Über Zero Waste wird derzeit viel gesprochen und geschrieben, immer mehr Restaurants und Bars nähern sich dem Thema und versuchen, es ihn ihr Konzept zu integrieren.
Doch wie funktioniert das Ressourcen schonende Prinzip des Umgangs mit Lebensmitteln? Das erklärt die Köchin Sophia Hoffmann in ihrem neuen Buch, Zero Waste Küche. Wir haben mit ihr gesprochen.
Sophia, im Vorgespräch hast du mir schon erzählt, dass du dich dieses Mal besonders tief reingekniet hast. Das Buch ist ja auch weit mehr als ein Rezeptbuch, sondern bietet ausführliche Grundlagen und generelle Gedanken zum Thema. Wie bist du vorgegangen?
Richtig, es ist weit mehr geworden als einfach nur ein Kochbuch zur Resteküche. Es ist ein Lese-, Wissens- und Kochbuch, das vermitteln soll, wie man nachhaltiger mit Essen umgeht. Während des Schreibens wurde mir klar, das sich im Grunde alles um das Thema Wertschätzung dreht. Wenn wir besser wissen und verstehen, wie viel Energie es kostet, unser Essen zu erzeugen, welche historische und kulturelle Bedeutung Speisen haben und hatten und welchen Preis Menschen, Tiere und unsere Umwelt dafür bezahlen, lernen wir es besser zu wertschätzen, daran glaube ich fest. Neben Rezepten und einem allgemeinen Informationsteil knöpfe ich mir im Mittelteil 40 Lebensmittel vor, die besonders oft im Müll landen, die an Wert oder Bedeutung verloren haben bzw. an die wir uns zurück erinnern sollten, da sie etwa regional, lecker und gesund sind …
… von Äpfeln bis Zwiebeln …
… das ist eine subjektive Auswahl, die ich durch das Lesen von Studien, Leser*innen-Befragung, Ernährungsempfehlungen und Bauchgefühl getroffen habe. Zu diesen 40 gibt es Verwertungs-, Lagerungs- und Konsumtipps, Infos zu Ökobilanz, Herkunft, ein paar fun facts, damit es nicht zu trocken wird und natürlich wunderschöne Fotos, die alleine schon Wertschätzung fördern. Mir war aber auch wichtig, dass Essen, das dort nicht vorkommt, anhand ähnlicher Beispiele und Rezepte durchdekliniert werden kann. Klingt kompliziert, ist aber einfach. Mir geht es um Kochverständnis, nicht um das blinde Nachkochen einzelner Rezepte.
Was war für dich selbst die größte Erkenntnis oder Überraschung, als du das Buch geschrieben hast?
Ich habe wahnsinnig viel bei der Recherche gelernt. Mir war von Anfang an klar, dass ich auch tierische Produkte beleuchten möchte, auch wenn ich sie selbst nicht esse oder für meine Rezepte benötige. Ich will ein möglichst breites Publikum für das Thema erreichen. Und da gehört es auch dazu, über das Mindesthaltbarkeitsdatum von Joghurt zu sprechen, warum Käse wirklich süchtig macht und welche Auswirkungen der Fleischkonsum hat.
Hat dich etwas besonders verstört?
Die Recherche zu Fischfang und zu Produkten wie Bananen und Schokolade. Weder war mir das Ausmaß der Zerstörung und Ausrottung durch Meeresfischerei bewusst, noch dass gerade bei konventionellen Bananen und Kakaobohnen Kinderarbeit und moderne Sklaverei riesige Probleme sind. Übrigens auch in der Fischerei. Mein Fazit: Bananen, Kaffee und Schokolade nur noch bio und Fairtrade kaufen.
Wie sollte man dein Buch idealer Weise benutzen? Wie geht man mit ihm in der eigenen Küche um? Mal alles aus den Schränken räumen und analysieren? Du schreibst ja vorne auch von einer Inventur im Alltag.
