Schorndorf
Malerisch sieht es von hier oben aus, das „Ländle“. Idyllische Weinberge, herbstlich bunte Mischwälder und kleine Dörfer ringsum. Unter uns die schmucken Fachwerkbauten von Schorndorf. Die Aussicht von hier oben ist phänomenal.
Hier oben, das ist nicht etwa der Kirchturm der Stadt, der grüßt von gegenüber. Wir stehen auf der Terrasse einer Bar. Einer Skybar. Der Taos Skybar. Eine Bar würde man in Schorndorf, einem gerade mal 40.000 Einwohner zählenden Ort, ja schon nicht vermuten. Aber dazu noch eine über den Dächern der Stadt thronende Skybar, wie sie sonst über die Silhouetten der Metropolen der Welt blicken lässt – wie kam es denn dazu?
„Als man mich anrief und fragte, ob ich das machen will, habe ich erst zurückgefragt: Seid Ihr total verrückt? Ich will doch nach Berlin und nicht nach Schorndorf!“, erklärt uns Alexander Dohnt, Inhaber der Bar mit dem wohl ungewöhnlichsten Standort im Süden Deutschlands (den Anwärter für das Pendant im Norden haben wir im Sommer besucht). Hingefahren ist er aber trotzdem. „Ich habe zu meiner Frau gesagt: Ich bin in einer Stunde wieder da. Es wurden vier Stunden draus. Dann habe ich zu meiner Frau gesagt: Wir ziehen jetzt nach Schorndorf“, lacht er. Und jetzt hat Schorndorf eine Skybar.
Dohnt weiß, worauf er sich eingelassen hat. Er kennt die Gegend gut: 13 Jahre betrieb er die Bar Ciba Mato in Stuttgart, und viele seiner Gäste fuhren von Schorndorf und Umgebung aus für gute Drinks am Wochenende gerne die 30 Straßenkilometer zu ihm. „Ich war mir sicher, dass hier ein Bedürfnis nach Qualität vorhanden ist, nur wird es nicht gedeckt.“
Jetzt schon: Seit dem Frühjahr öffnen sich täglich ab 17 Uhr, 40 Meter über der kleinen Stadt, die gläsernen Fahrstuhltüren zur Welt der Barkultur. Sie erstreckt sich über zwei Etagen. In der unteren, der Ebene neun des Neuen Postturm Carré, in dem sich die Bar befindet, gibt es Cocktailklassiker und dazu Teppanyaki- und Barfood je nach Gusto und Appetit, von Häppchen vom südsteirischem Vulkanoschinken über Dim Sum aus dem Bambuskörbchen bis zum 450-Gramm-Ribeye-Steak.
Oben, auf Ebene zehn, befinden sich eine schick eingerichtete Zigarrenlounge mit viel Holz, edlen Lederbezügen und einer gemütlichen offenen Feuerstelle, die Terrasse mit Traumblick über die Region und die zweite Bar. Hier mixen regelmäßig Gastbartender aus Berlin, Frankfurt und anderen Bar-Städten für die Taos-Gäste. Eine feste Karte gibt es nicht. Die bringen die Mixologen selbst im Kopfe mit und beraten die Gäste bei ihrer Wahl ganz persönlich.
Auch räumlich wird hier oben eine große Nähe zum Gast aufgebaut: Statt hinter einem klassischen Tresen steht der Bartender hier direkt bei seinen Gästen, die an einem imposanten Tresentisch aus einem Stück 300 Jahre altem Akazienholz aus der Normandie Platz nehmen. Als Dohnt im Urlaub an einem ähnlichen Tisch in einer Bar Platz nahm, war ihm schnell klar: „Das machen wir auch.“
Bei Kay Zechlin saß Dohnt oft am Tresen, als dieser im Green Door in Berlin arbeitete. Man kam ins Gespräch, Dohnt erzählt von seinen Plänen – und jetzt ist Zechlin einer der Gastbarkeeper, die den Taos-Gästen Drinks aus ihrem umfangreichen Repertoire servieren: „Nach 24 Jahren als Bartender sind viele hundert Rezepte im Kopf. Am Ende geht es darum, Alkohol und seine Eigenheiten zu verstehen und für den Gast individuell umzusetzen, je nach Wunsch und manchmal nach Bedarf. Als Drink.“ Unser Wunsch sind heute zwei Drinks mit Jägermeister. Los geht’s!
Als erstes mixt uns Kay Zechlin seine Variation eines Klassikers: Jagd in Manhattan. „Die Trockene Schokolade und ein Tropfen Chocolate Bitter bringen den Jägermeister nach oben, sodass seine Süße dem trockenen Rye Whisky entgegen gesetzt wird.“ Er probiert und findet: „Ziemlich brilliant.“ Wir probieren und finden: Stimmt.
Jagd in Manhattan
5 cl Kentucky Straight Rye
3,5 cl Jägermeister
2 cl Trockene Schokolade
1 Tropfen Chocolate Bitter
Zubereitung: Alle Zutaten mit Eis shaken
in der Cocktailschale servieren
Garnitur: Orangenzeste
Drink Nummer zwei ist frisch und fruchtig: Jägermeister, Gin mit floralen Noten, frische Gurke, Minze und ein Schuss Honigsirup sind die Basis für den Herbal Honey Hunter. Den mixt uns Kay Zechlin spontan auch in einer Variante mit weißem Balsamico. „Das muss in unserem Job drin sein. Es soll Spaß machen. Uns und dem Gast. Das wird allzu leicht vergessen!“ Aber bitte!
Herbal Honey Hunter
5 cl Jägermeister
2 cl Beefeater 24 Gin
3 cl Limettensaft (Version 2: 1 cl weißer Balsamico)
2 cl Honigsirup (Version 2: 1cl Honigsirup)
Zubereitung: alle Zutaten mit frischer Minze und frischer Gurke und Eis shaken, im mit Eis gefüllten Tumbler servieren
Garnitur: Gurkenscheibe und Minzblätter
Wir genießen unsere Drinks und schauen der Sonne zu, die langsam hinter den Hügeln des Ländles verschwindet. Blue Hour über Schorndorf: In den Häusern gehen die Lichter an, wunderbare Abendstimmung stellt sich ein. Das Taos zeigt: Eine Skybar muss seinen Gästen gar nicht immer eine Aussicht auf üppige Hochhaus-Skylines ringsum bieten. Der Blick ins weite Land ist mindestens genauso reizvoll. Und während sich immer mehr Gäste schon an diesem frühen Montagabend in der Bar einfinden, wächst unsere Überzeugung: Das Interesse an guten Drinks, es scheint auch außerhalb der großen Metropolen zu steigen. Eine schöne Erkenntnis, die wir von unserem Besuch aus Schorndorf mitnehmen. Es wird nicht der letzte sein. Proscht!
Taos Skybar
Karlstraße 1-3
73614 Schorndorf
geöffnet täglich ab 17 Uhr
www.taos-skybar.de
Fotos: Tim Klöcker
