalten? Das Buch gliedert sich in drei große Teile: Im ersten Teil geht es darum, wie sich eine Transformation eines derart komplexen Systems, wie es die Nahrungsmittelproduktion ist, im Detail umsetzen lässt: Welche lassen sich neue Ketten aufbauen? Welche Arten von Herausforderungen gibt es auf diesem Weg und wie lassen sie sich meistern? Wie wird Innovation, davon gibt es ja viel, skaliert und „mainstreamisiert“? (Wenn man sich anschaut, wie viele der Food-Startups an inneren Problemen oder äußeren Bedingungen scheitern, ist diese Skalierbarkeit ein geradezu neuralgischer Punkt).

Keine Komplexitätsreduktion

Filko liefert dafür jede Menge theoretisches und methodisches Material, Schaubilder und Grafiken. Und neigt nicht zur Vereinfachung. Was gut ist! So führt sie, um nur ein Beispiel zu nennen, sehr detailliert aus, was sich hinter den oft zitierten, aber selten im Detail beschriebenen SDGs (sustainable development goals) verbirgt, wie ihre Kriterien im Einzelnen aussehen. So wird aus dem häufig dargestellten bunten Kachelbild eine mehrseitige Beschreibung. Dass es bei der zweifelsohne schweren Materie dennoch leicht zu lesen ist, macht die angenehm nichtwissenschaftliche Sprache möglich. Einen Begriff wie „kulinarischen G-Spot“ (wobei G für Genuss stehen soll) muss man sich erstmal zu droppen trauen. 

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Für Konkretisierungen und Praxiseinblicke sorgen zudem zahlreiche Expert*innen-Interviews, etwa mit Julius Palm von followfood, mit dem wir bei Greentable e.V. (nomyblogs nachhaltiger partner in crime) bereits auf Projekten zusammengearbeitet haben, oder dem Foodaktivisten Hendrik Haase, der sich kürzlich mit einem einer Abrechnung gleich kommenden Interview aus Berlin verabschiedet hat. Wenn jedoch eine Anita Wälz, die bei Nestlé für Nachhaltigkeitskommunikation zuständig ist – einem Unternehmen, das allein mit der Art und Weise, wie es aus dem Gemeingut Wasser ein kommerzielles Lebensmittel macht, nach wie vor Teil des Problems statt Teil des Change ist –, fehlt es an einer wirklich kritischen Nachfrage der auch als Journalistin tätigen Autorin. 

Die Politik bleibt weitestgehend außen vor

Was meiner Meinung nach ebenfalls etwas zu kurz kommt, ist die politische Dimension. Dass es bei ganze Industrien betreffenden Transformationsprozessen auf die Weichenstellung aus der Politik ankommt, dürfte mittlerweile bekannt sein. Die dafür meines Erachtens beste Vorgangsbeschreibung hat der Klimaforscher Anders Levermann vorgelegt: Er spricht von Faltungen, die dafür sorgen, dass Wachstum „umgeknickt“ wird und sich in eine andere Richtung entwickelt. Würden etwa pflanzliche Lebensmittel gefördert, allein durch Wegfall einer Mehrwertsteuer (Vorbild Spanien), wäre das eine Maßnahme im Sinne solch einer Faltung. Das Interview mit der parlamentarischen Staatssekretärin im BMEL macht es noch deutlicher, wo das Problem liegt, sie kann sich nur mit vielen Hilfsverben, müsste, könnte, sollte, durch die Antworten schleichen. Die politische Sphäre kommt ihrer Aufgabe, Wegweiser und Leitplanken für die Transformation zu errichten, nicht nach. Dass es überdies nicht nur eine Aufgabe einer Landwirtschafts-, sondern auch der Wirtschafts- wie Finanzpolitik ist, sei nur der Vollständigkeit halber angemerkt.

Auch bleibt für mich offen: Was meint Filko, wenn sie ganz zu Beginn von einem „planetaren Kapitalismus“ spricht? Vermutlich einen, der die planetaren Grenzen anerkennt. Ob das möglich ist? Wie? Wer einen solch wuchtigen Begriff einführt, sollte ihn auch ökonomisch veranschaulichen. Sonst bleibt er leer. 

Nicht, dass ich falsch verstanden werde: Das Buch liefert einen wertvollen Beitrag zur Thematik, schon wegen der umfangreichen methodologischen Einführung. Und es präsentiert Vordenker*innen und ihre Visionen für eine neue Food- und Esskultur. Jedoch gilt, was im Buch zu lesen ist: „Notwendige Veränderungen im Sinne der Planetaren Grenzen sind nur erreichbar, wenn sich die Gesellschaft auf ein zukunftsfähiges Zielbild einigt“, so Jörg Reuter im Interview. Dieses Zielbild ist derzeit leider maximal unscharf, konturlos und dürfte, so ist zu befürchten, zukünftig noch unschärfer werden oder in verschiedenen Bildern enden, sollte die Polarisierung der Gesellschaft weiter so voranschreiten wie sie es in dieser Zeit tut. 

FOOD CHAINge ist erschienen bei dfv Mediengruppe Fachbuch, hat 250 Seiten und kostet 38 Euro.
Eine Leseprobe gibt es hier.

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