Food Trends 2016: der Foodreport von Hanni Rützler

von Redaktion
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Den Wald vor lauter Broccoli-Bäumen weiter sehen: der Food Report ordnet ein

Welche Lebensmittel- und Genusstrends die Bedürfnisse der Konsumenten im Allgemeinen und den Gast in Restaurant, Café und Co. widerspiegeln, fasst der „Food Report 2016“ zusammen. Wir haben mal etwas genauer reingeschaut.

Food-Trendforschung ist eine Menge Arbeit. Artikel aus Magazinen rausreißen oder bookmarken, vor Plakaten stehen bleiben, (heimlich) Essen oder Speisekarten fotografieren, Gespräche führen. Dann Muster und Ähnlichkeiten erkennen, so genannte „Trends“ (nämlich das, was der Hersteller als solchen bezeichnet) von echten Bedürfnissen der Konsumenten unterscheiden, nach Vorläufern suchen, einordnen und so weiter. Ach ja: essen und trinken. Und zum Schluss: einen knackigen Namen für die Trends finden. „Cocooning“ ist nach wie vor genial und fast jedes Mal, wenn ein Gastro-Möbelhersteller seine Neuheiten vorstellt, taucht der Begriff wieder auf.

Die Ernährungswissenschaftlerin Hanni Rützler hat sich schon zum wiederholten Male für das „Zukunftsinstitut“ diese Arbeit gemacht und den „Foodreport 2016“ produziert und macht gleich zu Beginn eine Aussage, die Gastronomen-Herzen höher schlagen lässt:

Food, also die Art, wie wir uns ernähren, was wir wann essen, wo wir was essen, mit wem wir uns wo treffen, sagt mehr über uns aus als die Kleider, die wir tragen. Damit erhöht sich Food vom Lebensmittel zum Stilmittel. Es wird Ausdruck einer Ideenfindung über sich selbst. Es wird, so beschreibt es unsere Autorin, zum neuen Pop.

Drei Food-Strömungen sind für sie maßgeblich:

1. Infinite Food: Gegessen wird künftig rund um die Uhr und immer mehr an Orten, die bisher andere Zwecke erfüllten.

2. Spiritual Food: Der wachsende Wunsch nach halal, koscheren oder veganen Lebensmitteln hebt Food auf eine spirituelle Ebene: Essen wird zur Religion.

3. Fast Good: Schnelles Essen erlebt eine Revolution in Sachen Qualität: Fast Food muss nicht mehr nur schnell, sondern vor allem gut sein.

Das sind keine kurzfristigen „Jahrestrends“, wie ich sie kürzlich zusammengestellt habe, sondern übergeordnete, langfristige Strömungen. Dahinter liegen dann noch größere „Megatrends“: Das Ineinanderfließen von Arbeit und Freizeit treibt vor allem den ersten dieser Food-Trends an, den zweiten u.a. die Globalisierung und die Individualisierung. Food-Trend drei reflektiert die zunehmende Mobilität und zugleich den Megatrend Gesundheit: Wo früher Rennie den Magen des Managers aufräumen musste, der sein Essen unter Hochdruck runterzuschlingen hatte, sorgen heute grüne Smoothies, vegane Snacks oder Raw-Food-Happen für gesundes Snacking.

Rützlers Beispiele für „Fast Good“ sind das Superfood-Restaurant „Dancing Shiva“ in Wien, der Hamburger Salat-Lieferdienst „Stadtsalat“ und die Züricher „Essbar“, die wie das „Chipps“ in Berlin Fleisch zu einer Beilage, nicht zum Zentrum des Tellers machen.

„Infinite Food“ finden wir, das sind jetzt meine Beispiel, z.B. im „Super Concept Space“ im „Bikini Berlin“, eigentlich ein Ladengeschäft für Mode und Einrichtungsgegenstände, aber eben auch Restaurant und abends Bar. Ähnlich im „The Store“ im „Soho House“: T-Shirt kaufen, Salatteller essen. Oder im Museum essen. Oder die zahlreichen Dinner-Events an nichtgastronomischen Orten. Bis hin zur Möglichkeit, zwischen den Gleisen noch etwas Vernünftiges zu Futtern zu bekommen, wie zum Beispiel die leckeren Onigiri von „Rice Up“ in der vielleicht hässlichsten U-Bahn-Station Berlins.

Warum „Spiritual Food“ wichtiger wird? Erklärt Hanni Rützler wiefolgt:

Neu ist, dass die Begriffe „halal“ und „koscher“ nicht mehr ausschließlich für religiöse Speisevorschriften stehen, sondern zu allgemein anerkannten Trademarks für bewusste Ernährung werden, die auch bei nicht religiösen Konsumenten Anklang finden. Aus dem einfachen Grund, weil als halal oder koscher zertifizierte Lebensmittel als kontrollierter und sicherer wahrgenommen werden als das konventio­nelle Angebot. Nicht zuletzt gelten sie inzwischen als „hip“.