Ich empfehle, erstmal den Einleitungsteil zu lesen. Da geht es um knallharte Fakten, aber ich beschreibe auch sehr persönlich, anhand sehr konkreter Beispiele, wie ich von klein auf in meiner Familie nachhaltig sozialisiert wurde. Für mich ist das wie eine Brille, mit der ich die vorhandenen Ressourcen sehe. Ein Apfel mit braunen Stellen bringt Möglichkeiten der Weiterverarbeitung, ich sehe nicht die 20 Prozent braun, sondern den knackigen Rest. Der Mittelteil ist ein Nachschlagewerk. Ich habe einen Kohlrabi und möchte wissen, wie ich ihn lagere, wann er Saison hat und was ich damit anfangen kann, voilà!
Und im Rezeptteil?
Finden sich Rezepte, die sich alle irgendwie kombinieren und variieren lassen. Ich versuche, Denkschranken zu öffnen, indem ich Lebensmittel verwandle: Aus Semmelbröseln einen Quicheboden oder Kräcker backen, Linsen und Karotten gemeinsam kochen – als Salat, Suppe oder Aufstrich weiter verarbeiten. Salat einfach mal anbraten – lecker. Ein Rührteig aus fünf Schrankzutaten, die man immer zu Hause hat. Eine Torte aus übrig gebliebenen Weihnachtsplätzchen und Schoko-Nikoläusen. Es geht viel um Konsistenzen, Transformationen …
Sollte man das Buch gleich zum Einkaufen mitnehmen?
Muss man nicht. Aber es hilft, davor darin geblättert zu haben. Und schon gleich mal weniger einzukaufen. Oder mal für eine Weile zu versuchen, alle Trockenprodukte aufzubrauchen, die man bereits hat. Stichwort Inventur!
Wenn ich mich in der Gastronomie umschaue, dann sehe ich schon einige junge, neue Konzepte, bei denen Nachhaltigkeit und Abfallreduktion mitgedacht und umgesetzt werden. Vor allem aber sehe ich weiterhin überquellende Buffets, zu volle Brotkörbe auf den Tischen und LKWs mit freundlich dreinblickenden Menschen in Dienstkleidung, die Lebensmittel in die Tonne kloppen – eine ganze Branche lebt vom Abholen der Speisereste. Siehst du hier schon einen Wandel, oder wie denkst du darüber?
Ich sehe definitiv Wandel, aber das hat natürlich damit zu tun, dass ich mich explizit mit dem Thema beschäftige und mich auf Konzepte konzentriere, die Kreislaufwirtschaft umsetzen und so arbeiten. Ich glaube aber, dass solche Unternehmen eine unheimliche Vorbildwirkung haben können. Beispielsweise das Restaurant AMASS in Kopenhagen, das Zero Waste und Fine Dining verbindet. Küchenchef Matt Orlando zeigt mit nur 18 Prozent Wareneinsatz (das ist sehr wenig für die Fine-Dining-Gastronomie, 25 bis 30 Prozent sind üblich, Anm. d. Red.) und außergewöhnliche Gerichten, dass nachhaltige Küche nicht nur Geld spart, sondern auch köstlich schmeckt. Oder die dänische Köchin und Autorin Trine Hahnemann, die mir erzählt hat, dass ihre Lunch-Gäste vor zwei Jahren noch die Nase rümpften wenn sie Speisen vom Vortag anbot. Mittlerweile stürzen sie sich drauf.
Hier in Berlin leistet ja zum Beispiel das Isla Coffee Pionierarbeit in Sachen Zero Waste.
