„Tradition ist nicht das Halten der Asche, sondern das Weitergeben der Flamme“, soll Thomas Morus (1478-1535) gesagt haben. Ein Zitat, mit dem man jeden noch so fortschrittsaversen Kunden und jedes Auditorium sowieso für sich gewinnen kann. Nicht nur, weil es trotz seines biblischen Alters immer noch „catchy“ klingt, sondern weil es einfach stimmt: Werte müssen weitergegeben werden, Kultur und Tradition sind keine fixen Elemente, sondern entwickeln sich fort, sie werden ständig neu „ausgehandelt“.
Aber genug der Theorie, denn es geht um Praxis, um Gastronomie. Um Traditionsgastronomie. Um den Gasthof, das Wirtshaus, die Kneipe. Ein bekanntlich gewichtiger Anteil in unserer Gastronomielandschaft, der sich in vielen Spannungsfeldern befindet – zwischen Vergangenheit und Zukunft, zwischen Gemütlichkeit und Spießigkeit, zwischen Grundversorgung und Erlebniswelt.
Traditionsgastronomie, wenn erfolgreich betrieben, ist ein „dritter Ort“ für viele Zielgruppen, keineswegs nur für Traditionalisten, sondern für alle, die Wert auf gepflegte Gastlichkeit legen, wie es mal in einer Weißbierwerbung hieß. Und das sind erst einmal eigentlich alle. Traditionsgastronomie ist kein rein ländliches, historisch tief verwurzeltes Phänomen, sondern kann genauso gut jung, urban und hip sein. Wie immer, das wissen auch die Autoren Pierre Nierhaus und Michael Süssmeier, geht es vor allem um eines: ein klares Konzept.
Und noch um einiges mehr. Dass es heute nicht mehr reicht, traditionelles Essen und erwartbare Getränke darzureichen, sondern dass erfolgreiche Traditionsgastronomie viel, viel mehr braucht, führen die beiden Autoren in ihrem Buch TraditionsReich mit Gasthof, Wirtshaus und Kneipe aus. Ausführlichst. Über 300 Seiten stark ist der Wälzer, der das Thema von allen erdenklichen Seiten beleuchtet. Erfolgsfaktoren werden benannt, Tipps für Service und Gastlichkeit gegeben, Marketingvorschläge gemacht, Wirtschaftlichkeit und (Selbst-)management umfangreich beschrieben.
Eingeflochten werden 16 „best cases“, Konzepte wie das Wirtshaus in der Au, das Figlmüller oder Das Meisterstück, mit Betreiberinterviews und Kennzahlen. Das Frollein, eine Art Traditionsgastronomie-Pastiche, das Pierre Nierhaus selbst eröffnet und aufgebaut hat, lässt dabei besonders tief ihre Hosen herunter: Von der „Mind Map“ (das Basiskonzept) über Logo- und CI-Gestaltung bis zu Schulungsmaterial für den Service wird hier eine Menge Material offen gelegt.
Um es kurz zu machen: Mit diesem Buch lässt sich aus dem Vollen schöpfen. Eine geballte Ladung Praxiswissen für Gastronomen, die ein traditionelles Konzept eröffnen, erneuern oder übernehmen wollen. Auch das Thema Generationswechsel – das „Weiterreichen der Flamme“ an den Nachwuchs – wird angeschnitten. Hier wäre allerdings ein ausführlicherer Einstieg schön gewesen, ist es doch eines der Kernprobleme besonders in diesem Gastro-Segment.
Ein weiterer Kritikpunkt: Es werden vor allem leuchtende Erfolgsbeispiele vorgestellt, doch ein Hofbräuhaus hat mit den Adressaten des Buches, traditionellen Betriebe mit lokaler Verwurzelung und tendenziell wenig Strahlkraft, abseits des Speisen- und Getränkeangebots nicht viel gemeinsam. Unbekannte Objekte, die den Aufbruch in eine neue Zeit gemeistert haben, Nischenkonzepte, eben jene kleinen, feinen Betriebe, die stets unter dem Radar der überregionalen Wahrnehmung fliegen, sie fehlen und hätten dem Leser Beispiele auf Augenhöhe gegeben. Auch ist das Verhältnis zwischen Süd und Nord unausgeglichen. Landgasthöfe in Schleswig-Holstein gibt es wie Sand an der Ostsee, darunter zahlreiche Umsatzgiganten, und die traditionelle Gastronomie ist auch in Niedersachsen vital, doch von nördlich des Mains benennen die Autoren leider wenig Erfolgsbeispiele. Nun gut. Vielleicht schieben sie ja bald eine Nord-Edition nach?
Obwohl: Die Tools und Tipps für einen erfolgreichen traditionellen Betrieb, die dieses Buch bietet, sind ohnehin ortsunabhängig. Insofern lässt sich auch auf Helgoland hervorragend mit diesem Buch arbeiten. Bleibt zu hoffen, dass es viele tun.
TraditionsReich mit Gasthof, Wirtshaus und Kneipe
Pierre Nierhaus, Michael Süßmeier
32 Euro, 320 Seiten
erschienen im Matthaes Verlag
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