Zwei neue Konzept-Richtungen in der Gastronomie

Zusätzlich zu den ausführlich beschriebenen Trends beschreibt Rützler Entwicklungen für das Kochen zu Hause, für den Handel und für die Gastronomie. Schauen wir uns Letzteres an. Hier grenzt sie zwei Strömungen voneinander ab:

1) The New Classic – Nostalgie trifft auf Qualität
„Sterneköche“, die smarte, geerdete Zweitrestaurants eröffnen (wie Tim Raues „La Soupe Populaire“, sein Zwei-Sterne-Kollege Christian Lohse hat gerade ein Buch über Eintöpfe geschrieben), das Comeback von Stulle, Butter und Schmalz, Nose-to-Tail (z.B. „Herz und Niere“, Berlin) und Innereien – Dinge, die diese neue Klassik in der Gastronomie auszeichnen. Nicht aber biedere Muffigkeit im Design, was (hoffentlich) auch dem ollen Vintage-Trend die Gasleuchte ausdreht.

2) Even More Special – auf dem Weg zum Wir-Restaurant
Hier geht es um, sagt der Name schon, Spezialisierung von Konzepten mit gleichzeitiger Anbindung – Gegentrend zur Hyper-Individualisierung – an eine bestimmte Gruppe: Wir, die Veganer. Wir, die mit der Glutenunverträglichkeit. Wir, die „Haloodies“ (muslimische Gourmets).

Bei diesem zweiten Trend bin ich etwas skeptisch: Die Gruppenzugehörigkeit, die Rützler hier beschreibt, ist mir zu sehr auf Unverträglichkeiten fokussiert und erscheint mir weitaus flüchtiger und situativer zu sein. Man geht auch als Fleischesser mal in ein gutes veganes Restaurant, oder man isst Paleo oder nimmt den glutenfreien Kuchen, weil er so lecker aussieht. So, wie man (als Hete) mit seinem schwulen Kumpel auch mal „schwul ausgeht“. Man sucht den gastronomischen Ort auf, weil das Konzept sich auf etwas spezialisiert hat, weil es für Genuss und Qualität und hohe Leistung steht. Schmales Angebot, exzellente Ausführung: „Minimalkonzepte“ habe ich das genannt.

Das sind Konzepte, die qua Spezialisierung einen hohen Sog erzeugen, aber kaum Bindung. Wir werden hier nämlich auch etwas erleben, was Gastronomen erstmal nicht gefällt: Der Anteil der Stammkundschaft wird sinken, wenn ich aus einem breiten Fächer von Spezialkonzepten wählen kann. Das, was wir aus dem F&B-Bereich schon lange kennen – Abwechslung als neues Konsumbedürfnis – kommt jetzt auch in die Gastronomie. Umso wichtiger wird es wiederum sein, seine Spezialisierung an eine große Zielgruppe zu signalisieren: Ich bin der Tofu-Sushi-Burger-Experte in meiner Stadt. Nirgendwo gibt es bessere Nudelsuppen als bei mir. Mein Risotto gilt als das beste der Welt, hier kannst du dein (glutenunverträgliches) Date hin ausführen.

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Food Report 2016: jede Menge Input

Was dem Report m.E. auch noch fehlt, ist eine alle drei Bereiche – Heimkochen, Handel, Gastronomie – fassende Schlussbemerkung oder ein Ausblick, gerade weil sich diese Bereiche immer stärker verschränken, was sich in Foodkonzepten, in denen gekauft und gegessen werden kann oder die liefern (Fertiges oder Zutaten) zeigt. Aber auch so bietet der Food Report mit gut 110 Seiten dichter Analyse, mit Cases, Grafiken und Fotos jedem, der in der Branche (leitend/verantwortlich) tätig ist, eine Menge Input.

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Foto: Foodscape via Shutterstock

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2 Kommentare

Jette 15. Januar 2016 - 21:30

Oh ja, dass Essen immer mehr Züge einer Ersatzreligion annehmen ist kaum zu übersehen. Manches ist ja in seiner Entwicklung auch schön. Clean Food – die Rückbesinnung auf natürliches und selbst gemachtes finde ich super. Aber wer nun alles Laktose-, Fructose- oder Glutenunverträglich ist, das verkommt immer mehr zum Modegag. Paleo, Vegan, Glutenfrei – und jeder hat für sich die eindeutige Begründung und unumstößliche Studie, dass das die gesündeste und beste Ernährungsform ist – ja man kann es schon mit Religionen vergleichen.

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