Der Betreiber Peter Duran ist für mich so etwas wie der Posterboy der Zero-Waste-Gastro, und ich meine das im besten Sinne des Wortes, wir sind auch Freunde: Peter hat ein akademisch fundiertes Wissen über das, was er in seinen Betrieben umsetzt. Als er letztes Jahr beim Finale des Gastro-Gründerpreises seinen Pitch hielt und zurecht gewann, klappte so manchem alteingesessenen Großgastronom die Kinnlade hinunter, zu sehen was alles möglich ist und vor allem, dass man damit nicht nur Ressourcen, sondern auch Geld sparen kann. Ich denke mit einer Steigerung der Wirtschaftlichkeit kann man Unternehmen am einfachsten überzeugen. Zudem wäre es – ähnlich wie in der Landwirtschaft – wünschenswert, wenn noch mehr Unterstützung von politischer Seite käme für weniger Müllerzeugung und dergleichen mehr. Das wäre sicherlich ein Anreiz. Und sich bewusst machen, dass man nie alles richtig machen kann, viele kleine Schritte aber trotzdem zählen.
Als ganz normales Restaurant oder Café: Wie fange ich dann an, das Thema Zero Waste und Nachhaltigkeit zu integrieren?
Ich beziehe Zero Waste einerseits auf die Ressourcen wie Lebensmittel, Getränke, Geschirr, Möbel, Stromanbieter usw. Da sollte man bevorzugt mit lokalen Erzeugern arbeiten. Ich würde zusätzlich noch auf Bio-Zertifizierung achte, da ich finde, dass Pestizide und Gentechnik im Essen nichts zu suchen haben. Zudem sollte man versuchen, unnötige Verpackungen zu vermeiden. Sowohl bei der Anlieferung der Lebensmittel als auch bei deren Verkauf: Einweggeschirr, Kaffeebecher – für all diese Aspekte gibt es immer mehr innovative Mehrweg-Alternativen, gerade fährt die App Vanilla Bean ein Pilotprojekt in Berlin mit wieder verwendbaren Liefergeschirr. Hochwertiges Upcycling bei der Inneneinrichtung, Ökostrom, man kann wirklich in alle Bereiche gehen. Wir leben in einem perversen Überfluss, der vielen gar nicht bewusst ist, ich glaube fest daran, dass Menschen den Blick für das Besondere verlieren, wenn es immer von allem zu viel gibt. Kunden sind ständige Verfügbarkeit gewohnt, egal ob im Restaurant oder in der Bäckerei. Ich glaube aber, dass auch Verknappung zu verkraften ist und dass auch einfach mal was aus sein darf.
Aber einen super wichtigen Aspekt finde ich auch soziale Nachhaltigkeit: Im AMASS gibt es beispielsweise seit letztem Jahr eine 4-Tage-Woche für die Mitarbeiter, geradezu revolutionär in der gehobenen Gastronomie. Das Ergebnis: Weniger Ausfall wegen Krankheit, mehr Effizienz, eine bessere Work-Life-Balance. Für mich ich das Thema doppelt spannend, da ich gerade mit der Mutter eines kleinen Babys ein eigenes Unternehmen plane, das heisst: Wir müssen von Beginn an so vorgehen, wie es mit diesen Rahmenbedingungen umsetzbar ist.
Auf der einen Seite gibt es diesen Trend zu Regionalisierung oder gar Lokalisierung, auf der anderen Seite ist mein Feed voll von Bildern von der alljährlichen Winterflucht nach Süostasien oder Südamerika. Ich sehe überall Avocados, Jackfruits, Chia-Samen und Prime Beef aus Nebraska. Mir scheint: Wir, also die Konsumenten, wollen beides. Mit dem Flieger geht es schnell in eine andere Region in Europa, dort wollen wir dann aber bitte ganz Ortstypisches, dort Heimisches essen. Wie siehst du dieses „glokale“ Spannungsfeld und wie gehst du selbst damit um?
Mein Rat: Vorwiegend lokale Produkte konsumieren und den Konsum „exotischer“, weit gereister Ware stark reduzieren, ohne es sich komplett zu verbieten. Ich beispielsweise versuche Flugreisen fast völlig zu vermeiden. Kurzstrecken fahre nur noch mit dem Zug und Langstrecken nur selten und nach Abwägen der wirklichen Notwendigkeit. Statt einer Fernreise gönne ich mir dann dafür mal bewusst eine Ananas oder eine Mango oder alle zwei Monate mal eine Avocado. Aber eben als Besonderheit und nicht als Alltäglichkeit. Ich habe den Konsum dieser Produkte stark eingeschränkt und ich finde nicht, dass jedes Café einen Avocadotoast auf der Karte braucht, und auch der Poke-Bowl-Trend mit Thunfisch als Hauptzutat ist rein ökologisch ein No-Go.
Verrückter Weise haben aber wiederum Jackfruits und auch Produkte aus Cashewkernen, selbst wenn sie um die halbe Welt reisen, immer noch eine bessere Ökobilanz als vergleichbare Fleisch- und Milchprodukte, die hier produziert werden! Trotzdem würde ich lokalere Alternativen wie Hafermilch, Tofu aus europäischem Bio-Soja, Lupine, Basilikum- statt Chiasamen usw. zu bevorzugen. Quinoa und Süßkartoffeln werden mittlerweile auch in Deutschland angebaut.
Hast du ein Beispiel für etwas, das wir alle wegwerfen, aus dem sich aber etwas Leckeres zaubern lässt?
Altbackenes Brot ist natürlich das Beispiel schlechthin. Vor allem, wenn man bedenkt, dass in Deutschland jede fünfte Backware – 1,7 Millionen Tonnen – im Müll landen. Ein einfaches Rezept sind Brotlinge, also Bratlinge aus Brot. Es wird eingeweicht, ausgepresst und mit Geschmackszutaten wie Zwiebeln, Kapern, getrockneten Tomaten, Kräutern, Gewürzen und Semmelbröseln – für die Konsistenz – verknetet, anschließend knusprig gebraten. Im Grunde wie gebratene Knödel oder Frikadellen ohne Fleisch. Einfach, lecker, wertvoll.
Ich finde, dass dieses Buch wegen seiner vielen Grundlagen für den Unterricht geeignet ist. Du planst ja gerade auch etwas in Richtung Schulen – kannst du uns dazu schon ein bisschen was sagen?
Bei jedem Panel-Talk und jeder Diskussion zum Thema Lebensmittelverschwendung kommt irgendwann der Punkt, wo wir bei Bildung und Projekten in Schulen mit Kindern und Jugendlichen landen und der Wichtigkeit dort schon mehr Wertschätzung für Essen aufzubauen. So entstand der Wunsch mehr im Bildungsbereich zu machen, gerade entwickle ich zusammen mit SirPlus, dem Supermarkt für gerettete Lebensmittel ein Modell, für das wir Förderungen beantragen wollen um genau das zu machen: In Schulen zu gehen und Jugendliche für Lebensmittelverschwendung zu sensibilisieren. Und ihnen Freude am Kochen nahezubringen.
Foodtrends: Welchem Gemüse, Getreide, Obst oder Sonstigem werden wir dieses Jahr besonders oft begegnen?
In meiner eigenen Küche probiere ich gerade viele verschiedene Urkorn-Getreide, sowohl zum Brotbacken als auch zum Kochen und Sprossenziehen. Ich würde mir wüschen, dass wir bei Getreide die ganze Vielfalt ausschöpfen, die es gibt. Weniger Weißmehl-Produkte und mehr ganze vollwertige Körner essen. Dann hätten auch weniger Menschen Probleme mit angeblicher Glutenunverträglichkeit, die ja oft nur eine Überempfindlichkeit von reinem Weißmehl ist. Der Trend zur Fermentation hält weiter an. Was auch ernährungsphysiologisch spannend ist, da Produkte wie Kombucha und pflanzliche Joghurts längerfristig als Quelle für Vitamin B12 dienen könnten. Dies ist zwar noch nicht wissenschaftlich belegt, aber unter Berücksichtigung bei der Erzeugung lässt sich hier anscheinend noch eine Menge optimieren. Auch bei pflanzlichen gereiften Käsen sehe ich noch viel Potential, wenn man überlegt, dass hier im Vergleich zu traditioneller Käse-Erzeugung erst seit ein paar Jahren experimentiert wird, ist schon ne ganze Menge geschehen.
Vielen Dank, Sophia.
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